Über die Story
Man hätte es sich eigentlich denken können: Oscar Donadieu war in dem Roman »Das Testament Donadieu«, eine der Figuren, die sich immerfort am Rande des Geschehens bewegten, nie ganz Hauptfigur waren, aber trotzdem von einer gewissen Wichtigkeit. Der junge Donadieu war der Aussteiger in der Familie, der sehr früh von zu Hause ausriss, und in Amerika bewies, sein Überlebensgeschick bewies. Wenn man sich seinen Weg so besah, konnte man glauben, dass er sein Glück gefunden hatte - in der Einfachheit.
Die Geschichte beginnt zu einem Zeitpunkt, da der Selbstmord Oscars Schwester Martine eine Weile zurückliegt. Das Reederei-Imperium der Donadieus ist endgültig zusammengebrochen und Oscar hatte die letzten Monate damit verbracht, den Nachlass seiner Schwester und seines Schwagers in Ordnung zu bringen. Viel war nicht übrig geblieben und die Hinterbliebenen lebten in bescheidenen Verhältnissen.
Oscar hatte sich entschlossen, auszusteigen: Als Ziel wählte er Tahiti. Schon die Überfahrt wurde für ihn zur Qual. Er wird stetig daran erinnert, dass die Donadieus mal wer waren: einige Gäste verdankten ihre Karriere seinem Vater, der ebenfalls Oscar hieß (und zu Beginn der ersten Geschichte, ins Hafenbecken von La Rochelle fiel und ertrank). Diese »Günstlinge« (was nicht negativ gemeint ist) waren sich unsicher, wie sie sich gegenüber dem Sohn zu verhalten hatte. Jedem waren die Geschichten um die Affäre Donadieu im Gedächtnis haften geblieben, die einen Makel darstellten. Der dunkle Fleck hatte aber nichts damit zu tun, dass sie es mit dem Sohn eines berühmten Reeders zu tun hatten, dem sie mit Respekt begegnen mussten. Bei vielen war es das Problem Mitleid, jetzt, da sie sahen, dass der Nachkömmling abgestiegen war und nur zweiter Klasse nach Tahiti reiste.
Dann kommt es kurz vor Tahiti zu einer erstaunlichen Begegnung. Das Schwesterschiff der »Ile-de-Ré« übergab eine außergewöhnliche Fracht: ihren Kapitän. Der hatte sich kurz nach Beginn der Reise entschlossen, einen seiner Offiziere zu erschießen, da dieser eine Affäre mit seiner Geliebten hatte. Kapitän Lagre hatte seine Laufbahn in der Reederei Donadieu begonnen und Oscar Donadieu Jr. war Taufpate eines Kindes von Lagre. Oscar war sich ziemlich sicher, dass der Kapitän sich jetzt nicht mehr daran erinnern würde. Er probiert trotzdem Kontakt aufzunehmen, das einzige Mal während der Reise. Die Reaktion Lagres kann man distanziert nenne, wenn nicht sogar abwesend.
Mit der Ankunft der »Ile-de-Ré« kommen auf den Gouverneur von Tahiti gleich zwei Probleme zu: Zum einen hat er es mit Lagre zu tun, einem Mörder, für dessen Prozess er zu sorgen hat. Mord war bisher auf der Insel kein großes Thema, weshalb die Gerichtsbarkeit für solch einen Prozess nicht gewappnet war. Ein zusätzliches Problem war, dass Lagre ein Weißer war und das Gefängnis nicht für einen weißen Langzeitgefangenen gedacht war (wenn ich es richtig verstanden habe, gab es gefängnismäßig unterschiedliche Standards – Franzosen aus dem Heimatland wurden besser behandelt).
Als ob das nicht schon ein großer Happen wäre, muss auch noch Donadieu auftauchen. Denn auch der Gouverneur fühlt sich dem Reeder-Sohn verpflichtet.
