Über die Story
Wenn Sie denken, eigentlich könnten wir mal (wieder) nach Frankreich fahren, aber sich dann nicht durchringen können, aber in ihrer Urlaubswahl immer noch ratlos sind und dann doch wieder mit Frankreich liebäugeln – also den abschließenden Schubs in die kulinarische Republik brauchen, dann lesen Sie diese Reportage. Es macht einfach Spaß, Simenon auf dieser Tour durch Frankreich zu folgen, es macht Appetit auf mehr und man sieht an dieser Reportage, dass Simenon humorvoll schreiben kann.
Boote und Schiffe spielen im Leben Simenons schon eine gewisse Rolle. Nicht nur, dass viele Romane und Erzählungen mit Booten, Schiffen, ihrem Personal und Reise auf solchen zu tun haben, die erste Maigret-Erzählung auf einem Boot entstand, nein, Simenon war auch ein passabler Schiffsführer.
Noch etwas anderes ist bei der Reportage überraschend. Haben Sie schon einmal die liebevollen Beschreibungen von Peter Mayle gelesen, der sich über die Provence in mehreren Bücher »ausgelassen« hat? Eine Sammlung von Begegnungen von Land und Leuten. Wer diesen Stil mag, der ist bei der Reportage von Simenon bestens aufgehoben, denn selten habe ich etwas Amüsanteres von ihm gelesen.
Simenon schildert in der Reportage die Schiffsreise mit seinem ersten eigenen Boot, der Ginette. Er brach mit seiner Frau und einem Dienstmädchen auf...
Und dann brachen wir eines Morgens auf, zunächst in Richtung Paris mit dem festen Vorsatz, folgende Reiseroute einzuhalten: Paris, Épernay, Chaumont, Langres, Chalon-sur-Saône, Lyon, Marseille, Sète, Carcassonne, Toulouse, Bordeaux, Montluçon, Orléans, Montargis, Paris.
Die Erlaubnis, ein Boot zu führen, hatte Simenon und er schildert die kindliche Freude, die ihn überfällt, wenn er die Unmassen an Dokumenten betrachtet, die ihn als Schiffsführer ausweisen. Die Prüfung selber schildert er als einen Klacks (so ähnlich wie die Fahrprüfungen in den 50er-Jahren in Deutschland, wo sich kaum Autos auf den Straßen tummelten – wie ältere Leute gerne berichten, wenn sie über den Verkehr damals reden). Amtlicherseits mit einer Fahrtüchtigkeit des Bootes, einer Binnenschifffahrtserlaubnis und einer Verkehrszulassung ausgestattet, spricht nichts gegen die Schiffsreise.
Simenon darf aber kurze Zeit später ins Grübeln kommen, denn die Signale der Profi-Schiffer versteht er nicht im Geringsten. Da wundert es nicht, dass es zu Missverständnissen kommt und Simenon von den Schiffern beschimpft wird.
Erste Offenbarung! Die Schiffe haben eine Sprache! Eine Sprache, die ich unbedingt erlernen muss.
Ein Pfeif- oder Hornsignal bedeutet: Ich fahre steuerbords an Ihnen vorbei.
Zwei Pfiffe oder Huptöne: Ich passiere sie auf der Backbordseite.
Wenn es um eine Brücke geht, entspricht die Zahl der akustischen Signale dem angesteuerten Brückenbogen.
Es geht über die Flüsse, Hunderte von Schleusen, über Schiffsbrücken (die ich ja immer noch genial finde), durch Tunnel. Und natürlich läuft nicht alles glatt: Auf so einer Reise muss etwas kaputt gehen und man kommt in einen Stau (keine Erfindung der Moderne), bei dem ordentliches Fluchen angesagt ist.
Simenon macht den Leser mit den Flüssen und Kanälen, den an ihnen liegenden Ortschaften und den Menschen der Binnenschifffahrt bekannt. Wie oben erwähnt ist das mehr als lehrreich, sondern liest sich sehr unterhaltsam. Mir kommt spontan der Gedanke, dass so eine Beschreibung Lehrmaterial für den Geografie-Unterricht sein müsste.
Übrigens: Die Reise mit der »Ginette« fand Mitte der 20er-Jahre statt.