Über die Story

Generationenkonflikt mal anders: Eine junge Frau nimmt ihre Großmutter bei sich auf. Es entwickelt sich schon bald ein ordentlicher Machtkampf zwischen den Frauen. Durch Gespräche versucht die eine der anderen zu erklären, warum es so ist, wie es ist. Aber keine ist bereit, ihren Lebensstil aufzugeben. Man kann großzügig sein und trotzdem Schaden anrichten, so die Lehre aus der Geschichte die Simenon mit diesem Roman erzählt.

Es liegen Welten zwischen dem Roman »Der Grenzgänger« und dieser Geschichte. Diese Behauptung kann ich zweierlei Gründen aufstellen. Zum einen von der Qualität her: obwohl ungefähr zur gleichen Zeit entstanden, sind sie von sehr unterschiedlicher Qualität. Der Roman über drei Frauen in einer Wohnung ist durchgehend spannend, auch wenn Simenon ein Thema aufgreift, welches nicht von Mord und Totschlag geprägt ist, wenn man so will, ein psychologisches Kammerspiel ist. Die Familienwelt in »Der Grenzgänger« ist alles andere als in Ordnung, aber man bemüht sich und kümmert sich. Das die Integrationsbemühungen letztlich fehlschlagen, sei einmal dahingestellt. In den modernen Zeiten, die Simenon in »Drei Frauen« (früher: »Die Großmutter«) schildert, ist die Familie schon zerbrochen. Alle leben verstreut und, fast noch wichtiger, ihr ganz eigenes Leben.

Ein weiterer Aspekt des Zerfalls, der von Simenon geschildert wird: der Umbau von Paris. Denn dieser Umbau ist es, der überhaupt die Situation heraufbeschwört, der zu einem Machtspiel zwischen drei Frauen werden wird. Im Mittelpunkt steht nicht, wie man aus dem Titel entnehmen könnte, die Großmutter, sondern Sophie Emel. Der Name hat Klang in der Pariser Gesellschaft. Die junge Frau gilt als Draufgängerin und verdient ihren Unterhalt als Fallschirmspringerin. Nicht, dass sie auf dieses Einkommen angewiesen wäre: allein der Nachlass macht sie zu einer guten Partie.

Bei Sophie wohnt eine junge Frau namens Lelia, die eine Karriere als Sängerin gestartet hat. Die Stadt war mit Plakaten gepflastert, und der Name sagte jedermann etwas. In Gesellschaft von Sophie wirkte die Sängerin schwach und zurückhaltend. Sophie hatte das Mädchen entdeckt und gefördert. Sie war der Meinung, dass der Aufenthalt von Lelia nur vorübergehend sei, schwer zu sagen, ob es Lelia genauso sah.

Die Beziehung zwischen den beiden kann man harmonisch nennen, oder sie war zumindest so konfliktfrei, dass ein Zusammenleben möglich war. Das sollte sich an dem Tag ändern, als ein Polizist an der Tür von Sophie Emel klingelte und der jungen Frau mitteilte, dass in einem Haus ganz in der Nähe ihre Großmutter leben würde. Diese Nachricht sollte einen eigentlich nicht überraschen; die Verhältnisse in der Familie von Sophie Emel waren etwas anders, wenn man so will und so kam es, dass Sophie wenige Augenblicke später vor der Tür der alten Dame stand und um Einlass bat. Für den Polizisten war Sophie Emel die letzte Rettung: die Großmutter lebte in einem Haus, welches für die Modernisierung abgerissen werden sollte und weigerte sich auszuziehen. Sie drohte damit, sich aus dem Fenster zu stürzen, wenn die Polizei versuchen würde, mit Gewalt in ihre Wohnung einzudringen. Ihre Versorgung klappte hervorragend, wenn sich auch die Polizei fragte, wie das ginge, da Juliette, so hieß die Großmutter, die Wohnung nie verließ und wo man Strom, Wasser und Gas schon vor längerer Zeit abgestellt hatte. Einen Skandal konnte die Polizei nicht gebrauchen, andererseits standen die Abbruchgeräte schon parat.

