Dem Bösen auf der Spur
Ein unzureichender Verdacht
Irgendwann findet sich Maigret in diesem Restaurant »Au petit Albert« wieder, betrachtet neben der Möblierung auch die Vorräte an Trink- und Essbarem, prüft den Inhalt der Schubladen und beschließt, dass man sich hier niederlassen müsse. Als Kommissar wäre er nicht geeignet, ein solches kleines Restaurant zu führen – da sprächen auch seine Bekanntheit und zahllosen anderen Verpflichtungen gegen. Vermutlich, so denkt er sich, würde es ausreichen, wenn er die Rolle des Schwiegervaters des Wirtes übernehmen würde. So wird ein Inspektor der Pariser Kriminalpolizei ausgesucht, diese Aufgabe zu übernehmen und innerhalb kürzester Zeit ist wieder Leben in dem Restaurant.
Der Roman beginnt mit einem Gespräch, das Maigret mit einer Dame führen muss, die ausreichend gute Beziehungen hatte, um ihn »belästigen« zu können. Sie nimmt an, dass man sie vergiften wolle und für sie steht fest, dass es ihre Familie ist, die sie umbringen möchte. Maigret findet die Geschichte nicht besonders interessant und geht schlussendlich der Angelegenheit auch nicht nach. Bemerkenswert an der Geschichte ist immerhin, dass die Dame der Ansicht ist, dass jeder ihrer Verdächtigen seine Pläne allein und unabhängig durchführen möchte.
Da ist es fast eine Erlösung, dass das Telefon klingelte. Am Telefon war ein Mann, der sehr gehetzt wirkte und ihm erzählte, dass er verfolgt werden würde. Dabei sagte er weder, wer ihn verfolgen würde, noch wer wäre. Ein kleines Rätsel gibt er dem Kommissar mit auf den Weg, denn der Mann behauptete von sich, dass er der Mann von Nine sei. Das Telefonat wurde beendet - der Mann hatte einfach einhängt und er lässt Maigret mit zwei Fragestellungen zurück: Wer ist diese Nine, die er kennen soll und kann es sein, dass es Tage gibt, an denen es eine Häufung der Verrückten gibt, die versuchen Kontakt mit ihm aufzunehmen?
Die Verfolgung
Nachdenklich genug gestimmt, beauftragt Maigret Janvier damit, in dem Bistro nachzufragen. Der Inspektor meldete sich telefonisch bei Maigret zurück und berichtete, dass der Wirt der Bar bestätigt hätte, dass ein Mann hereingekommen sei, ein Telefonat begonnen hätte, dieses aber schnell beendet hätte, als ein weiterer Mann die Bar betreten habe. Beide hätten dann das Lokal verlassen. Nacheinander, nicht miteinander.
So begann die Ermittlung in einer der längsten Maigret-Geschichten von Simenon. Die Dame mit der unglaubwürdigen Mord-Geschichte wurde von Maigret beiseite geschoben und der Kommissar konzentrierte sich darauf, dem Unbekannten zu helfen. Dieser meldete sich telefonisch aus diversen Bars und Restaurants und jedes Mal gibt Maigret Janvier einen Tipp, wohin dieser nun zu gehen habe. Der Unbekannte ist nicht in der Lage Maigret zu sagen, zu sagen, wer ihn verfolgt geschweige denn zu verraten, warum die Verfolger dermaßen an ihm interessiert sind. Warum der Mann jedoch nicht in der Lage ist, Maigret seinen Namen zu nennen, ist mir ein wenig schleierhaft.
Der Mann nennt Maigret einen Treffpunkt, an dem er sich treffen möchte, aber an diesen taucht der Unbekannte nie auf. Als Maigret wieder zurück am Quai war, musste er feststellen, dass der Mann keine Gelegenheit fand, ihn auf dem Laufenden zu halten. Die schlimmsten Befürchtungen waren nun berechtigt und Maigret gab die Anweisung heraus, dass man ihn sofort informiert, wenn man einen Toten fand, auf den die Beschreibung des Verfolgten passen würde.
