Im Krieg


Simenon machte um den Krieg einen großen Bogen, schließlich hatte er im ersten Weltkrieg den Einmarsch der Deutschen erlebt. Er kümmerte sich um belgische Flüchtlinge und machte Geschäfte mit deutschen Filmfirmen. Das mochte Geld bringen, aber auch Ungemach...

Man sollte annehmen, dass man kurz vor der Niederkunft stehende Frauen nicht quer durch die Lande »jagt«. Simenon hatte aber für den da kommenden Sprössling nur Eines im Kopf: beste Betreuung. So wurde Professor Lucien Pautrier auserkoren, sich um die Geburt des da Kommenden zu kümmern.

Nun wurde aufgrund der sich verstärkenden Spannungen zwischen Deutschland und seinen Nachbarländern die Situation in den Grenzgebieten nicht gerade angenehmer. Frankreich erklärte das Elsass zum Sperrgebiet und die Simenons mussten sich nach einer anderen Möglichkeit umschauen. Pautrier, ein alter Familienfreund der Simenons, empfahl einen Kollegen in Brüssel. Belgien war sowieso eine gute Wahl: Die Simenons waren immer noch Belgier und Belgien verhielt sich in dem Konflikt neutral.

So wurde auch Marc Simenon am 19. April 1939 als Belgier geboren.

Die Geburt, bei der Simenon dabei sein sollte/wollte, fand ohne die Teilnahme des werdenden Vaters statt. Ihm war schlecht geworden.

Alsbald kehrte das Paar nach Nieul zurück, um sein Leben weiter zu leben. Den Kriegsbeginn am 1. September bekam Simenon in La Rochelle mit. Das Leben der Simenons berührte es noch nicht. Frankreich mochte Deutschland den Krieg erklärt haben, da es Polen überfallen hat, aber da sich Hitler noch nicht intensiv um Frankreich »kümmerte«, blieb der Krieg weit weg.

Das sollte sich mit dem 10. Mai 1940 ändern. Neun Monate nach dem Kriegsbeginn marschierten die Deutschen in die Niederlande ein (ohne Grund übrigens, aber das spielte ja keine Rolle - die Gründe, die man nannte, waren vorgeschoben und gefälscht). Nun sorgten sich auch die Belgier, aber das war recht spät und die Einberufung der Reservisten nur noch ein formeller Akt, denn die Deutschen standen schon im Land, da sie der Meinung war, man könnte die Benelux-Lande im Stück nehmen.

Simenon machte sich trotzdem auf dem Weg, aber sein Kriegseinsatz endete für ihn schon in Paris. Belgier, die sich in die Heimat aufgemacht hatten, wurden am Bahnhof abgepasst und zur Botschaft umgelenkt. In der hatte Simenon einen Bekannten sitzen, so dass er nicht allzu lang warten musste. Er bekam eine neue Aufgabe und die konnte er aller bestens von zu Hause aus erledigen: Er diente als Flüchtlingskommissar in La Rochelle, sollte dort ein Flüchtlingslager organisieren und sich um die belgischen Staatsbürger kümmern. Die Zahl der Flüchtlinge ist nicht ganz klar, sie schwankt zwischen 55.000 Menschen (wie sie bei Marham steht) und 300.000 Menschen (wie sie von Simenon genannt werden).

Er machte, das ist unbestritten, einen guten Job und war ein guter Organisator. Simenon verbrachte die Nächte auf dem Bahnhof von La Rochelle, um seine Schützlinge abzuholen und war sich nicht zu schade, Flüchtlinge bei sich im Haus aufzunehmen.

