Befremdlich und progressiv

Die Gesellschaft schafft immer wieder neue, manchmal auch kleinstrukturiertere Schubladen, in die ein Individuum gesteckt werden kann, um es anschließend aufgrund dieser Rubrizierung irgendwohin ein-, aus- oder umzusortieren. Ironischerweise sind die, die schon in einer dieser Schubladen stecken und ihre Markierung haben, nicht davor gefeit, sich an anderer Diskriminierung zu beteiligen. Sprich: Wer aufgrund seiner sexuellen Orientierung und/oder seines Geschlechtes schon benachteiligt ist, kann sich trotzdem entblöden und Rassist sein. Wer aufgrund seiner Armut schon benachteiligt ist, muss nicht zwangsläufig Empathie für diejenigen empfinden, die noch schlechter dran sind. Ich hätte vermutet, dass der gesunde Menschenverstand an der Stelle, einem Bauchgefühl Einhalt gebietet und so etwas ruft wie: »Hey, geht’s noch?« Aber so läuft es nun mal nicht.

Ich hatte mich vor einiger Zeit mit dem Roman »Der Neger« beschäftigt. Schon der Titel sticht ins Auge, da es verpönt ist, das N-Wort zu verwenden. Weshalb ich es in meinen Text außer zu Zitat-Zwecken nicht tun werde. Ich bin der Meinung, dass man historische Texte belassen sollte, wie sie sind. Es mag berechtigte Gründe für Ausnahmen geben, beispielsweise habe ich gute Argumente gehört, die sich auf Kinderbücher beziehen. Dem kann ich mich nicht verschließen. Klar ist für mich, dass wer dieses Wort heute in der Wort- und Schriftsprache für die Beschreibung anderer Menschen verwendet, nutzt ein Wort, welches beleidigend und abwertend zu verstehen ist. Ich habe die Positionierung eines Autoren gelesen, der sagte, er könne sich nicht in jeden Menschen hineinversetzen, ob er ihn vielleicht beleidige: Das mag vielleicht sein, aber man sollte Worte nicht verwenden, von denen man weiß, dass sie beleidigend sind. Das »Verschwinden« des Wortes heißt ja nicht, dass man plötzlich wortlos dasteht – es stehen gerade in dem Zusammenhang eine Reihe von Alternativen nicht beleidigender Art zur Verfügung. Im Zweifel kann es hilfreich sein, in einem Duden neuerer Auflage nachzuschauen – dort werden dementsprechende Hinweise auch gegeben.

Mir ging es beim Lesen dieser Simenon-Reportage so, dass ein gewissen Unbehagen vorhanden war. Das inkriminierte N-Wort kommt auf jeder Seite vor, manchmal in jedem einzelnen Absatz, hin und wieder in den Absätzen mehrmals. Ein Verstecken war nicht möglich und ich musste mich damit auseinandersetzen. Angekommen am Ende dieser Reportage, kann ich getrost feststellen: Das N-Wort stellt noch das geringste Problem dar.

Port-Gentil

Benannte Stadt ist die zweitgrößte Stadt Gabuns. Zuerst waren die Portugiesen da, später kamen dann die Franzosen. Aus dem 1880 gegründeten Stützpunkt entwickelte sich nach und nach die Stadt, die 1915 ihren heutigen Namen bekam. Erst mit de 30er Jahren des 20. Jahrhunderts begann aber die wahre Entwicklung zu einer Stadt. Heute hat die Stadt über 130.000 Einwohner, ist bekannt für ihre Öl- und Fisch-Industrie.

Davon war zu dem Zeitpunkt, als Simenon die Stadt besuchte, noch nicht viel zu sehen. Er berichtet im ersten Abschnitt seiner Reportage darüber, wie er das Schiff verlässt und auf was für »Typen« er in der Stadt trifft. Ich würde sie Glücksritter nennen, die mit einer bestimmten Absicht nach Afrika gekommen waren und die in den verschiedensten Metiers Geld und Wohlstand suchten. Allzuoft scheiterten sie daran. Mit seiner Beschreibung karikierte Simenon die Bemühungen der Kolonial-Gesellschaften in Frankreich, die versuchten, Leute in die Kolonien zu locken. Auf mehrere Jahre verpflichteten sich die jungen Menschen, meistens Männer, gelockt mit dem Versprechen auf eine ansprechende Karriere. Manchmal war diese schon bei der Ankunft vor Ort vorbei, da die Gesellschaft bankrott gegangen war – womit auch die Karriere den Bach herunter ging.

