Gut geplant

Berthe

Die junge Frau ist die einzige Tochter einer Gastwirt-Familie. Der Vater hatte sich in den Kopf gesetzt, dass es schön wäre, in lässiger Atmosphäre und in einer reizenden Umgebung die letzten Jahre zu verbringen. Der ertragreiche Gasthof in der Vendée wurde verkauft und dafür ein Anwesen an der Côte d'Azur angeschafft. Geplant war ein Restaurant mit Zimmern, die man vermieten konnte. Ganz so erfolgreich war das Vorhaben nicht, denn der Fachmann für den Umbau entpuppte sich als unfähig.

Berthes Vater erkrankte schwer und Frau und Tochter standen mit einem halb fertigen Gasthof da. Ihre Rettung war ein junger Mann, der bei dem Betrieb helfen sollte. Die Mutter hatte die Vorstellung, dass eine Hochzeit zwischen den beiden eine gute Idee sein könnte. Auch Berthe konnte sich mit dem Gedanken anfreunden, der junge Mann fügte sich mehr oder weniger in sein Schicksal.

Émile

Der Gasthof wurde erfolgreich. Das lag an dem Einsatz von Émile, der mit Berthe verheiratet war. Trotzdem war der Gasthof nicht wirklich der seine. Zum einen war da seine Schwiegermutter, die immer gut Vorschläge hatte. Und seine Frau.

Der junge Mann stammte auch aus der Vendée und aus einer Gastwirt-Familie. Als Zweitgeborener war er nicht zum Zuge gekommen und musste sich anderweitig verdingen.

Er liebte Berthe nicht, und wenn man es als Zweckehe bezeichnet, liegt man nicht falsch. Zumindest war das auch seiner Sicht so. Wenn Émile Spaß haben wollte, so fuhr er nach Cannes und vergnügte sich dort mit Prostituierten. Es mochte sich wie eine Niederlage angefühlt haben, denn er konnte sein Vergnügen nicht da haben, wo er zu Hause war.

Veränderungen

Die Schwiegermutter zog es zurück in die alte Heimat. Es gab eine Übereinkunft, dass sie die »Bastide« dem jungen Ehepaar komplett überlässt und dafür eine Leibrente bekam. Hin und wieder kam sie, um ihre Tochter und ihren Schwiegersohn zu besuchen. Es war nicht nur die Kontrolle, ob mit dem Besitz alles in Ordnung ist. Insgeheim hoffte sie auch auf eine Enkelin oder einen Enkel. Dieser Wunsch sollte ihr jedoch nicht erfüllt werden.

Mit jedem Tag wurde das unwahrscheinlicher. Die Geschichte wird aus dem Blickwinkel von Émile erzählt. Dieser hatte sich in eine Engländerin verguckt, die sich auf der Bastide einquartiert hatte, und begann eine Affäre mit dieser. Berthe sorgte dafür, dass das ein Ende hat, in dem sie die Liebschaft »vertrieb«. Das verzieh Émile ihr nicht.

Kurz darauf wurde ein Dienstmädchen angestellt. Einen besonders hellen Eindruck machte diese Ada auch auf Émile nicht. Aber nach etwas einem Jahr landete er mit der jungen Frau trotzdem in der Kiste. Da Berthe zu der Zeit verreist war, stellte der Beginn der Affäre kein Problem da. Nach der Rückkehr von Berthe zog sich der Mann mit seiner Geliebten in eine Hütte zurück und gestaltete seine tägliche Siesta etwas lebhafter. Auf immer geht das nicht gut. Berthe überraschte das Paar und es kam zu einem handfesten Krach. Sie wollte Ada rausschmeißen, er ließ das nicht zu. Es war das erste Mal, dass er sich in einer solch wichtigen Angelegenheit durchsetzte. Die Ehe existierte daraufhin nur noch formal.

Émile begann, den Mord an seiner Ehefrau zu planen. Das ist, auch wenn es jetzt so erscheinen mag, kein Spoiler. Denn schon mit den ersten Seiten wird klar, dass der Mann das vor hat und es wird in dem Roman »nur« erzählt, wie es dazu kam. Ebenfalls zu Beginn bekommen die Leser:innen mitgeteilt, was Émile plant.

Sympathien

In den meisten Geschichten, die uns vorgesetzt werden, ist es so, dass die Lesenden schnell wissen, wem sie ihre Sympathien zu schenken haben. Simenon macht es uns nicht ganz leicht. Denn mit Berthe haben wir eine Frau, die unsicher gegenüber Männern ist und anfangs auch verträumt erscheint. Einmal in der Beziehung nimmt sie die Zügel in die Hand und bestimmt, wie das Geschäft zu laufen hat. Sie kann jedoch nichts dafür, dass Émile nicht ganz warm mit ihr wird und letztlich nur das Materielle im Blick hatte.

Émile ist mir aus unterschiedlichen Gründen unsympathisch. Zum einen, man mag es dem vorangegangenem Absatz entnehmen, halte ich nicht viel davon, eine Ehe aus anderen Gründen zu schließen als Liebe. Aus Macht-Erwägungen geschlossene Ehen sind mir ebenso suspekt wie Ehebünde, die aus nationalistischen, religiösen oder materialistischen Erwägungen geschlossen werden. Hier liegt der Grund in Letzterem. Seine moralischen Ansichten erscheinen ziemlich merkwürdig:

Vor allem aber, warum fragte sich niemand, ob sie nicht dazu berufen war, zum Opfer zu werden?
Denn wenn es Menschen geben mag, die als geborene Mörder auf die Welt kommen, dann können andere auch dazu geboren sein, ermordet zu werden, woraus wiederum folgt, dass bei einem Verbrechen nicht nur der Mörder oder die Mörderin, sondern auch der oder die Ermordete Verantwortung trägt.

Auf den Gedanken muss man erst einmal kommen! Ich finde es schon streitbar, dass ein Mensch als »geborener Mörder« die Bühne der Welt betreten soll; aber noch unfassbarer ist der Gedanke an »geborene Opfer«. 

Aber Émile hat die Gabe, sich die geplante Tat schön zu reden. So ist er der Meinung, dass Berthe an allem die Schuld hat. Was er tut, wäre reine Notwehr. Dabei übersieht er, dass man, bevor man zur Notwehr begehen kann, immer noch die Flucht als Option hat. Er könnte, wenn es für ihn so unerträglich bei Berthe ist, seine Frau und damit die Bastide verlassen. Mir ist nicht in Erinnerung, dass er das in Erwägung zog.

Die Tatsache, dass er nicht bereit ist, für seine Handlung Verantwortung zu übernehmen, zeigt sich nochmals zum Ende hin. Eigentlich ist Émile nichts weiter als ein erbärmlicher Schuft.

Durchgehend spannend

Das Ende scheint vorhersehbar, aber das geht nicht zulasten der Spannung. Ganz im Gegenteil: Die Geschichte mag man nicht mehr beiseitelegen und schauen, wie wirklich ausgeht. Pläne kann jeder schmieden, aber ob sie aufgehen, ist eine andere Sache. 

Ich für meinen Teil war überrascht, einigermaßen belustigt und zufrieden. Das passiert mir nicht oft, wenn ich einen Non-Maigret-Roman zur Hand nehme.