Über die Story
Kennen Sie das? Sie haben ein Lieblingsgegenstand, zum Beispiel eine Uhr, einen Federhalter oder eine Pfeife und dann verschwindet dieser Lieblingsgegenstand einfach so. Er ist nicht da, nicht zu finden. Die Heinzelmännchen scheinen ihn für Sie verlegt zu haben. Wohin weiß Gott.
So geht es Maigret. Gerade war sie noch da, dann ist sie plötzlich weg. Seine Lieblingspfeife.
Überrascht klopfte er seine Taschen ab und steckte die Hände hinein. Er schaute auf dem schwarzen Marmorkamin nach. Eigentlich dachte er sich nichts dabei. Es war nichts Außergewöhnliches, wenn er eine seiner Pfeifen nicht auf der Stelle fand. Er ging zwei- oder dreimal im Büro auf und ab, öffnete den Wandschrank, wo sich ein Emailbecken befand, in dem man sich die Hände waschen konnte.
Er suchte wie alle Männer ziemlich unüberlegt, denn er hatte ja diesen Wandschrank den ganzen Nachmittag nicht geöffnet, und als kurz nach sechs der Anruf von Coméliau, dem Untersuchungsrichter, gekommen war, hatte er ebenjene Pfeife im Mund gehabt.
Der Bürodiener wird befragt, ob jemand sein Raum betreten hat, denn in dem Inspektorenzimmer fand der passionierte Pfeifenraucher seine Lieblingspfeife auch nicht. Schlecht, dann auch noch zu hören, dass in seiner Abwesenheit keiner den Raum betreten hatte.
Dann können es nur die Gäste gewesen sein, die er empfangen hatte: eine ältliche Frau und ihren Sohn. Maigret ruft sich das Gespräch ins Gedächtnis zurück. Die Frau hatte unter den peinlich berührten Blicken ihres Sohnes erzählt, in ihrer Wohnung würden Gegenstände verschoben werden. Sie würde darauf schwören, dass jemand in die Wohnung einbricht und nach etwas sucht. Die Polizei möge da doch etwas unternehmen.
Maigret hatte während des Gesprächs das Zimmer kurz verlassen. Dieser Lümmel, ein sommersprossiger Rotschopf, der zurückhaltend wirkte, hatte ihm die Pfeife gestohlen! Aus seinem Dienstzimmer, das konnte der Kommissar kaum glauben. Nun interessierte ihn der Fall wenig, er hatte pro Forma einen Inspektor zu Beobachtung des Hauses abgestellt, aber bevor seine Pfeife besuchen gehen konnte, hatte er schon wieder Besuch.
Er ging zum Wartezimmer, warf einen Blick durch die Glasscheiben und sah Madame Leroy, die wie sprungbereit auf der äußersten Kante eines mit grünem Samt bezogenen Stuhls saß. Sie erblickte ihn, stürzte sich förmlich auf ihn, aufgeregt, wütend, verängstigt, und von tausend verschiedenen Gefühlen bewegt, und schrie, indem sie ihn am Jackenaufschlag packte:
»Was hab ich Ihnen gesagt? Sie sind heute nach gekommen! Mein Sohn ist verschwunden! Glauben Sie mir jetzt? Oh, ich hab schon gespürt, dass Sie mich für eine Verrückte hielten. Ich bin nicht blöd. Und sehen Sie, sehen Sie…«
Sie hielt ein blaugemustertes Taschentuch in der Hand, gefunden in der Küche, wo sie doch in ihrem Haushalt kein einziges Taschentuch dieser Art hatten.
Da Maigret sich sowieso mit dem Bengel beschäftigen musste, der ihm ja seine Pfeife stibitzt hatte, konnte er das jetzt auch offiziell machen.