Bedenklich auch, dass viele der Herrschaften, die man dort vor Ort antraf, ehemalige Strafgefangene waren, denen die Rückkehr in ihr Heimatland verwehrt wurde. Die Fragwürdigkeit dieser Bestrafung ist den Franzosen später offenbar auch aufgegangen, schließlich ließ man davon ab.

Letztlich wären da noch die Beamten, die wohl den bequemsten Job hatten, wenn sie die Unbequemlichkeiten vor Ort überlebten – das Klima, die Kriminalität und Krankheiten, allen voran die grassierenden Geschlechtskrankheiten. Alles in allem beschreibt Simenon eine Örtlichkeit, in der sich die Weißen nahmen, was sie brauchten – und wenn das eine schwarze Frau war (die wohlgemerkt verheiratet war), dann halt auch das.

Schon das erste Kapitel dieser Reportage gab mir die Erklärung für die Motive einer Reihe von Romanen und Erzählungen, die Simenon später schreiben sollte.

Zwölf Häuptlinge halten Gericht

​Da mache ich es mir mal ganz leicht: Dieser Teil der Reportage ist in einigen Simenon-Lesebüchern erschienen und dürfte damit der hierzulande bekannteste Teil der Reportage sein. So ist er schon ausführlich beschrieben worden, weshalb ich dies an dieser Stelle nicht wiederhole.

In den Hütten

Der dritte Artikel beginnt mit den Worten:

Wir sind in Watsa.

Ich habe eine gute Nachricht: Es gibt mittlerweile einen Impfstoff gegen das Marburg-Virus, welches 1967 hierzulande für großes Aufsehen sorgte. Erfreulich ist auch, dass Wissenschaftler auf einem guten Weg sind, ein Medikament zu entwickeln, für diejenigen, die das mit der Impfung versäumt haben. 100% der behandelten Makaken sollen eine solche Behandlung erfolgreich überstanden haben, während die Kontrollgruppe komplett in den Malaken-Himmel abtrat. Ergebnisse für Menschen stehen noch aus, aber das wird sicher auch noch werden.

Das ich das Virus mit Watsa in Verbindung bringe, hat nur zu einem kleinen Teil damit zu tun, dass Danny K. die Apotheke vor Ort als nur mittelmäßig beurteilt und es einen Arzt vor Ort wohl nicht gibt, womit man einen Apotheker schon gewisses Vertrauen entgegenbringen muss. Danny jedoch beurteilt die katholische Kirche und die Tankstelle vor Ort besser, auch das sollte einem zu denken geben. Der Ort ist so klein, dass die deutschsprachige Wikipedia ihn überhaupt nicht kennt, während die englischsprachige Wikipedia ihn als Ausbruchsort des Marburg-Virus zumindest erwähnt, auch wenn weitere Informationen nicht vorliegen. 128 Menschen kamen bei dem Ausbruch ums Leben.

Simenon berichtete, dass es in dem Ort Villen gab, versehen mit dem Adjektiv »hübsch«, darüber hinaus Tennisplätze und Geschäfte. In denen lebten die Weißen, etwas anderes hätte man auch kaum anbekommen ... oder? Für die Arbeiter und den Goldminen vor Ort, die es heute noch gibt, sah die Situation ein wenig anders aus. Die Arbeiter wurden von Agenten herbeigeschafft. Die Agenten suchten meist den Kontakt zu Stammesfürsten und die pickten sich dann Leute aus ihren Reihen heraus. Dafür gab es dann von den Agenten einen Obolus.

