Fast so gut wie ausgedacht
Vorangestellt hat man dem Artikel ein Zitat von Simenon, in dem er sagt:
»Als Schriftsteller hätte ich mir niemals erlauben können, derart ausgefallene Begebenheiten zu erfinden.«
In der Tat hat man Schwierigkeiten, das Geschriebene ernst zu nehmen. Einerseits ist es in der Zeitung erschienen, andererseits darf man nicht alles glauben, was in einer Zeitung steht. Die Geschichte ist zu fantastisch, zu ausgefallen.
Es ist aber eine Geschichte, die auch heute noch zu faszinieren scheint: zum einen hat eine der Beteiligten ein Buch herausgebracht – der Titel: »Postlagernd Floreana«, es gab Anfang der neunziger Jahre einen Artikel »Mysteriöser Sündenfall im Aussteiger-Paradies« und zumindest eine Quelle im Internet, in dem über den Fall beschrieben wird. Zumindest die letzten beiden Quellen differieren ein wenig, dazu aber später mehr.
Dr. Ritter hat beschlossen auszusteigen und ein Leben in der Natur zu führen. Der Mann in den besten Jahren hat Ehe-Schwierigkeiten in Berlin und die Vorbereitungen beginnen schon turbulent – schließlich nimmt Ritter als Begleiterin, die Frau des Liebhabers seiner Frau mit (ganz schön kompliziert), die sich in Ritter verliebt hat. Ich kann das nicht ganz nachvollziehen, aber es muss richtige Liebe gewesen sein: Ritter, ein Mann besten Alters, hatte sich vor Reisebeginn sämtliche Zähne ziehen lassen, um daran erinnert zu werden, dass er nie wieder Fleisch essen will. Das kann kein schöner Anblick gewesen sein, einmal davon abgesehen, dass man für so manche Frucht schon ordentliche »Beißerchen« braucht. Vielleicht diente ja dazu das Eisengebiß, von dem die Rede war.
Sie planten auf der Insel ein Einsiedler-Leben im Einklang mit der Natur zu führen. Das klingt fantastisch und begrüßenswert. Floreana, die Insel, die sich Ritter dafür ausgesucht hat, gab dafür aber nicht viel her. Insel und Galapagos klingt erst einmal idyllisch – tatsächlich war das Leben aber hart. Wasser gab es in der Regenzeit genug, man konnte es nicht mehr sehen. In der Trockenzeit musste man sorgsam damit wirtschaften – das Leben auf der Insel musste gut durchgeplant sein, um zu überleben. Nahrungsmittel kamen alle sechs Monate mit einem Schiff, aber die Ritters versuchten, ohne diese durchzukommen, nur von dem zu leben, was die Insel hergab.
Ritter hatte ein gewisses Mitteilungsbedürfnis. Er schrieb Bücher und Artikel, unter anderem auch über sein Leben auf der Insel, die Ideale, die er damit verbindet. Das spricht in Leser tatkräftige Menschen an: zum Beispiel die Wittmers. Die machen sich mit ihrem Sohn auf die Fahrt. Es ist immer wieder die Rede davon, das gerade der Sohn ein ausschlaggebenes Argument für den Aufbruch war: er war behindert (blind in der einen Quelle, lungenkrank in der anderen), und nur das Klima auf Floreana würde ihn am Leben halten. Man darf davon ausgehen, dass sich Ritter das so nicht vorgestellt hat: darüber berichten, gut – dafür bekam er auch Geld; aber dass dann Anhänger seines Lebens nachziehen, hatte er wohl nicht gewollt. (Wobei er in meinen Augen noch Glück hatte. Ein Artikel in der heutigen Zeit und er hätte mit sehr viel mehr Anhängern zu rechnen – er könnte sogar gleich ein Hotel bauen.)
Die Wittmers passten sich gut an die Gegebenheiten an – sie wollten so leben, wie es Dr. Ritter in seinen Artikeln beschrieben hatte. Ganz anders die Baronin, die eines Tages auf der Insel auftauchte: sie hatte auch Artikel von dem Doktor gelesen, hatte aber nicht nur andere Vorstellungen von der Insel, sondern auch andere Pläne. Mit diesen, wie auch mit ihrer übrigen Lebensweise, war sie der Welt ein paar Schritte voraus. Die Frau brachte zwei Liebhaber mit auf die Insel – was sie nicht mitbrachte, war Verständnis für die Natur. Schon bald entspann sich ein Konflikt um eine wichtigste Ressource: Wasser.
Das Ende vom Lied beschreibt Simenon in seinem Artikel: Es gibt sehr wenig Überlebende in dem Drama. Die Abfahrt der Lebensgefährtin von Ritter konnte Simenon persönlich beobachten: sie kehrte nach Berlin zurück; die Wittmers blieben auf der Insel und lebten im Einklang mit der Natur, wie es der Doktor, der verstarb, gepriesen hat.
So eine ausgefallene Geschichte wird nicht vergessen. 1990 gab es, wie oben schon berichtet, ein Artikel in einer Zeitung. Darin wird berichtet, dass ...
... sie im Auftrage amerikanischer Millionäre, Floreana in eine Hotelparadies verwandeln wolle, und dass sie die »Kaiserin« von Galapagos sei und auch so angeredet zu werden wünsche.
Der Autor dieses Artikel, Franjo Terhart, behauptet, dass Magret Wittmer ihren Mann Heinz erschossen hätte. Dagegen spricht allerdings eine andere Quelle, die online nicht mehr verfügbar ist, aber es gibt noch einen Bildschirmabzug dieses Artikels.
Hier ist in einem Artikel zu finden, welcher der im Jahr 2000 verstorbenen Magret Wittmer gewidmet ist, in dem steht, dass Sohn Harry von einer Angeltour nicht zurückkam (1951 – laut Terhat soll der blinde Sohn sich zu Tode gestürzt haben. Aber können Blinde angeln? Das stimmt hinten und vorne nicht.), und der Mann 1963 – wobei von »erschossen« kein Wort zu finden ist.
Diese Geschichte wurde übrigens von Simenon zu einem Roman verarbeitet – »... die da dürstet.«.