In der darauffolgenden Nacht zwischen zwei und drei Uhr war es soweit. Lucas rief seinen Chef an und informierte ihn, dass am Place de la Concorde ein Mann tot aufgefunden wurde. Der Kommissar machte sich auf den Weg. Die Umstände irritierten Maigret: Der Mann wurde nicht nur erstochen, sondern er hatte auch eine ordentliche Tracht Prügel bezogen. Hinzu kam, dass sich der Tote außerhalb seines bisherigen Bewegungsradius aufgefunden wurde und der Ort konnte unmöglich der Tatort sein. Gegen eine Ermordung am Place de la Concorde sprach auch eine spätere Zeugen-Aussage, in der es hieß, dass ein Mann an dem Platz aus einem Auto geworfen wäre. Der Zeuge konnte zudem eine gute Beschreibung des Wagens geben und erinnerte sich an Teile des Kennzeichens.
Der Weg ins Restaurant
Die Pariser Zeitungen bekamen von der Kriminalpolizei am folgenden Tag ein Bild des Toten, der einigermaßen zurecht gemacht worden war – so gut, wie man einen Toten, der erstochen wurde und dem danach (!) der Schädel zertrümmert wurde, halt hübsch machen kann.
Manchmal dauert es, bis sich jemand findet, der einen konkreten Hinweis geben kann. So schlecht stand die Polizei in diesem Fall nicht da: Es gab sowohl ein Phantombild wie eine Beschreibung des Wagens, aus dem der Tote ausgeladen worden war. In der Zwischenzeit konnte Moers die Spuren, die man an dem Toten gefunden hatte, untersuchen. Diese waren so hilfreich, dass Maigret als man den entscheidenden Hinweis zur Identität des Mannes bekommen hatte, dies schnell mit dem Restaurant und einem Mann namens Albert Rochain in Verbindung bringen konnte.
Ein Fazit
Der Roman besteht aus vier Teilen: Im ersten Teil geht es um die Verfolgung des späteren Opfers. Auf der einen Seite stehen die »Bösen« (und ja, die sind wirklich böse!) und die Polizei. Man spürt nach der anfänglichen Skepsis Maigrets wie der Kommissar mit seiner Machtlosigkeit kämpft. Er weiß nur, dass jemand verfolgt wird, aber nicht wer und von wem. Dann muss er auch noch konsterniert zur Kenntnis nehmen, dass der Mann, der ihn um Hilfe bat, ermordet wird. Schließlich ermittelt er die Identität des Mannes. Im zweiten Teil macht es sich Maigret »gemütlich« in dem Restaurant und wartet, dass sich aus der Lokalität Hinweise ergeben. Sowohl Kommissar wie auch der Leser bekommen langsam ein Bild von Albert Rochain. Der dritte Teil beginnt wiederum mit einer Verfolgung, diesmal hetzt die Polizei einen Verdächtigen und langsam kommt heraus, dass es sich bei der Verfolgung und Ermordung von Albert Rochain nur um die Spitzes eines Eisbergs handelt.
Die Vielzahl von Wendungen in der Geschichte machen den Roman für mich zu einer der Top-Empfehlungen im Maigret-Universum. Simenon lässt es sich nicht nehmen, eine Reihe von Figuren in der Geschichte einzuführen, die keinen großen Erkenntnisgewinn bringen, aber viel zur Atmosphäre beitragen und den Leser zum Schmunzeln bringen. Leser, die sich gern an Fakten halten, sind vielleicht ein wenig irritiert, dass es zum Ende sehr wenig Details gibt – wer hat wen wann und warum umgebracht. Wiederum bekommen Leser, die ein Happy-End mögen, am Ende die volle Dosis »Herzerwärmung« eingeschenkt.