Es wird geschildert, wie der gerade noch unter seinesgleichen lebende Mann zu den Goldminen gebracht wurde, dort in eine Hütte zu ziehen hatte und dem gewisse Rationen an Fleisch und Reis gewährt wurden. Simenon erwähnt an der Stelle auch, dass diese Arbeiter Anspruch auf ärztliche Betreuung hatten. Hört sich erst einmal gut an, allerdings wird in der Reportage später noch erwähnt, wie hoch die Überlebensquote bei derartigen wirtschaftlichen Aktivitäten war – wer die Wahl gehabt hätte, hätte gewiss von der Arbeit Abstand genommen und wäre in seinem Dorf geblieben.

Aber was zählt das menschliche Leben? Simenon vermittelt den Eindruck, dass es den Einheimischen selbst nicht so viel zu bedeutet. Nebenbuhler würden gnadenlos ausgeschaltet. Dann das:

Hält man ihm die vielen Jahre Gefängnis vor, die er verbüssen müssen wird, wird er wie alle Neger fragen: »Kriegt man denn im Gefängnis nichts zu essen?«

Wirklich, fragen das alle in Afrika beheimateten Menschen schwarzer Hautfarbe? Nein, werden sie heute nicht und haben sie damals auch nicht. Der Beweis liefert uns Simenon fünfzig Seiten später, als er die verschiedenen Milieus beschreibt, die er in Afrika kennengelernt hat.

Sie leben, weil sie geboren wurden und noch nicht gestorben sind, und stellen sich nie die Frage, ob sie glücklich sind. Wissen sie überhaupt, was glücklich sein heißt?

Der erste Teil der Aussage ist noch tolerabel. Es ist ein Gemeinplatz. Ich lebe auch, weil ich geboren wurde und auch deshalb, weil ich noch gestorben bin. Soweit es geht, investiere ich in Maßnahmen, die den Zustand erhalten. Mit der Unsterblichkeit hat es bisher nicht so geklappt. Bleibt der zweite Teil des Satzes, der eine solche unglaubliche Verallgemeinerung ist, das er einem die Sprache verschlägt. Die Begründung, die Simenon sich dafür ausgedacht hat, ist noch unglaublicher:

Afrika ist zu groß. [...] Die Neger laufen herum und verlieren sich in der Leere des Raums; selbst von den Termitenhügeln werden sie mindestens um einen Meter überragt. Sie erwarten, dass diese Menschen fröhlich und ausgelassen sind? Versuchen Sie einmal, sich in einem Festsaal zu amüsieren, der ein Fassungsvermögen von 5000 Menschen hat.

Es kann durchaus sein, dass Simenon das so vorgekommen ist, wie er es hier beschreibt. Wenn man versucht heute, fast neunzig Jahre später, wo man glaubt, alles ist möglich, eine Route von Port-Gentil nach Watsa zu berechnen, der wird als Antwort bekommen, dass das unmöglich ist. Es gibt also keine Straßenverbindung, die sich so einfach nutzen ließe und zwischen den beiden Orten liegen 2.600 Kilometer Luftlinie. Ein kleiner Vergleich um die Dimensionen deutlich zu machen: Das ist die Strecke von Berlin nach Rabatt oder von Berlin nach Wolgograd (Stalingrad). Simenon wird sich der komfortabelsten Transportmittel bedient haben, die ihm zur Verfügung standen, und es wird immer noch eine sehr mühsame Angelegenheit gewesen sein. Es mag nicht sehr bevölkert gewesen sein, aber das dies ein Grund für mangelnde Fröhlichkeit gewesen sein soll, das ist schwer vorstellbar.

Mein Winden im Sessel hatte damit jedoch noch kein Ende, denn während gerade noch gesagt worden ist, dass Afrikaner nicht glücklich sein könnten, kommt dann dies:

Und von Zeit zu Zeit versammeln sie sich um das Lagerfeuer und beginnen mit großer Zungenfertigkeit lachend zu reden und zu gestikulieren. Sie sprechen unverständliche Worte, nur des Lärms wegen, und machen Faxen stundenlang, während rings um sie herum das Schwarze Afrika stillsteht.

Da sind Menschen, die sich zusammentun, miteinander reden, lachen und gestikulieren, die sogar Faxen machen und Simenon kann darin kein Glück erkennen? Über die Wertung, dass nur unverständlich Worte gesprochen werden (wahrscheinlich Bangba, was man in der Gegend halt so spricht) und nur des Lärms wegen gesprochen wird, will ich mich gar nicht weiter auslassen. Ich würde nur kurz dagegen halten: Ein Bierzelt bei einem Oktoberfest. Das Lagerfeuer dürfte fehlen und das schwarze Afrika steht auch nicht still, der Rest lässt sich aber gewiss übertragen.

