Der andere Porquerolles-Roman
Mal schnell gegoogelt: Roman, Porquerolles, Mittelmeer. Es soll die Urlaubslektüre werden, nicht zu schwer, nicht zu anstrengend. Simenon wird ausgegeben und irgendwo haben Sie gelesen, dass man von Simenon alles lesen soll. Sie wissen nicht, dass diese absolute Aussage mit Vorsicht zu genießen ist. Sie freuen sich wie ein Schneekönig auf ihren Urlaub auf der französischen Mittelmeerinsel und die Reise geht los. Vielleicht ist es Ihnen vergönnt, nicht selbst fahren zu müssen – also können Sie lesen. Sie fangen mit »Mein Freund Maigret« an. Seite um Seite geht es voran. Während die Geschichte voranschreitet, sehen Sie sich mit Hut und Badezeug, mit Weißwein und Pastis – zack, und dann hat der Kommissar den Fall gelöst.
Mittlerweile haben Sie die Insel erreicht und nach den ersten Ausflügen machen Sie es sich am Strand gemütlich, greifen zu Ihrem zweiten Buch »Die Ferien des Monsieur Mahé« – ein ebenfalls sehr vielversprechender Titel, bei dem Sie vielleicht Monsieur durch Madame (so es angebracht erscheint) und Mahé durch Ihren Namen ersetzen.
Und dann, schon nach wenigen Seiten, stellen Sie fest, dass Sie es mit einer Story zu tun haben, die dazu geeignet ist, die Urlaubsstimmung kaputt zu machen. Unsympathische Leute agieren in einer an Ereignissen armen Geschichte und machen einen depressiv. Der deutsche Titel ist irreführend und der Roman unter den Vorzeichen die schlechteste Urlaubslektüre, die Sie wählen können. Macht das die Geschichte zu einer schlechten – mitnichten!
Der Arzt
François Mahé war ein Kleinstadt-Arzt und hatte es sich bequem eingerichtet. Seine Hobbys waren Fischen und Jagen. Das gesellschaftliche Leben, dass seine Frau Hélène und seine Kinder führten, beschränkte sich im Großen und Ganzen auf die Familie und seinen Freund Dr. Péchade, mit dem er studiert hatte und der nicht weit von ihm praktizierte. Seine Mutter war zu ihnen gezogen und versorgte den Haushalt und den Garten mit, was ihm nur gerecht erschien, denn schließlich hatte sie ihm das Haus mit der Praxis finanziert.
Über ihn redete man mit Respekt. Das hatte man auch über seinen Vater getan, den Isidore, der ein Riese von Mann war und ums Leben kann, als er angetrunken ein Pferd durch die Gegend trug. Isidore verdiente sein Geld als Pferdehändler, aber das Tragen dererlei Vierbeinern gehörte nicht zu seinem Metier. Blöd gestorben, kann man sagen, aber unterhaltsam.
Der Sohn dagegen war eine Langeweiler. Er war dicklich, unsportlich – das Gegenteil von attraktiv. Und das wusste er auch.
Mahé war von einem Freund erzählt worden, ein Maler, dass es auch Porquerolles sehr schön sein soll. Ein Urlaub dort würde sich lohnen und kurzerhand beschließt der Arzt, dass die Familie den Urlaub dort verbringen sollte. Frau und Mutter waren in vielerlei Hinsicht irritiert: Zum einen wurde das Geplante und Gebuchte über den Haufen geworfen und zum anderen sollte der Mann doch wissen, dass sich seine Hélène auf Booten nicht wohl fühlte und Angst hatte.
Aber das machte nichts: Mahé setzte es durch. Mit Sack und Pack, aber ohne die Mutter, dafür mit dem Dienstmädchen ging es mit dem Auto ans Mittelmeer.
Der erste Urlaub
Eine Katastrophe! Allesamt mochten die Insel nicht. Hélène war das mit dem Boot und dem Wasser, wie schon erwähnt, nicht geheuer. Die Kinder vertrugen das Essen nicht. François schließlich wollte irgendwie zu den Einheimischen dazugehören und Erfolge beim Angeln haben – beides stellte sich nicht ein. Während Letzteres bemerkenswert war, denn zuhause war der Mann ein guter Angler, erscheint einem dieses »dazu gehören wollen« merkwürdig.
