Über die Story
Das Wetter war trübe, so wie man es von einem Dezember erwartete. Das Wetter machte auch in Nevers keine Ausnahme. Die Leute eilten durch die Straßen, um zügig nach Hause zu kommen, die Gedanken vielleicht schon beim bevorstehenden Weihnachtsfest oder bei der warmen Wohnung. Eine alte Frau schaute aus dem Fenster, in den Hauseingang, in den sich ein Pärchen gedrückt hatte, um miteinander zu knutschen. Das junge Paar nutzte diese Gelegenheit, nicht nur um sich vor der Kälte zu schützen, sondern auch vor den Blicken des Vaters des Mädchens. Er zögerte den Moment der Trennung heraus, bis die darauf drängte, nach Hause zu gehen, damit es nicht auffallen würde. Beiden war klar, dass die Eltern des Mädchens wussten, wie lang sie vom Klavierunterricht bis nach Hause brauchen würde.
In dieses trübe Wetter passt eine Erfahrung, die der junge Mann kurze Zeit später machen durfte: Der Vater stand schon am Fenster bereit und droht dem jungen Mann mit einem Gewehr. Es war nicht anzunehmen, dass Monsieur Grandvalet wirklich mit dem Gedanken spielte, abzudrücken, es war nichts anderes, als eine Machtdemonstration. Allerdings eine, die der Monsieur bald bereuen durfte. Émile Bachelin war nicht der Junge, der solche Erniedrigungen zuließ. Er betrank sich in der Stadt, mancher hätte gesagt, er hatte sich Mut angetrunken, ging dann zu einer Tankstelle, in der er sich Benzin besorgte und machte sich dann zum Haus der Grandvalets auf.
Schwer zu sagen, was für Gedanken er hatte, denn zum einen ist es kein Kavaliersdelikt, das Haus von anderen Leuten anzuzünden, und zum anderen – was die Sache noch ein wenig abwegiger erscheinen lässt – gefährdete er seine Freundin unnötig, die in diesem Haus lebte.
Die Spuren führten zu ihm, die Polizei konnte schnell eins und eins zusammenzählen. Zumal Monsieur Grandvalet nicht verschwieg, was für eine Schmach er dem jungen Émile angetan hatte. Selbst das konnte die öffentliche Meinung über den jungen Mann nicht milder stimmen: Er galt als Schuft und wurde gejagt.
Émile hatte sich schon nach Paris davon gemacht, wo er die Tage damit verbrachte zu überleben, sich dabei aber weniger auf Arbeit konzentrierte. Er hatte einen vermeintlich einfachen Weg gewählt. Er raubte alten Frauen die Handtaschen. Keiner konnte sagen, dass man dafür sonderlich viel Geschick benötigt.
Der junge Mann hatte nur ein Ziel: Ein wenig Geld beschaffen, sodass er seine Geliebte nach Paris holen konnte. Als Tarnung ließ er sich einen Bart wachsen, kleidete sich neu ein. Bei seiner Heimkehr sollten nur wenige in der Lage sein, ihn zu erkennen. Er schaffte es, seiner Freundin, die den Klavierunterricht in Begleitung ihrer Mutter besuchte, einen Zettel zuzustecken, auf der er die bevorstehende gemeinsame Flucht ankündigte und um ein Treffen bat. Er versuchte es im Geheimen, konnte aber nicht verhindern, dass Gerüchte über seine Wiederkehr in die Stadt die Runde machen, und es war unvermeidlich, dass diese Gerüchte dem Vater von Juliette zu Ohren kamen. Der traf daraufhin weitere Vorsichtsmaßnahmen.
Juliette ihrerseits hatte zu dem Zeitpunkt schon eine Entscheidung getroffen. Sie mochte nicht mehr wohlbehütet im Hause ihres Vaters leben, und entschloss sich zur gemeinsamen Flucht mit Émile. Der hatte zwei Fahrkarten nach Paris besorgt und so begann für beide ein neues Leben. Gemeinsam.
Wer sich jetzt vorgestellt: Das Pärchen lebte in Paris und macht seinen Weg nach oben, um zu bestehen, wird von Simenon ordentlich geleimt. Denn zum einen ist Juliette entsetzt, was Émile für eine Unterkunft aufgetrieben hatte; zum anderen stellte sich bald heraus, dass beide keinerlei Fähigkeiten hatten, miteinander zu leben. Sie redeten aneinander vorbei. Jeder sagte von sich, er würde unter der Situation viel mehr leiden und es gab nur halbherzige Versuche, die miserable Situation zu meistern. Wenn sie am Abend ihre Geldbestände prüften, mussten sie feststellen, dass keine vorhanden waren, zumindest keine nennenswerten.
Bevor sie Nevers verließen, schrieben sie einen Brief an die Eltern von Juliette. In diesem kündigten sie an, sich umzubringen, wenn sich die Eltern erdreisten würden, die Polizei auf ihre Spuren zu schicken. Monsieur Grandvalet, der seine Tochter abgöttisch liebte, nahm Urlaub von seinem Kassiererjob bei der Bank, um sich nach Paris zu begeben und seine Tochter aufzuspüren.
Hatte man Monsieur Grandvalet als Unsympath im Visier, da er Émile mit dem Gewehr bedroht hatte und man auch den Eindruck hatte, dass er seine Tochter mit seiner Liebe erdrücken würde, entwickelt er sich im Handlungsverlauf zu einem Sympathieträger. Juliette und Émile, mit denen man anfangs mitfiebert, schreibt man ab. Juliette schien die Tage tatenlos zu verbringen, Émile geriet schnell auf die schiefe Bahn. Es ging ihnen materiell besser, aber sie hatte nicht zueinander gefunden. Sie lebten nebeneinander her und wenn sie als Freunde bezeichnet wurden, war das schon viel. Juliette macht einen sehr egoistischen Eindruck und Émile mochte ein guter Kerl sein. Auf den wird immer angespielt: Er wäre kein schlechter Mensch, aber in seiner Not gewalttätig.
Für dieses Buch brauchte ich zwei Anläufe. Das erste Mal bekam ich nicht mal die Flucht aus Nevers mit; nachdem ich das Buch nun ausgelesen habe, kann ich allerdings nicht mehr nachvollziehen, warum. Das Buch ist durchgehend spannend und ich würde sagen, es ist einer der besten jungen Simenons, die es gibt.