Die Schlüsse, die Simenon hier zieht, kann man nur abenteuerlich nennen.

Er kommt von diesem Thema zur wirtschaftlichen Betrachtung. Er ist der Meinung, dass die Aufwände, die in den Anbau und Transport von gewissen landwirtschaftlichen Produkten gesteckt werden müssen, in keinem Verhältnis zu den Erträgen stehen. Simenon rechnet uns vor, dass die Sterblichkeitsrate auf den Farmen damals bei bis zu 30% im Jahr lag und in den Minen bis zu 40%. Es wurde eine Eisenbahnstrecke vom Kongo bis zum Atlantischen Ozean gebaut: Pro Schwelle wäre ein Schwarzer umgekommen, pro Kilometer ein Weißer. Die Information kommt mit einem Hammer, bevor der Autor ausführlich den Bau einer solchen Eisenbahnstrecke schildert, den er – wie man ohne zu viel zu verraten – für den blanken Irrsinn hält: menschlich wie auch wirtschaftlich.

Über Verrückte und Kannibalen

Bei unangenehmen Dingen zeigen wir ganz gern mit dem Finger auf die anderen zeigt und sagt: »Bei dem passiert das und das!« Mir fällt das auf, wenn über Amokläufe in den USA berichtet wird. Warum machen die nichts, heißt es dann? Warum sind die so gleichgültig? Wenn man kurz inne hält und auf Deutschland schaut, wird man feststellen, dass wir in jüngerer Zeit auch nicht gerade von solchen Taten verschont worden sind. Amokläufe in Innenstädten kommen schon vor, oder? Oder Piloten, die ein Passagierflugzeug gegen einen Berg krachen lassen, was man leicht als Amok qualifizieren kann. Damit werden Taten, die anderswo – wo auch immer – begangen werden, aber nicht relativiert. Es hilft aber vielleicht, von seinem hohen Ross herunterzusteigen.

Beispiel Kannibalismus: Da saß ich auf dem hohen Ross und googelte mal Kannibalismus. Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass einer der ersten Artikel, die ich fand, sich mit deutschem Kannibalismus beschäftigte. Genau: Der Kannibale von Rotenburg war doch recht präsent in den Medien und hat es sogar zu Erwähnungen in einigen bekannten amerikanischen Krimi-Serien geschafft. Ich hätte ein wenig mehr Exotik erwartet, zumal in dem Artikel von Simenon, Kannibalismus eine wichtige Rolle spielt. So eine, bei der eine Mutter zu ihrem Sohn sagen wird: »Da fährst Du mir nicht hin! Die fressen dich auf!«

Liest man den Wikipedia-Artikel zu dem Thema »Kannibalismus«, wird man erstaunt feststellen, dass von Afrika keine Rede ist. Der gesamte, riesige Kontinent wird nicht einmal erwähnt (Stand: April 2018). Prüft man die von der Suchmaschine gefundenen Beiträge weiter und überblättert die, in denen davon die Rede ist, dass nun Dank Angela Merkel die Menschenfresser nach Deutschland kämen, stellt man irgendwann fest: Ja, auch in Afrika gab es Kannibalismus und wird es wahrscheinlich noch welchen geben. Anthropologen sagen, dass dies aber nicht der Nahrungsaufnahme dient, sondern vielmehr der Verehrung von Verstorbenen, die man zu sich nimmt, um sie bei sich zu behalten, oder im Fall von kriegerischen Auseinandersetzungen werden getötete Feinde zur Abschreckung verspeist. Es wird nicht getötet, um zu essen.

In diesem Sinne spricht Simenon auch, der von Geschichten berichtet, dass die Afrikaner sich aufgefressen hätten. Der Berichtende hätte betont, dass man den Mann umgebracht hatte und dann nur »das gute Fleisch« hat nicht verkommen lassen wollen. Eine gleichermaßen pragmatische wie auch abstoßende Herangehensweise.