Der Inselarzt war auf Urlaub und so wurde Mahé zu einem Sterbefall gerufen. Anna Klamm lag im Sterben und bei ihr waren unter anderem ihre drei Kinder. Sie gehörten zu den Armen auf der Insel und nicht dazu. Die Oberen auf der Insel war die Familie ein Dorn im Auge und gern hätten sie verhindert, dass die Familie blieb. Der Mann war Quartalssäufer und ausgerechnet während seine Frau starb, war er auf Sauftour und musste mühsam herbeigebracht werden. Mahé konnte der Frau nicht mehr helfen.
Ihm fiel bei der Gelegenheit die älteste Tochter der Klamm ins Auge. Sie löste eine seltsame Faszination aus. Er begann damit, das Geschehen um die Familie zu beobachten, sich zu nähern und gleichzeitig nicht zu nähern.
Das Ganze war in so mancher Hinsicht bizarr, aber vor allem deshalb, weil Élisabeth – die Tochter – eher ein Kind denn eine Frau war.
Fortsetzung, Fortsetzung, Tod
Wenn es allen nicht gefallen hat und nur schlechte Erinnerungen damit verbunden waren – warum reiste die Familie nun Jahr für Jahr auf die Insel. Der Haushaltsvorstand wollte es so – schon klar –, aber dieser hatte ebenfalls keine guten Erfahrungen auf der Insel gemacht. Statt Freude war es Quälerei und der Leser darf an dieser Teilhaben.
Leser:innen dürfen aber nicht nur an den unglücklichen Urlauben teilhaben, sondern sie werden auch mit in das Département Deux-Sèvres geführt, in dem der Arzt praktizierte. Alles plätschert vor sich hin.
Wie es bei Simenon üblich ist, braucht es einen Knall. Der kommt in dieser Geschichte in Form der betrüblichen Nachricht, dass die Mutter Mahés schwer erkrankt war. Den Sohn erwischte die Nachricht während des Urlaubs auf Porquerolles und sofort werden die Sachen gepackt, aber der Mutter kann auch der Mahé nicht mehr helfen.
Die Obsession
Ziemlich zum Ende gibt es einen kleinen Satz, der versucht zu erklären, mit was wir es zu tun haben. Eine Liebesgeschichte. Wohlgemerkt – es war eine sehr merkwürdige Liebesgeschichte. Mahé hatte sich in Élisabeth verliebt. Anfangs mochte das eine unmögliche Liebe sein, weil es sich bei der jungen Klamm noch um ein Kind handelte. Dass es so schräg blieb, hängt damit zusammen, dass Mahé sich nie offenbarte: niemanden. Weder sein bester Freund wusste um die Gefühle des Mannes, noch seine Frau und schon gar nicht Élisabeth. So kann Liebe doch nicht funktionieren.
Der Mann versuchte seinen Schatten zu überspringen, aber er schaffte es nicht. Sein Elend war, dass er es nicht schaffte, sich zu ändern. Sich zu befreien von dem Leben, das er nicht führen wollte. Zumindest nicht eine Befreiung, die den Namen verdient. Die Ursache ist sicher in der Bevormundung durch seine Familie zu sehen: Wollte er wirklich Arzt werden oder war das der Wunsch der Mutter? Sie kaufte ihm eine Praxis und er praktizierte darin – die Mutter immer in der Nähe. Die Ehe war arrangiert, natürlich von der Mutter. Wie ein Pascha saß er in seinem Leben, alles wurde ihm serviert und komplikationslos. Die Frage ist, ob das Leben so sein sollte? Als der der Langeweile entspringt, wählt Mahé Wege, die weder erfolgreich sind noch ihn sympathisch erschienen lassen.
Es passiert nicht viel in dem Buch. Eine echte Handlung gibt es nicht. Den Leserinnen und Lesern werden einzelne Episoden vorgestellt aus einem Zeitraum von fünf Jahren vorgestellt. Dabei geht es entweder um die Zeit kurz vor dem Urlaub oder während des Urlaubs. Betrachtet wird dies aus dem Blickwinkel des Arztes ohne in die Ich-Form zu gehen.
Wer das Buch besser nicht lesen sollte, habe ich eingangs klargestellt. Liebhaber klassischer Liebesgeschichten kommen ebenso wenig auf ihre Kosten wie Leser:innen von Spannungsliteratur. Bleiben noch die, die sich an Skizzen menschlicher Existenzen erfreuen, die weder sympathisch noch erfolgreich sind – die könnten auf ihre Kosten kommen. Ist's ein guter Simenon-Roman? Aber ja.