Sophie sucht das Gespräch und bietet ihrer Großmutter an, bei ihr zu wohnen. Ich glaube, in dem Augenblick trauten weder die Großmutter, noch der Polizist ihren Ohren, ganz zu schweigen von Sophie, die sich sicher einen Augenblick später schon gefragt hatte, was sie da geritten hatte. Die Reaktion von Lelia was vorauszusehen. Plötzlich zog in die Wohnung eine neue Partei ein, die Aufmerksamkeit forderte und die, aufgrund von Alter und Familiengrad, eine ganz andere Stelle hat. Für Lelia war Juliette nur eine Gefahr.

Sophie hatte es sich einfach vorgestellt. Ihre Großmutter sollte eine Kammer bekommen, die zwar anderweitig genutzt, aber nicht wirklich gebraucht wurde. In dieser Kammer, die neben dem Dienstmädchenzimmer lag, könnte sich ihre Großmutter so einrichten wie sie wolle. Es fängt schon damit an, dass die Großmutter in einem ersten Machtspielchen darauf besteht, mehr mit in die Wohnung zu nehmen, als sie in der Kammer unterbringen konnte. Sie bat auch darum den Ofen mitnehmen zu dürfen, denn er würde zu ihr gehören, wie früher ihr Mann. Da spielte es keine Rolle, dass der Ofen überhaupt nicht in das Zimmer passte - und auch überhaupt nicht notwendig war. Sophie gab nach und hatte die erste Runde verloren.

Dieser Umzug war ein schlechter Start in einen neuen Lebensabschnitt. In dem Roman sieht es so aus, als ob Sophie eine Gelegenheit suchte, ihrer Großmutter diese Niederlage heimzuzahlen. Eine erste Gelegenheit ergibt sich aus den unterschiedlichen Lebensgewohnheiten der beiden. Im Pariser Gesellschaftsleben fest integriert ist Sophie es gewohnt, bis spät in der Nacht unter Leuten zu sein und zu feiern. Bei ihrer Heimkehr in den späten Nachtstunden (oder frühen Morgenstunden) ist sie betont laut, um ihrer Großmutter zu zeigen, wer die Rechnung für die Wohnung bezahlt und wer das Sagen hat. Die Großmutter hat verstanden und legt sich eine neue Taktik zu.

In diesem Kampf spielt die Freundin von Sophie, Lelia, nur eine untergeordnete Rolle. Sie kann sich gegen die Spielchen, die Großmutter und Freundin spielen, überhaupt nicht wehren, ist nicht in der Lage, sich durchzusetzen. Sie ist die erste, die diesen Machtkampf verlässt.

Simenon hat mit diesem Roman einen Punkt angesprochen, der in dieser Zeit anfing sich abzuzeichnen. Zum einen wurden die jungen Frauen immer selbstständiger oder anders gesagt, ihre Selbständigkeit wurde nicht mehr als Ausnahme betrachtet. Andererseits begann sich abzuzeichnen, dass die Familien immer weiter auseinanderdriften. Eine Entwicklung, die bis heute zu beobachten wird und sich auch fortsetzen wird. Kommt es dann zu einem solchen Fall, dass die immer mehr zu Individualisten gewordenen Menschen, jemanden aufnehmen müssen, der eigentlich nicht zu ihnen passt, kommt es zu Konflikten, die mit bösem Blut enden. Dazu muss man nur die Leserbriefe in den Frauenzeitschriften lesen, dann weiß man, was ein übelgelaunte Schwiegermama anrichten kann. Das, was Simenon beschreibt, ist nichts anderes.

Simenon verpackt es in dieser Geschichte mit der Lebensgeschichte von Sophie, Juliette und Lelia. Dabei wird deutlich, dass Juliette einen ähnlichen Weg gegangen ist wie Sophie. Nur zu einer Zeit, die eine andere war, in der solche Wege nicht akzeptiert wurden.