Schule, warum nicht?
Was hätte aus dem Mann werden können? Er ging auf ein humanistischen Gymnasium und seine Mutter Henriette hatte ihn für das Priester-Beruf vorgesehen. Eine Mädchen-Geschichte sollte dafür sorgen, dass sich Simenons Bildungsweg etwas änderte. 
Meister gesucht!
Was willst’e denn werden? Die Frage dürften auch den jungen Sim genervt haben. Wie schon beim der Gymnasiums-Auswahl war es auch hier die Mutter, die den ersten Beruf für Simenon aussuchte: Nach ihrem Willen würde er als Konditor glücklich werden. Wenn das geworden wäre, hätten wir heute vielleicht eine weltberühmte Tarte Maigret und würden den Kommissar missen. 
Erste Gehversuche
Der Journalismus ist der Wahrheit verpflichtet. So halten es viele Journalisten. Die, die es nicht so damit haben, sollten vielleicht Schriftsteller werden. So wie Georges Simenon, der seine Stärken eindeutig im Fiktionalen sah. Erst nahm er sich die Kurzgeschichte als literarische Form vor, dann den Roman. Erste Gehversuche eines Schriftstellers. 
Ein Belgier erobert Paris
Sie haben nicht auf ihn gewartet: Jeden Tag kamen an den Bahnhöfen von Paris Menschen an, die ihr Glück in der Stadt versuchen wollten. Wie Simenon es selbst in seinen Romanen beschrieb, waren es oft Leute aus dem Norden: Polen, Deutsche und halt auch Belgier. Wie Simenon, der am 14. Dezember 1922 in Paris eintraf. 
Der Name Simenon zählt nicht
Als Produzent von Groschenromanen muss man in kurzer Zeit viele Worte aufs Papier bringen. Der eigene Name wird aus dem Geschäft herausgehalten. So müssen Christan Brulls und Georges Sim erst einmal herhalten. 
Unstet
Nimmt man es genau, so schrieb Simenon nur über Orte, die er schon einmal gesehen hat. Was wäre uns entgangen, wenn er nicht so häufig gereist und umgezogen wäre? Auch die dreißiger Jahre verbrachte er recht stets auf der Suche nach einer Heimat. Im Anmarsch: Der Krieg und das erste Kind. 
Neuanfang
Ein neues Land, neue Gewohnheiten, eine neue Sprache und eine neue Frau. Simenon reist nach und durch Amerika, unstet wie immer, begibt sich in eine ungewisse und komplizierte Beziehung. Am Anfang war natürlich nur Sonnenschein. Simenon zeigt neue, nicht unbedingt positive Seiten. 
Lakeville
Glück ist immer relativ: Simenon sollte auch nach dem Leben auf der Shadow Rock Farm beruflich erfolgreich sein. Was das familiäre Glück jedoch betraf, begannen schwierige Zeiten. Ein Abriss über die letzten wirklich glücklichen Jahre Simenons, Besuche in Europa und den ersten Brüchen. 
Fortsetzung der Krise
Simenon suchte Wege, seine Frau aufzuheitern. Eine Chance sah er in der Rückkehr nach Europa, aber es wurde nicht besser sondern immer schlimmer. So begann sich bedingungslose Liebe in bedingungslosen Hass zu wandeln. Interessanterweise merkte man es den Romanen nicht an. 
Altern im Unglück
Was nützt der berufliche Erfolg, wenn das Privatleben keine Erfüllung bringt: die Frau war Weg, geblieben war nur Hass, der in der Öffentlichkeit ausgetragen wurde; die Tochter liebte einen abgöttisch und verursachte damit neue Probleme. Der Maigret-Autor schien irgendwie merkwürdig zu sein. 

Mit dem Waffenstillstand erübrigte sich dann diese Aufgabe und Simenon konnte sich wieder seiner schriftstellerischen Arbeit widmen. Allerdings rückte nun die Front in Frankreich vor und bald waren die Deutschen in La Rochelle. Damit hätte sich Simenon sicher arrangieren können, schließlich kannte er die deutschen Besatzer und sprach bruchstückenhaft die deutsche Sprache. Weniger angenehm war es allerdings, dass die Deutschen einen Offizier in das Haus einquartierten. Nicht nur unangenehm, sondern gefährlich war es, dass die Simenons in der Nähe der Tankanlagen von La Rochelle wohnten. Die Briten fingen an, sich auf diese Anlagen einzuschießen und so lebten die Simenons in der Gefahr eines plötzlichen Feuertodes. So zog man - mal wieder - um.

Mit »Je me souviens« begann Simenon mit seinen ersten Memoiren, die erst 1945 erscheinen sollte. Hätte er gewusst, wann sie erscheinen, er hätte zum Beginn des Schreibens wohl nicht damit gerechnet, das Erscheinen noch zu erleben. Er hatte einen Schlag an die Brust bekommen und hatte sich entschlossen, sich untersuchen zu lassen. Der kleine Unfall hatte ihn nicht verletzt, das war die gute Nachricht, mit der er nach Hause kam, allerdings hätte ihm der Arzt eröffnet, er wäre schwer herzkrank und hätte nur noch kurze Zeit zu leben. Er glaubte, ihm drohte das gleiche Schicksal wie seinem Vater. Tigy war auch betroffen, hielt aber noch einmal Rücksprache mit dem Arzt, der beteuerte, so etwas nicht gesagt zu haben, und sein Klient hätte ihn wohl missverstanden. Simenon, übrigens bei bester Gesundheit, wollte das nicht glauben.