Der hat derweil Pläne, die sich mit denen des Gouverneurs überhaupt nicht decken. Er verbringt die Tage bis zum Ende der Regenzeit in der Stadt und macht sich dann auf den Weg in das Inselinnere. Sein Plan besteht darin, im Einklang mit der Natur zu leben. Die Insulaner haben für solche Leute einen Namen: »Bananentouristen«. Sie lächeln über die Ankömmlinge, die glauben von Luft und Liebe leben zu können, die den harten Alltag in der Wildnis unterschätzen. Viele kommen nach wenigen Wochen wieder in die Stadt, werden bei den Behörden vorstellig und bitten um Unterstützung, wieder in die Heimat zurückkehren zu können.
Donadieu, so scheint es, hatte es richtig angepackt. Er hatte ein herrliches Plätzchen gefunden: Über einem Wasserfall mit einem prächtigen Blick über die Insel. Mit der harten Realität hatte aber auch Donadieu zu kämpfen. Er musste erfahren, dass man nicht alle Fische essen konnte - Fische, die er mühsam gefangen hat. Was am Tag Herrlichkeit bedeutete, die Einsamkeit und die Möglichkeit die Natur unverfälscht zu genießen, erwies sich in der Nacht als sehr beunruhigend. Der Aussteiger wusste sehr wohl, dass es keine giftigen und gefährlichen Tiere auf der Insel gab, aber selbst wenn auf solche eine Information Verlass war, hieß das noch lange nicht, dass man persönlich beruhigt war. Donadieu war es jedenfalls nicht.
Der Gouverneur lässt die Donadieu-Angelegenheit ebenfalls keine Ruhe. Der sendet Donadieu einen »Gesandten«, der Überzeugungsarbeit leisten soll, auf dass der Neu-Tahitianer in die Stadt kommt und eine zivile Stelle annimmt. Die Wahl des »Gesandten« war vielleicht nicht geschickt gewählt. Raphaël, der Gesandte, erzeugte in Donadieu ein Gefühl der Ablehnung, er weigert sich schlichtweg in die Stadt zu kommen. Steif und fest behauptet er, er würde sehr gut zurecht kommen. Donadieu schämt sich nicht, zu lügen.
Allerdings hat der »Gesandte« einen Trumpf in der Hinterhand: seine Begleiterin. Tamatéa war die Geliebte des Gerichtspräsidenten, sie hatte eine Affäre mit dem Raphaël, zu dem zum Mörder gewordenen Kaptiän Lagre und dessem Opfer. Auch Donadieu verfällt innerhalb weniger Stunden der Eingeborenen, die diese außerordentlich intensiven gesellschaftlichen Beziehungen pflegte.
Es nimmt kein gutes Ende, so viel sei verraten. Man könnte fast glauben, dass Simenon Oscar Donadieu jr. vergessen hatte, ein schreckliches zu »verpassen« und ihn deshalb noch einmal nach Tahiti schickte. Es ist kein »Muss«-Roman, aber die Geschichte ist gut lesbar. Die Geschichte des Kapitäns, der zum Mörder, und die Schilderungen des Lebens auf der Insel sind gut in die Geschichte Donadieus integriert. Interessant wird die Geschichte durch die Tatsache, dass Simenon auch in diesem Roman eigene Erlebnisse und Beobachtungen verarbeitet haben dürfte. Aussteigen bringt kein Glück, könnte auch die Moral dieser Geschichte heißen. Ein weiteres abschreckendes Beispiel ist in dem Roman »... die da dürstet« zu finden.
Abschließend: Es ist interessant, dass Edmond, der Lehrer und Begleiter Donadieus, in diesem Roman überhaupt keine Erwähnung findet. Es gab übrigens einen weiteren Donadieu in Simenons Roman-Universum. Der Schiffsarzt in »45° im Schatten«, der allerdings keine verwandschaftlichen Beziehungen zu den Reederei-Donadieus hatte, denn sonst wäre es gewiss erwähnt worden.