Der Streich der einen, der Streich des anderen
Eine neblige Nacht an der Seine. Zwei Polizisten werden von einer hysterisch wirkenden Frau angesprochen, die behauptete, sie hätte einen Mann umgebracht. Gefunden wurde die Leiche nicht, die Frau kommt auf die Wache. Am nächsten Morgen erklärte sie den Beamten, das wäre ein Streich gewesen, niemand wäre gekillt worden und wollte Hause. Statt schenkelklopfend mitzulachen, gab es ernste Gesichter. Die Frau wurde zum Ufer gebracht und man zeigte ihr einen Leichnam – den von ihrem Ehemann.
Die Geschichte fängt schon mal ganz anders an, als die anderen. Und das bezieht sich nicht nur auf den Inhalt, sondern auf die Erscheinungsgeschichte. Während die ersten dreizehn Geschichten in der Zeitschrift Détective erstmals veröffentlicht wurden, ist die vierzehnte wie ein Nesthäkchen in der Zeitung »L'Intransigeant« erschienen und das drei Jahr nach den anderen.
Zu dem Zeitpunkt stand die Veröffentlichung der anderen Geschichten als Buch entweder schon an oder war schon erfolgt. Alle vierzehn Geschichten zusammen erschienen in französischer Sprache erst über dreißig Jahre später.
Das sind die administrativen Aspekte der Alleinstellung dieser Geschichte. Der Stil der Erzählung unterscheidet sich ebenfalls: Normalerweise bekommen wir ein paar Fakten serviert, meist in Form von Ausschnitten aus Akten, und dann legte Froget los. Oder er legte direkt los. Hier ist es so, dass wir lesen, wie eine Frau auf ein Verbrechen aufmerksam macht, dass sie verübt hatte (Mord, was sonst …) – die Polizisten können jedoch nichts entdecken, und bringen sie auf die Wache. Dort kümmerte sich ein Kommissar um sie.
Erst dann tritt der Richter auf und versucht die etwas irren Fäden, die sich da verknäuelt haben – und was für ein Knäuel das gewesen ist! –, auseinanderzuklabüsern.
Die Frau hatte also die Polizisten auf einen Mord aufmerksam machen wollen. Diese finden am Ufer bei der gemeinsamen Suche nichts. Deshalb wird die Dame mit aufs Revier genommen, wo sie nicht sofort vernommen werden konnte. Der Kommissar war wohl nicht da. Am nächsten Morgen sieht die Geschichte ganz anders aus: Die Frau möchte nach Hause und behauptet, dass alles nur ein Streich gewesen wäre. Sie hätte mit Freunden gewettet, dass sie die Nacht auf einem Polizeirevier verbringen würde. Das wäre ihr gelungen, und sie wollte sich empfehlen. Wurde jedoch zurückgehalten, weil die Polizisten an der Stelle, die sie ihnen gezeigt hatte, mittlerweile wirklich eine Leiche geborgen hatte.
Das war eine riesige, aber auch sehr unangenehme Überraschung für sie: Der Tote war ihr Gatte. Die Leser:innen können sich gut vorstellen, was das für Probleme mit sich bringt.
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Das funktioniert auch so ganz gut, soll mal das erste Resümee sein. Die Anmutung des Aufbaus der Story wirkt dadurch sehr klassisch und bricht mit den vorherigen Mustern. Auch am Ende unterlässt es der Richter, seine Zusammenfassung in Form eines Notiz-Heftchens. So gesehen, passt es auch nicht in den Band, sondern hat nur den gleichen Titelhelden.
Wir haben also einen schönen witzigen Plot am Anfang und eine spannende Auflösung zum Ende hin, was will man mehr. Ein Happy End für die Beteiligten. Auch das kann hier geboten werden. Zumindest wenn man die Angelegenheit durch die Brille eines abgehärteten Simenon-Lesers betrachtet.