Ich will es mal so zusammenfassen: Eine gewisse Exotik hat das Thema schon.

Ansonsten geht es in dem Kapitel hauptsächlich darum, wie man als Weißer einer schwarzen Frau ohne weitere Kosten beiwohnt und wie Schwarze Weiße umbringen, Weiße glauben, dass Schwarze sie umbringen wollen und Weiße Schwarze umbringen.

Die feinen Herren

Bei seiner Reise durch die unterschiedlichen Länder fiel Simenon auf, dass die englischen Kolonial-Vertreter wesentlich frischer wirkten als die Vertreter Belgiens und Frankreichs. Ein Grund dafür, mutmaßte Simenon, dürften die Heimreise-Regeln der verschiedenen Kolonialmächte gewesen sein. Engländer hielten es beispielsweise so, dass man acht Monate Dienst hatte und dann vier Monate Heimat-Urlaub. Französische Beamte mussten zwei Jahre vor Ort bleiben, Belgier sogar drei, bevor es einen Heimaturlaub gab.

Einen weiteren Unterschied zwischen den verschiedenen Kolonialmächten fand Simenon in der Art und Weise, wie die Einheimischen behandelt wurden. Engländer würden die Einheimischen so ansiedeln, dass die Schwarzen fern der ihrer Siedlung wohnten. Das Inselvolk suchte keinen direkten Kontakt, vermied es sogar, mit den Einheimischen zu sprechen. Engländer wären auch nicht auf die Idee gekommen, die Sprache der kolonialisierten Völker zu sprechen. Das geht schon über Arroganz hinaus und zeigt den Weg, den man später in Südafrika mit der Apartheid exerzierte.

Die belgischen Kolonialherren handhabten es etwas anders: Die Kolonialbeamten waren häufig Junggesellin und die einheimische Haushälterin war in diesem Fall nicht nur Haushälterin. Es wurde nicht gesagt, dass sie ein Ehefrau-Ersatz war - und schon gar nicht durfte sie Ehefrau werden. Aber es wusste wohl jeder, was sie für einen Status hatte. Überdies waren die Belgier gezwungen, die Sprache der Einheimischen zu lernen - denn sie waren der Meinung, dass die Einheimischen nicht würdig waren, Französisch zu sprechen.

Simenon beschreibt ein Nord-Süd-Gefälle, welches dadurch bedingt sei, dass die nördlicheren Länder früher besiedelt wären und eine längere Entwicklung im Kolonialprozess mitgemacht hätten. Es gäbe drei Stufen von Einheimische: Diejenigen, die im Busch leben würden; dann die, die im als Arbeiter angeworben würden und schließlich, die höchste Klasse, die Ladengehilfe und Büro-Angestellte. Es gäbe, so wird berichtet Simenon, auch reiche Schwarze, aber das wäre keine eigene Klasse. Als Beispiel wird dazu Conakry herangezogen, welches zur damaligen Zeit als Afrikas Paris galt. Dort gäbe es ein gleichberechtigtes Miteinander zwischen Schwarzen und Weißen. Während andere Kolonialstädte nicht in der Lage wären, allein zu existieren und auf Lieferung aus den herrschenden Staaten angewiesen wäre, würden sich französische Städte auch allein bewehren können. Das bringt Simenon zu einer entscheidenden Frage:

Wie ich sagte, in Conakry wie in allen französischen Städten Afrikas poliert das Leben. Die Städte sind unabhängig von der übrigen Welt, auch wenn das Schiff einmal ein, zwei Jahre nicht anlegen sollte. Aber gerade dieses volle Leben beunruhigt mich: Wenn der Aufschwung einmal da und das Räderwerk gut geölt ist, werden sich da die Eingeborenen nicht fragen, wozu wir noch von Nutzen sind?

Simenon hat die richtige Frage gestellt, auch wenn man sich heute fragt, warum er »beunruhigt« ist und ob die Sichtweise zu halten ist, dass »wir« den Einheimischen wirklich von Nutzen waren. Im nächsten Artikel seiner Serie beleuchtete er die Fragestellung genauer.

