Über die Story
Natürlich würde es Madame Maigret nie in den Sinn kommen, ihren Jules zu hintergehen oder ihn gar zu verlassen (was für eine Horrorvorstellung). Der »Liebhaber« ist ein Mann, den Madame Maigret aus Langeweile beobachtet. Ihre Beobachtungen und »Ermittlungen« teilt sie hin und wieder ihrem Mann mit. Der nimmt die sich bietenden Gelegenheiten wahr und zieht damit auf: »Hast du deinen Liebhaber wieder gesehen?« und setzt dann noch einen drauf: »Hat er wieder seine zwei kleinen Runden um den Platz gedreht? Immer noch so vornehm und geheimnisvoll? Wenn ich mir vorstelle, dass du eine Schwäche für vornehme Männer hast, und dass du dann ausgerechnet mich geheiratet hast!«
Diese Erzählung ist eine derer, in der Simenon Familie Maigret nicht am Boulevard Richard-Lenoir wohnen lässt, sondern am Place des Vosges. Der Platz beherbergt eine belebte Grünanlage, die von einem Metallgitter umgeben ist. Tagsüber lassen sich sowohl Kindermädchen mit ihren Schützlingen wie auch ältere Herren dort nieder. Einen solchen älteren Herren beobachtet Madame Maigret. Die Schilderung ihrer Beobachtungen ist aber irgendwie nicht ganz eindeutig: er sieht alt aus, aber andererseits auch wieder nicht. Er trägt wohl eine Perücke und ein Monokel, und sein Schnurrbart ist irgendwie komisch. Was ihn besonders alt macht, ist sein stocksteifer Gang. Madame Maigret beobachtet ihn sehr genau, es aber nicht richtig in Worte fassen.
Es war ein warmer Abend. Madame Maigret räumte das Abendbrot-Geschirr weg und Maigret stand mit seiner Pfeife hemdsärmlig am Fenster, betrachtete versonnen den Abendhimmel. Dann ruft er seine Frau. Madame Maigret schaut aus dem Fenster und bestätigt, dass der ältere Mann, den Maigret auf einer Parkbank sitzend entdeckt hatte, ihr »Liebhaber« sei. Ein bisschen empört ist sie schon, denn er hatte die Regeln gebrochen und sich ihrem Mann - Maigret – offenbart. Es scheint, als ob er vor sich hindösen würde. Maigrets Interesse ist geweckt, was ihn abschreckt ist die Tatsache, dass er zwei Treppen steigen müsste, um den Mann aus der Nähe zu begutachten.
Als dieser aber auch nach Maigrets zweiter Pfeife noch dort sitzt, hält es Maigret nicht mehr. Der Mann auf der Bank hatte Maigret aber nichts mehr zu offenbaren, bis auf seinen Tod.
Kurze Zeit später:
»Hör doch auf zu nähen! Du gehst einem ja auf die Nerven! Musst du dauernd eine Arbeit in den Fingern haben?«
Sie hörte zu nähen auf. Er schritt in der kleinen Wohnung auf und ab und warf seiner Frau von Zeit zu Zeit einen sonderbaren Blick zu.
»Warum hast du mir erzählt, dass er mal jung und mal alt aussah?«
»Ich weiß es nicht… Es war so ein Eindruck… Warum? ... Wie alt ist er denn?«
»Er war auf jeden Fall noch keine dreißig.«
»Was sagst du da?«
»Ich sage, dass dein alter Mann ganz und gar nicht das war, was er zu sein schien… dass sich unter seiner Perücke blonde Haare verbargen, dass sein Schnurrbart nicht echt war und dass er eine Art Korsett trug, damit er sich so steif wie ein alter Beau bewegte…«
Madame Maigret ist völlig überrascht und ihr Mann fasst die Situation wie folgt zusammen: »Ist dir klar, was passiert ist? Na ja, dein Liebhaber ist ermordet worden, auf dieser Bank…«
Am nächsten Morgen nimmt Maigret die Ermittlungen auf. Schließlich bringt man nicht ungestraft den »Liebhaber« seiner Frau um.
Am gleichen Morgen nimmt Madame Maigret die Ermittlungen auf. Schließlich bringt man nicht ungestraft ihren »Liebhaber« um.