Fall durch Zufall
Mittlerweile bin ich der Meinung, dass Émile der Familienname des führenden Kopfes der Agence O ist. Diesbezüglich hatte ich einige Zweifel gehabt, denn der Name ist als Rufname in Frankreich auch sehr beliebt (zumindest war er es in der Vergangenheit). Aber in dieser Erzählung gab es eine förmliche Situation, in der der Privatdetektiv nach seinem Namen gefragt wurde, und er antwortete mit »Émile«; die Nennung seines Vornamens wäre bei der Gelegenheit nicht schicklich gewesen.
Torrence, seinerzeit Inspektor bei Maigret und immer noch mit hervorragenden Verbindungen in Richtung Quai des Orfèvres, weiß weiterhin nicht, dass Monsieur Émile der Chef der Agentur ist und hält seinen Kollegen für einen normalen Angestellten der Detektei. Dieser will ganz und gar nicht diesem Eindruck entgegenstehen und unternimmt alles, dieses Bild zu stärken. Er nennt Torrence »Chef«, hebt ihn in Gespräche mit Dritten – insbesondere Staatsdienern – hervor und lässt sich von Torrence mit Blick auf das schlechte Einkommen von »normalen« Angestellten auf Drinks einladen.
Während das Aushängeschild der Firma um gute Verbindungen zu Kriminalpolizei bemüht ist, hat es fast den Anschein, als würde sich Émile einen Spaß daraus machen, Beamten auf die Füße zu treten. Dabei setzt er eine unterwürfige Mine auf und verweist auf seinen Chef, den bekannten Torrence, der meistens keinen eigenen Plan hat. Der ehemalige Polizist hat bei den Unternehmungen auch einen Blick auf das Einkommen der Detektei und mochte es nicht, wenn »Einfach-nur-so«-Ermittlungen gestartet wurden.
Eine neugierig machende Pause
Wie in diesem Fall. Émile entspannte in einem Café und sinnierte vor sich hin. In der Nähe saß eine Frau, die mit ihren Absätzen klackerte. Das hätte zu einer nervigen Störung werden können, aber der Schnüffler hatte schnell das Gefühl, dass an dem Geklapper etwas dran war. Es war ein Muster, das er aus seiner Zeit bei der Marine: Morsezeichen. Erst war es nur eine Zahl. Dann wurde schnell eine Adresse draus:
»Rue Blomet 22 ... Dritter Stock ...«
Der Detektiv machte hier einen begriffsstutzigeren Eindruck. Genau genommen war er seine Leistung bemerkenswert, denn obwohl er ein abwesend gewesen war, schließlich war eine Pausenzeit, erkannte er den Code. Aber im Französischen wird die Hausnummer vor die Straße gestellt, insofern hat er vielleicht wirklich erst die Ziffer wahrgenommen, bevor der Rest der Adresse genannt wurde.
Das Interesse war geweckt und Émile prüfte, wem die Nachricht gegolten haben könnte und schaute sich seine Umgebung an. Konkret konnte er nichts entdecken. Seine einzige Spur, die Frau, machte sich daran, die Lokalität zu verlassen. Deshalb brach er auch auf und schlenderte der Frau hinterher. Bei dem Nachspüren stellte er fest, dass er nicht der einzige Verfolger war und sich ein anderer ebenfalls daran gemacht hatte, die ungewöhnlich Morsende nicht aus den Augen zu verlieren.
Die Frau war jedoch cleverer als die beiden Männer und es gelang ihr, über die Metro zu entkommen. Der Privatdetektiv entschied, wenn er schon die Unbekannte verloren hatte und nicht wusste, wen sie angemorst hatte, er immer noch dem Fremden folgen konnte. Ein Fall für die Detektei wurde es in dem Augenblick, als er Barbet dazu zog. Der sollte den fremden Verfolger observieren.
Émile hatte schließlich noch eine andere Spur. Die Frage war, ob das nun ein Fall war oder nicht.
Saftig
Schon bei der Erzählung »Monsieur Safts Schicksal« fand ich den Familiennamen Saft sehr bemerkenswert. Da ist ein gewisser deutscher Zungenschlag vorhanden, andererseits fremdelte ich mit dem Namen, da ich niemanden mit dem Namen kenne. Das Telefonbuch spuckt den Namen »Saft« durchaus aus, aber extrem selten in Deutschland und in Frankreich.
Aber der Namensträger besaß weder eine deutsche noch eine französische Staatsbürgerschaft, er war Pole. Als Émile ihn in der Rue Blomet aufgespürt hatte, war der Mann allerdings in Bezug auf seinen Namen noch auf sonstige Angelegenheiten auskunftsfreudig. Er war tot. Das war noch niemandem aufgefallen, weil er in einem abgeschlossenen Wandschrank eingesperrt war.
Aus dem fiel er dem Detektiv nicht mit dem Label »Pole« in die Hände, aber nach einem Leichenfund wird man normalerweise klüger. Bevor er die Fragen um den Toten beantworten konnte, hatte sich Émile jedoch den ermittelnden Beamten zu stellen, die wissen wollten, was er in der Pension zu tun hatte, warum er sich in diese einmieten wollte, warum er an den abgeschlossenen Wandschrank ging und ihn ohne Schlüssel öffnete und – nun ja – was er mit der Leiche zu schaffen hatte.
Mit von der Partie waren schnell Kommissar Lucas und die Staatsanwaltschaft. Es wäre ein idealer Zeitpunkt gewesen, einen Schritt zurückzutreten. Die Staatsdiener hätten dann in Ruhe ihrer Arbeit erledigen können. Das wäre aber nicht der Émile gewesen, wie wir ihn schon kennengelernt haben. Insofern ist kurz darauf die komplette Belegschaft der Agence O in die Ermittlungen involviert.
Kombiniere!
Die unglaubliche Form der Aufdeckung einer Affäre machen schon deutlich, dass es der Leser mit einer außergewöhnlichen Ermittlung zu tun bekommt. Ich kann an der Stelle versprechen, dass Simenon nicht nur eine schöne Idee zu Einstieg gefunden hat, auch die Lösung des Falles ist plausibel und kommt mit einem versöhnlichen Ende daher. Émile zeigt sich als geborener Gentleman und die Detektei kommt auch noch zu ein wenig Einkommen.
Mit dieser Erzählung schließt, zumindest im Deutschen, der erste Erzählband um die Agence O.