Über die Story
Herzschlagen, Aufregung, unheimliche Spannung? Verbinden Sie das mit einem typischen Simenon-Roman? Geben Sie es zu: die Maigrets gefallen uns wegen ihrer unheimlichen Ruhe, der Behäbigkeit des Kommissars, die Non-Maigrets zeichnen sich auch selten durch überbrodelnde Action aus. Das ist einfach nicht der Stil Simenons. Aber man bekommt es auch auf andere Art und Weise hin, wie er in diesem Roman eindrucksvoll unter Beweis stellt.
Ich finde allein die Idee schon sehr interessant. Ein Rechtsanwalt, der sich vor 18 Jahren aus dem gesellschaftlichen Leben Moulins zurückgezogen hat, erwacht zu neuem Leben. Der Auslöser? Eine Frau. Nein, das kann man in vielen anderen Büchern haben. Hier ist es ein Toter.
Ein Telefonanruf macht die Situation von Hector Loursat deutlich:
»Ich habe eben einen Unbekannten in meinem Haus gefunden… In meinem Bett im zweiten Stock. Er starb in genau dem Augenblick, als ich ins Zimmer trat.. Bitte kümmern Sie sich um die Angelegenheit, Gérard. Mir ist das sehr unangenehm… Ich glaube, es handelt sich um ein Verbrechen.«
Unangenehm, dass kann man wohl sagen. Loursat hatte sich zurückgezogen, nachdem ihn seine Frau verlassen hatte. Nun lebte er, eigentlich zu den besseren Kreisen Moulins gehörend, mit seiner Tochter und der Haushälterin, die er nur den Zwerg nannte, zurückgezogen in seiner Villa. Hin und wieder hatte der Rechtsanwalt noch eine Verteidigung übernommen, die man immer brilliant nannte, aber das hörte einfach irgendwann auf. Loursat war ein hoffnungsloser Trinker, nie betrunken, aber immer unter Stoff. Drei Flaschen am Tag, immer der gleiche Wein, waren sein Pensum. Er beschäftigte sich den lieben guten Tag damit, Bücher mit juristischen und philosophischen Themen zu verschlingen. Nicht, dass das irgendjemandem genutzt hättte. Es war einfach seine Beschäftigung. Hector Loursat war 48 Jahre alt.
Seine Tochter war knapp über zwanzig geworden und wenn Loursat behauptet hätte, er wüsste, was sie den lieben Tag so trieb, so würde er lügen. Sie nahmen die Mahlzeiten gemeinsam ein, hatten sich aber nichts zu sagen. Heute würde man es so sagen: Nicole war ihr Vater peinlich. Aber Väter kann man sich nicht aussuchen.
An dem Abend war eigentlich alles wie immer. Sie begaben sich irgendwann zu Bett, Loursat glaube noch einen Peitschenknall zu hören, der ihn irritierte. Nur aus diesem Grund stand er nochmals auf, um zu schauen. Er wollte Nicole fragen, ob sie ebenfalls etwas gehört hätte. Sie verneinte, aber als er aus ihrem Zimmer kam, traf er auf einen Mann, der aus dem Obergeschoss kam und an ihm vorbeistürmte. So sehr konnte er sich nicht täuschen, denn, dass wusste er: betrunken war er nie. Loursat beschäftigt die Frage, was wohl der gute Mann in seinem Obergeschoss zu suchen hatte, und macht sich auf den Weg. Dort trifft er auf ein Zimmer, aus dem ein Lichtschein dringt. Als er dieses öffnet, findet er einen Mann vor, der im Sterben liegt. Daraufhin ruft er den Staatsanwalt an, der mit ihm weitläufig verwandt ist.
Natürlich ist die Angelegenheit mehr als unangenehm. Verbrechen sollten in einem Städtchen wie Moulins gar nicht erst vorkommen, wenn es dann im Haus eines angesehenen Bürgers passiert, nennt man das eine Katastrophe. Hector Loursat nimmt es gelassen auf. Er bricht zum ersten Mal aus seiner täglichen Routine aus, denn er erfährt, dass der junge Mann zu einer Gruppe von jungen Leuten gehört, die sich regelmäßig in seinem Obergeschoss trafen. Ja, es muss ihn mehr als wundern, als er erfährt, dass die jungen Leute häufig die Nacht »durchmachten« und bis um fünf Uhr in der früh zu der Musik des Schallplattenspielers tanzten. Der Rechtsanwalt hatte einen guten Schlaf.
Man bekommt schnell heraus, was es mit der Bande auf sich hat. Auf die Einzelheiten soll gar nicht eingegangen werden, aber das Unglück nimmt seinen Lauf, als Emile Manu als Mutprobe einen Wagen zu stehlen hat und die Gruppe zu einem Gasthof fahren soll. Kein Problem, zumindest die Hinfahrt. Auf der Rückfahrt überfahren sie einen Mann: Pech gehabt, ein Verbrecher. Sie nehmen ihn mit in das Haus der Loursats, wo er, nachdem es ihm wieder einigermaßen geht, anfängt, Forderungen zu stellen. Diese sind so drastisch, dass sich eines Tage jemand entschließt, den bösen Mann zu beseitigen. Sehr unangenehm für den Rechtsanwalt Loursat.
Der Hauptverdächtige ist alsbald der junge Emile Manu, denn zum einen fuhr er den Wagen, zum anderen war er an dem Abend im Haus des Rechtsanwalts. Noch so eine Überraschung, dass dieser Lehrling eines Buchhändlers der Geliebte seiner Tochter sein sollte. Zornig ist Emile. Auf die Welt, auf den dicken Louis, den er umgebracht haben soll, auf die Justiz und irgendwo auf den Rechtsanwalt. Hector kann nämlich bezeugen, dass Emile der junge Mann war, der aus dem Obergeschoss stürmte.