Über die Story
Alain Lefrançois schreibt einen Brief, einen Lebensbericht. Man mag sich fragen, was ein Versicherungsmathematiker, egal wie hoch er in einer Firma angesiedelt ist, so Bedeutsames zu berichten hat. Ihn haftet der Ruch an, langweilig zu sein. Alain ist da, wenn man seine Freunde und Bekannten fragen würde, keine Ausnahme. Er vergräbt sich am liebsten in seinem Arbeitszimmer und grübelt über Probleme.
Seine Frau ist von ganz anderem Kaliber, nutzt jede Gelegenheit auzubrechen – sei es zu Treffen bei Bekannten oder ins Theater. Der Sohn, gerade 16, trifft sich gern mit Freunden, egal ob es zu bei denen oder bei ihm im Zimmer oder irgendeinem Bistro ist. Keine Treffen, die die Eltern beunruhigen müssten.
Lieber Sohn!
Lächelst Du bereits über diese beiden Worte? Verrät sich in ihnen bereits meine Verlegenheit? Ich bin nicht daran gewöhnt, Dir zu schreiben. Wahrhaftig, da fällt mir plötzlich ein, dass ich Dir nicht mehr geschrieben habe, seitdem Du als Kind mit Deiner Mutter in den Ferien vorausgefahren bist und ich Dir ab und zu ein paar Briefchen geschickt habe.
Schon im ersten Absatz zeigt sich das Abschweifen des Alain Lefrançois, dem es nicht gelingen will, beim Thema zu bleiben. So erzählt er sein Leben, macht seinem Sohn klar, wie er seinen Vater, seine Mutter sah, dass er versteht, dass der alte Mann und natürlich die alte Frau für den Sohn nicht die gleiche Bedeutung gehabt haben. Bedauern, dass es seinem Sohn nicht vergönnt war, die Alten besser kennenzulernen. Erzählt, dass es zwischen ihm und dem Schwager immer wieder Ärger gibt, da dieser Mann alles im Lichte seiner Berühmtheit sieht und es unter anderem verurteilt hat, dass die Beisetzung von Alains Vaters mit kirchlicher Unterstützung stattgefunden hatte (wie meint der gute Onkel Vachet: ein Affront!). Von dieser Stelle an bis fast zum Ende, gibt es immer nur Andeutungen: im Jahre 1928 ist etwas passiert, was das Leben des Versicherungsmathematikers geändert hat. Etwas Unverzeihliches, wenn man den spitzen Bemerkungen Vachets glaubt, der es ihm immer noch übel nahm (auch damals schon ein Affront gegen ihn). Und ist es nicht bitter, wenn der Sohn aus einem solchem Brief erfahren muss, dass es zwischen seinen Eltern keine Liebe gibt? Alain gibt unumwunden zu, dass er eine Kameradin geheiratet hat, dass beide damals glaubten, dass Respekt voreinander die Basis für eine Beziehung sein können.
Nur das Geheimnis, dass mag der gute Mann in seinem Brief an den Sohn nicht preisgeben, der Leser darf gebannt den Ausführungen Lefrançois über sein Leben folgen, und das herrlich unchronologisch. Denn mit jedem Augenblick glaubt man, erfahren zu dürfen, was denn in La Rochelle in diesem Jahr 1928 passiert ist, aber immer wieder schweift Lefrançois ab. Man liest, was er uns über die Feder Simenons mitzuteilen hat, gemeinerweise lässt er einen in der Luft hängen. Was ist passiert? Nur die Frage steht nachher noch im Raum.