Über die Story
Um 1894. Ein kleiner, etwas dickerer Junge stand in der Ecke. Er beobachtete seine Klassenkameraden beim Spielen. Ihn – denn sie Bum-Bum nannten – beachteten sie nicht weiter. Bum-Bum, Sohn des Metzgers von Saint-Fiacre, war außen vor.
Jahrzehnte später. Das Wetter war deprimierend, die Menschen in Paris wussten nicht, ob sie mehr von oben oder mehr von unten nass wurden. Die Hälfte der Inspektoren hatte sich krank gemeldet, die andere schnupfte und hustete vor sich hin. Maigret ist überzeugt, dass er so einen März – der aber auch nicht den kleinsten Lichtblick zuließ – noch nie erlebt hatte.
Zu allem Überfluss war aus einer Reisegruppe von Engländern eine mittelalterliche, alleinstehende Frau in Paris verschwunden. Keiner hatte sie gesehen, keiner wusste etwas mehr von ihr. Die Pensionswirtin aus London war sehr bald das Thema der Schlagzeilen Londoner und Pariser Zeitungen. Die Öffentlichkeit war rege interessiert und Maigret hatte keine Inspektoren, um einer aufwendigen Suche gerecht zu werden.
In diese Situation hinein trat ein Mann, den Maigret bei dessen Eintritt in die Tür, als Quelle großen Übels identifizierte, auch wenn er den Namen noch nichts wusste – Ferdinand Fumal.
»Setzen Sie sich.«
Dann, als er den Kopf hob, sah er sich einer unförmigen, schwabbeligen Person gegenüber, die kaum im Sessel Platz hatte. Fumal beobachtet ihn mit boshaften Blicken, als erwarte er von den Kommissar eine ganz bestimmte Reaktion.
»Worum handelt es sich? Man hat mir gesagt, dass Sie mich persönlich zu sprechen wünschen.«
Auf dem Überzieher des Besuchers waren nur wenige Regentropfen zu sehen; er musste mit dem Auto gekommen sein.
»Erkennen Sie mich nicht?«
»Nein.«
»Denken Sie nach.«
»Ich habe keine Zeit dazu.«
»Ferdinand.«
»Was für ein Ferdinand?«
»Der dicke Ferdinand ... Bum-Bum!«
Weder die Tatsache, dass Fumal nur zu Maigret vorgelassen wird, weil er eine Empfehlung des Innenministers in der Tasche, noch die plötzlich wiedererweckten Erinnerungen an Bum-Bum, können Maigrets Laune heben. Nein, er behandelt den Gast und Bittsteller mit ausgesprochener Abneigung und Unhöflichkeit.
»Übrigens: Damals haben wir uns geduzt…«
»Jetzt nicht mehr«, ließ der Kommissar fallen, während er seine Pfeife ausleerte.
Das liegt aber gewissermaßen in der Familie. Wie Fumal stammt Maigret aus Saint-Fiacre. Der Vater von Fumal war wie der Sohn Metzger, in Saint-Faicre der einzige. Er versuchte mit Maigrets Vater, der Gutsverwalter im Schloß war, ins Geschäft zu kommen. Dazu ließ er nach einem erfolgten Geschäft ein paar Geldscheine liegen. Diese Bestechung war völlig unakzeptabel für den alten Maigret, er setzte sich auf das Rad und radelte dem Metzger Louis Fumal hinterher und gab das Geld zurück. Hinzu kam, dass Louis Fumal beim alten Grafen versucht hatte, Misstrauen gegen seinen Verwalter zu wecken. Der Name Fumal hatte im Hause Maigret keinen guten Ruf.
Er gibt Fumal wo es nur geht, zu verstehen, dass er kein Interesse an ihm hat. Weder interessieren Maigret die Geschichten vom Aufstieg des kleinen Dorfpummelchens zu einem der mächtigsten und fettesten Metzgermanagers mit weitverzweigten Beziehungen, noch die Briefe, die Fumal bekommt.
»Mann will mir ans Leben!«
Fast hätte Maigret geantwortet:
»Das kann ich verstehen!«
Aber er zwang sich, gelassen zu bleiben.
»Seit etwa acht Tagen bekomme ich Briefe. Zuerst habe ich sie kaum beachtet. Menschen von meiner Bedeutung müssen darauf gefasst sein, Eifersucht und manchmal auch Hass zu erwecken.«
Es sind Briefe mit gar unfreundlichen Ankündigungen wie: Du wirst krepieren, Ich werde dir den Hals umdrehen und der eigentlich treffenden Charakterisierung Lump. Maigret verspricht Fumal, dass ein Inspektor das Fumalsche Haus bewachen wird und er ab morgen von einem Inspektor auf seinen Metzger-Dienstgängen begleitet wird.
Kurze Zeit später… sieht sich Maigret einer junge Frau gegenüber, die zwar hübsch aber nicht anziehend wirkt und die ihn zu sprechen wünscht.
»Was führt Sie zu mir?«
»Ich halte es für besser, dass Sie es wissen: er hat die Briefe selber geschrieben.«
Das Gespräch habe ich mal leicht gekürzt: die Frau ist die Privatsekretärin Fumals. Sie bestätigt, was Fumal schon angedeutet hatte, dass er ein äußerst skrupelloser Mann ist. Er macht jeden und alles mit seiner boshaften Art kaputt. Dabei ist es völlig irrelevant, ob sein Geschäft tangiert wird oder nicht: vieles geschieht auch reiner Boshaftigkeit. Wenn Fumal die Briefe wirklich selber geschrieben hat, dann sicher nicht aus reiner Selbstkritik, sondern weil er sich etwas davon verspricht.
In der darauffolgenden Nacht. Der Kommissar hatte am Anfang schon das richtige Gefühl: Fumal machte ihm noch mehr Ärger – er ließ sich ermorden. In seinem Arbeitszimmer wurde er von hinten erschossen aufgefunden, der Schuss kam aus nächster Nähe. Maigret, der davon ausgeht, dass ein Mann wie Fumal seinem Feind nicht den Rücken zudreht, bietet das die Gelegenheit hinter die Kulissen des Hauses Fumals zu schauen: die Ehefrau von Fumal ist Alkoholikerin (keine Veranlagung, wenn man Heirat mit einem Ekel nicht gerade als Veranlagung betrachtet), die Privatsekretärin und der Chauffeur blieben nur, um genug Geld für eine Hochzeit und ein Leben auf dem Lande zusammen zubekommen, einen Butler, dem Fumal einmal aus der Patsche geholfen hatte (allerdings nicht aus Nächstenliebe) und eine Geliebte in der Straße um die Ecke, die sich für Essen mehr interessierte als für den Tod ihres Geldgebers.
Verdächtige gibt es schon im Hause genug, hinzu kommt ein Mann, den Fumal erst vor kurzem in den Ruin getrieben hatte, Unzählige, die es schon länger hinter sich haben und ein großer Haufen von Angestellten Fumals, die über die Schikanen Bücher schreiben könnten.