Für einen Monat zog man auf ein Gehöft im Wald von Vouvant, bevor sich die Simenons in einem Seitenflügel des Schlosses Terreneuve in der Nähe von Fontenay-de-la-Comte zog. Aber auch hier hielt es Simenon nicht lang, so dass man im Juli 1942 nach Saint-Mesmin-le-Vieux zog.

Ganz so friedlich war das Leben schon aufgrund der Umzüge nicht mehr, hinzu kam, dass die Simenons ständig mit der Furcht leben mussten, als Ausländer in Frankreich interniert zu werden. Sie hatten bis dato nur die Auflage gehabt, sich regelmäßig bei der Polizei zu melden, aber auch das sah man wohl locker. Unangenehm wurde es, als Simenon in das Visier eines Inspektors geriet, der auf der Jagd nach Juden war. Dieser fand den Namen des Schriftstellers verdächtig und forderte ihn auf, nachzuweisen, dass seine Abstammung »judenfrei« sei. Man stelle sich das kurz vor: man war im Krieg, die Post dürfte nicht zuverlässig funktioniert haben und Internet hatte man auch nicht. Trotzdem konnte Henriette Simenon die benötigten Unterlagen wohl rechtzeitig zur Verfügung stellen.

Simenon war in der Zeit Selbstversorger und legte bei jedem Umzug seine Beete neu an. So kam es wohl auch, dass er des Schwarzhandels verdächtigt wurde. Denn mit den Sachen, die er erntete, konnte er in der Stadt ordentlich punkten. Die Angelegenheiten mussten so unangenehm sein, dass die Simenons mit ernsthaften Planungen für eine Flucht in das Vichy-Frankreich begannen. Die Deutschen machten ihm einen Strich durch die Rechnung, in dem sie ganz Frankreich besetzten.

Simenon musste sich um sein Auskommen keine Gedanken machen. Zwar waren die Papiervorräte kontingentiert, aber Simenon wurde gedruckt und wurde gelesen. Hinzu kam, dass er Geld durch den Verkauf von Filmrechten verdiente. Das brachte ihn bald in die Schusslinie, denn im Untergrund kursierten schwarze Listen, auf denen diejenigen standen, die mit den deutschen Film-Firmen zusammenarbeiteten. Selbst schlechte Erfahrungen, wie er es mit »Die Fremen im Haus« erlebt haben muss, welches von einem neutralen bis prosemitischen Werk mit dem Film zu einem problematischen Werk wurde, hielten Simenon nicht davon ab, weitere Geschäfte zu machen. Da dem Film noch ein Hetzfilm gegen die Juden vorangestellt wurde, konnte sich der geneigte Zuschauer damals denken, welche Botschaften ihm übermittelt werden sollten und so hatte man es auch nach der Befreiung in Erinnerung.

Marham stellte dazu fest, dass Simenon vor dem Krieg nur dreimal verfilmt worden war, während des Kriegs aber neunmal und damit häufiger als Balzac.

So war es nicht verwunderlich, dass die Forces Françaises de l’Interieur sich nach der Befreiung für Simenon interessierte. Eines Tages standen sie vor der Tür und wollten mit Simenon sprechen. Von der Truppe war nicht unbedingt Gutes zu erwarten, weshalb Boule den Herren sagte, der Hausheer sei nicht da und sie sollten doch später wieder kommen. Das gab Simenon Zeit sich zu verstecken. Er kam in Les Sables d’Olonne unter, wo er allerdings in einem Hotel wohnend, Ende Januar 1945 von der Polizei und der FFI unter Arrest gestellt wird. Simenon hatte Übles zu befürchten, viele seiner Künstler-Kollegen, die mit den Deutschen zusammengearbeitet hatten, waren verhaftet worden und wurden später zu langen Haftstrafen verurteilt oder gar erschossen. Ein Berufs- oder Veröffentlichungsverbot war da noch das geringste Übel. Simenon dürfte sich im Frühjahr 1945 nicht wohl gefühlt haben. Er wurde zwar im Mai entlastet und aus dem Arrest entlassen, aber die Pläne für eine Auswanderung dürften schon gekeimt haben.

Es gab noch einen anderen Aspekt, der Veränderung verhieß: Tigy hatte ihn und Boule bei einem ihrer Schäferstündchen gestellt und war ziemlich entgeistert. Sie hatte Simenon immer gedroht, dass sie sich umbringen würde, wenn er sie betrügen würde. Sie forderte die umgehende Entlassung von Boule, was Simenon auf jeden Fall verhindern wollte.

Er setzte sich in langen Gesprächen durch und Boule blieb, gerade weil Marc weiterhin betreut werden sollte und einigte sich mit Tigy, freundschaftlich weiter zu verkehren.

Die Zeiten standen auf Veränderung.