Über die Story
Manchmal brechen Ereignisse über die Helden in Simenons Romanen herein, manchmal sind es die Protagonisten selbst, die glauben, etwas hätte sich geändert. In diesem Roman ist es der Held, der sein Leben verändert. Der erste Schritt wäre für sich noch ohne Konsequenzen gewesen. Emil Jovis lebt glücklich in Paris, in einer ganz normalen Straßen, mit normalen Nachbarn. Seine Frau wusste, wo sie ihre Einkäufe erledigte, kam bei den Besorgungen mit anderen Frauen in Kontakt und tat das, was man landläufig als Klatschen abtut. Der Sohn – Alain – der beiden hatte seine Schulfreunde und seine Kumpels in der Nähe. Der, der vielleicht am wenigsten in diese Umgebung integriert war, war Emil gewesen, der jeden Morgen zur Arbeit verschwand, und am Abend wiederkam. Kaum Kontakt mit den Nachbarn, die er am besten durch die Beobachtungen und den Erzählungen seiner Frau kannte.
Emil Jovis war Leiter einer Filiale eines großen Reisebüros – Barillon – in Paris. Diese Arbeit verrichtete er mustergültig, er kannte die Fahrpläne der Züge und Flugzeuge auswendig, da war er in seinem Element. Dieser Aufstieg war mit Mitte Dreißig, beendet. Weiter nach oben konnte es nicht gehen, denn die nächsten Posten waren von der Familie der Besitzer belegt. Dieses wissend, war Jovis zufrieden mit dem, was erreicht hat und machte sich daran, seinen Erfolg auszukosten.
Um Paris entstanden neue Siedlungen. Jovis – und er allein war es – beschloss, dass die Familie in eine neue Siedlung ziehen sollte, um dort eine Eigentumswohnung zu beziehen. Dafür hatte er sich auf Jahre verschuldet. Die neue Wohnung lag in der Nähe des Flughafens, man hatte ihn aber versprochen, dass die Siedlung so lag, dass sie nicht durch die startenden und landenden Flugzeuge beeinträchtigt wären.
Blanche, die Frau von Emil Jovis, war mit allem zufrieden und lebte dafür, ihren Mann und den Sohn zu versorgen. Die neue Siedlung gibt ihr sogar die Möglichkeit, sich in einem Kindergarten aufzuopfern, war Jovis nicht so gern sieht, aber erhebt keinen Einspruch. Seine Frau sollte auch ihren Spaß haben.
In einer der Nächte bekommt Jovis mit, was sich in der Nachbarwohnung (die im anderen Haus lag) abspielte. Dies war wesentlich lebhafter, als das, was er bisher erlebt hatte und lag außerhalb seiner Vorstellungskraft. Von dem, was ihn akustisch erreichte, war er gleichzeitig abgestoßen und angezogen. Nach dieser Nacht, gab er sich große Mühe, lange wach zu bleiben, um herauszubekommen, was sich noch ereignen könnte.
Dies war ein wenig schwierig, denn die Nachbarin und ihr Liebhaber schienen ausgesprochene Nachteulen zu sein. Bald bekam Jovis auch heraus, woran dies lag: Der Mann arbeitete sehr lange und war Betreiber einer Nachtbar in Paris. Er erzählte gern, was er den Tag so getrieben hatte, und vor allem auch mit wem. Zur Überraschung von Jovis war seine Nachbarin überhaupt nicht eifersüchtig, sondern erkundigte sich später nach seinen Eindrücken, damit sie vergleichen konnte. Es schien, als wäre der Mann sehr zufrieden.
Was man von Jovis nicht sagen konnte. Er kam auf den dummen Gedanken, er müsste die Nachtbar einmal ausprobieren und vielleicht würde sich die Gelegenheit ergeben, die verschiedenen Damen, von denen der unbekannte Nachbar sprach, mal zu inspizieren. Das ist eigentlich nichts verwerfliches. Aber da Blanche Katholikin war und Emil eigentlich ein Duckmäuser und sehr schüchtern, baute er, um diesen Plan zu realisieren, erst einmal ein Lügengerüst, das eines mit jedem Lügengerüst gemeinsam hatte – es schien jede Sekunde einzubrechen. Er kam halt jeden Tag zur gleichen Zeit nach Hause, für die Einkäufe war seine Frau verantwortlich und er hatte keine großen Ausgaben. Zu seinem Beruf als Reiseverkehrskaufmann gehörte es nicht, Kunden in Nachtbars zu führen. Wie sollte man in eine solche Welt den Besuch einer Nachtbar einbauen.
Einen Roman um dieses Thema wäre vermutlich recht dürftig, und so entschloss sich Simenon, einen Roman über einen Mann, der sich strohblöd in einer Nachtbar anstellt, zu schreiben. Das ist nicht besonders lustig, denn – ganz simenonesk – steuert alles auf ein dramatisches Ende zu. Das ist, in dem Augenblick, in dem man erkennt, wo es hinführt, sehr spannend. Bis zu diesem Moment ist es jedoch recht weit, und bis dahin kann es sein, dass der Leser in die Versuchung gerät, den Roman einfach beiseite zu legen. Ich würde es niemandem verübeln.