Über die Story
Man stelle sich vor: Irgendwo im Gebirge soll ein Erholungsheim für Kinder gebaut werden, schön soll es werden und der Staat soll es bezahlen. Bevor es vom Parlament genehmigt wird, holt man sich ein Gutachten ein. Professor Calame, ein anerkannter Experte, schrieb ein Gutachten, was sich gegen den Bau aussprach. Dieses bekamen die Abgeordneten aber nie zu Gesicht und stimmten dafür – es war ja eine gute Sache.
Hätte sie sein können, es entwickelte sich aber anders, aus den Gründen, die der Baugutachter vorhergesehen hat. Der Berg rutschte und brachte einen Flügel des Heims zum Einsturz. Hundertfünfundzwanzig Kinder kamen bei dieser Katastrophe ums Leben. Man fragte sich, warum, aber der Topf blieb noch ruhig auf dem brodelnden Koffer.
Wird man sich unter dem Druck der öffentlichen Meinung eines Tages entschließen, den Inhalt des Calame-Berichts bekanntzugeben?
Eine gute Frage, das Problem an dieser Freigabe, so peinlich sie für den Baukonzern sein mag, ist, dass kein Bericht mehr existiert. Das Original, alle Kopien – verschwunden. Calame kann sich dazu nicht mehr äußern, er ist schon vor ein paar Jahren verstorben.
Eines guten Tages taucht bei Auguste Point, Minister für die Öffentlichkeit (also so was wie Kommunikation), ein Piquemal von der Hochschule für Straßen- und Brückenbau auf, dem gleichen Institut an dem Calame gearbeitet hatte, und sagt, er hätte den Bericht zur Verfügung und gegen Unterschrift würde er ihn übergeben. Auguste Point weiß um den Sprengstoff, den dieser Bericht enthält, und quittiert die Annahme. Den Bericht nimmt er mit nach Hause, um ihn zu studieren. Da er ihn noch nicht im Detail kennt, ist er ziemlich erstaunt zu erfahren, dass er als Abgeordneter vor einigen Jahren bezüglich der Sicherheit des Baus in der das Licht geführt wurde. Er informiert den Premierminister, der ihn bittet, den Bericht aufzubewahren und am nächsten Tag zu übergeben.
Als der Minister am nächsten Tag in seine Wohnung kommt, um den Bericht zu holen, ist dieser verschwunden. Das Dilemma: es gibt Jemanden, der weiß, dass er den Bericht hat, der ordentlich Wind machen kann, wenn der Bericht nicht veröffentlich wird, und es wird so aussehen, als ob Point den Bericht einfach hat verschwinden lassen, um dem Establishment einen Gefallen zu tun. Zumal er weiß, dass wenn man nur lange genug kramt, sich auch bei ihm Sachen zu Tage fördern lassen, die unter dem Lichte des verschwundenen Berichtes wie Dreck aussehen.
Maigret ist an dem Abend bei einer Versammlung des Polizeihilfswerk, in dem er Vizepräsident ist. So erreicht der Minister bei seinem Anruf nur Madame Maigret. Diese hat den Eindruck, der Minister sei ziemlich ungehalten und ist ziemlich erstaunt, als sie erfährt, dass der Minister, der Angst vor Abhöraktionen hat, von einer öffentlichen Telefonzelle telefoniert und nicht darum bittet, zurückgerufen zu werden, sondern darum, dass Maigret sich zu ihm bemüht. Maigret mag bekannterweise Politiker nicht, sie pflegen nur Ärger zu machen, macht sich aber auf den Weg Point. Er trifft einen Menschen, der sein Bruder sein könnte.
Point will von ihm, dass der Kommissar mit sowenig Wind wie möglich, versucht den Dieb zu finden und den Bericht wiederzufinden. Maigret in unwillig, ob der Intrigen, die ihn erwarten, stimmt aber der Aufgabe zu, als der Premierminister anruft. Der Minister muss seinem Vorgesetzten gestehen, dass der Bericht verschwunden ist (das hatte er noch nicht getan) und muss auch gestehen, dass er den Kommissar in die Geschichte eingeweiht hat. Der Premier ist damit einverstanden, dass Maigret sich der Sache annimmt. Aber auch er betont: Kein Wind.
Die erste Aufgabe ist, die Umgebung des Ministers zu überprüfen. Es war kein brachialer Einbruch: weder an der Tür noch an dem abgeschlossenem Schreibtisch ließen sich Spuren von Gewalt finden, der Einbrecher hatte also Schlüssel, die passten. Zur näheren Umgebung gehören die Sekretärin und der Kabinettchef. Maigret beauftragt einige Inspektoren mit der Überprüfung der beiden sowie der Observation von Piquemal. Was diese nicht ganz amüsant finden ist, dass überall schon die Leute von der Sûreté stehen, als Hase-Igel-Spiel, bei dem die Leute aus der Rue de Saussaies die Igel zu sein scheinen.
Maigret tut sich schwer mit der Art der verdeckten Ermittlung, wird dieses Problems aber bald enthoben. Jemand hat das Wissen um den Calames-Bericht und nutzt es, um gezielte Indiskretionen zu streuen. Der Minister gerät unter Druck und gibt zu, den Bericht gehabt zu haben, dass er ihm aber gestohlen worden sei. Wie erwartet, glaubt man ihm nicht. Nun steht allerdings nicht nur der Minister im Rampenlicht, sondern auch der Sonderermittler Maigret, der mit seinem Schwert (ähh, Verstand) Schneisen in das Intrigen-Gestrüpp schlägt.