Ein Fazit

In seinem letzten Artikel versucht Simenon ein Resümee zu ziehen. Er schreibt Sätze wie:

Im Grunde sind es immer die gleichen kindlichen Gemüter, nur mit dem kleinen Unterschied, dass man einige hat glauben machen, sie seien wichtig, und sie daher wie verwöhnte Kinder schlechte Gewohnheiten angenommen haben.

Um dann keine Seite später festzustellen:

Der Neger ist ein großer Junge, ein Junge in den Flegeljahren. Er hat gerade erst entdeckt, dass er schon ein Mann ist, ist außer sich vor Freude und will es mit aller Gewalt unter Beweis stellen.

Simenon bereitete die damaligen Leser vor, dass sich die Einheimischen emanzipieren könnten. Sie würden im Augenblick noch hinnehmen, was passiert – man darf die besseren Waffen der Kolonialmächte nicht vergessen –, aber das würde sich noch ändern. Simenon konnte nicht sagen, wann das passiert. Aber er lässt einen derjenigen Kolonisten zu Wort kommen, die fernab der Städte ist und der Meinung war, dass die Einheimischen vielleicht nicht zählen können, aber ein gutes Gedächtnis hätten und sich die Schläge, die sie empfangen haben, gut merken würden. Dreißig Jahre, bevor es passieren sollte, so eine Entwicklung vorherzusehen, scheint mir beeindruckend. Wer diesen Text wie auch andere zu dem gleichen Thema von Simenon liest, weiß allerdings auch, dass er dem Konzept des »Kolonialismus« ablehnend gegenüberstand.

Die meisten Leser mögen sich heute daran stören, dass Simenon das N-Wort wie das normalste Wort der Welt verwendet. Zu der Zeit war es aber auch ein völlig gebräuchliches Wort.

Interessanter ist, wie man mit den Schlüssen umgeht, die Simenon aus dem Verhalten der Afrikaner (der angestammten und hinzugezogenen) zieht. So findet sich seinem Text die Feststellung, dass Bildung dafür sorgen würde, dass auch die Einheimischen qualifizierte Arbeit annehmen könnten und beschreibt den damit entstehenden höheren Wohlstand. Eine Konsequenz der höheren Bildung wäre überdies, dass sich die Menschen auch politisch betätigen würden und so zu fragen kämen wie im vorherigen Abschnitt erwähnt: »Was nutzt es uns?«

Der Zusammenhang von Verhalten und Bildung wird von Simenon also durchaus gesehen. Allerdings werden an anderen Stellen Schwarze mit wenig charmanten Attributen beschrieben und der Eindruck erweckt, sie seien so, weil die Menschen nicht anders könnten. Wie an anderer Stelle liegt die Ursache aber vielmehr darin, dass man versuchte den Ureinwohnern innerhalb kürzester Zeit eine komplett anderen Kultur und deren Wertungsmaßstäbe überstülpte. Die Menschen in Europa hatten Jahrhunderte Zeit, ähnliche Gewohnheiten zu ändern bzw. abzulegen.

Gleichzeitig hielt man die Menschen in der Masse dumm, was aus dem Blickwinkel einer Kolonialmacht eine verständliche Vorgehensweise war: Die billigen arbeitenden Ressourcen sollten sich keine Gedanken darüber machen, warum sie denn eigentlich ausgebeutet werden. Es starben 40% der Arbeiter im Jahr in den Bergwerken? Das interessierte niemanden, da es die Aktionäre nicht interessierte und die Bevölkerung zu Hause nicht erfuhr.

Es ist also unfair, einzelne Menschen aus ihrer gewohnten (wenn vielleicht auch archaisch wirkenden) Umgebung herauszureißen, zum Arbeiten zu verkaufen, um sie dann nach Maßstäben, die vielleicht gestern noch nicht für sie galten, zu beurteilen.

Die Milde, die Simenon hätte walten lassen sollen, sollten wir Leser walten lassen. An vielerlei Hinsicht sind wir heute aufgeklärter, als es die Menschen und den 30er Jahren des vergangenen Jahrhunderts waren und schöpfen aus einem reicheren Erfahrungsschatz, da sich das Rad der Zeit erbarmungslos weiterdrehte.