Eine irgendwie amüsante Geschichte

Madame Maigret ist verreist und ihr Mann nutzt einen der Abende, um ins Kino zu gehen und in einem Restaurant Schnecken zu essen. Als er zu Bett gehen will, klingelt das Telefon. Janvier sei angeschossen worden. Maigret quartiert sich kurzerhand in der Pension ein, die der verletzte Inspektor zuletzt überwacht hatte. Die Unterkunft wird von einer liebreizenden aber eigentümlichen Jungfer geleitet, die einen der Verdächtigen unter ihre Fittiche genommen hat.

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Nach dem Genuss geht es zurück in die leere Wohnung.

Er begann sich auszukleiden, ohne die Vorhänge zugezogen zu haben, trat zum Fenster und nahm gerade die Hosenträger ab, als das Telefon klingelte.
Im gleichen Augenblick war ihm klar, dass sich sein Unbehagen an diesem Abend aus einen unangenehmen Ereignis erklären musste.
»Hallo? ...«
Seine Schwägerin war nicht gestorben, denn es war nicht seine Frau, die da anrief; das Gespräch kam aus Paris.
»Sind Sie es, Chef?«
Die Kriminalpolizei also. Er erkannte die laute Stimme von Torrence, die am Telefon wie eine Trompete klang.
»Ich bin froh, dass Sie wieder zu Hause sind. Ich habe es schon viermal versucht. Ich habe Lucas angerufen, der mir gesagt hat, dass Sie im Kino seien. Aber ich wusste nicht, in welchem…«
Torrence schien verwirrt und nicht zu wissen, womit er anfangen sollte.
»Es handelt sich um Janvier…«
War es die Reaktion? Maigret schlug unbewusst seinen brummigen Ton an, um zu fragen:
»Was will Janvier denn?«
»Man hat ihn vorhin in Cochin transportiert. Eine Kugel hat ihn mitten in die Brust getroffen.«

Mehr als überrascht kleidet sich der Kommissar an. Janvier war mit einer Ermittlung beschäftigt, die in die Kategorie »leicht« viel. Vor ein paar Tagen hatten zwei Männer ein Nachtlokal überfallen und ausgeraubt. Dabei war ihnen anzumerken, dass sie keine Profis waren. Die Toilettenfrau erkannte einen der beiden Täter anhand eines Fadens auf der Hose. So war der Täter sehr schnell identifiziert: ein junger Mann namens Paulus. Auch seinen Wohnort hatten die Polizisten sehr schnell ausfindig gemacht, nur: Der Vogel war ausgeflogen. Die Standardmechanismen setzten ein. Man ließ die Tür bewachen und postierte einen Mann im Zimmer des jungen Mannes, der sich Paulus nannte. Irgendwann, so die Vermutung, würde der junge Mann schon wieder auftauchen.

Tat er aber nicht. Stattdessen wird sang- und klanglos Janvier niedergeschossen. Die Überraschung ist groß. Maigret, der diesen Fall nur von den Berichten seines Teams kannte, mag nicht glauben, dass es der junge Paulus war, der seinen Inspektor, der zu seinen Lieblings-Leuten gehörte, niedergeschossen hat. Aber er war das einzig Fassbare (wenn auch nicht der einzig Fassbare). Er war sowieso allein, da konnte er sich auch in dem Zimmer von Paulus einquartieren und von dort aus die Ermittlungen leiten. Wer wusste, vielleicht würde der junge Mann zurückkehren.

Damit tauchte er in eine Welt ein, die einfach reizend war; er tauchte in die Welt von Mademoiselle Clément ein, die die Pension leitete, in der Paulus untergekommen war. Die Welt war für sie einfach nur bunt und fröhlich, und so wirkte sie auch auf andere. Maigret sagte sich, dass sie ihn an eine überdimensionale Sprechpuppe erinnern würde. Die Frau war um die vierzig Jahre alt, und ziemlich dick. Sie wirkte nicht hässlich und schaffte es, die Menschen für sich zu begeistern. Sie ging mit viel positiver Energie durchs Leben und hatte die Inspektoren aus Maigrets Team sehr schnell eingelullt. Sie war bereit, über jeden, den sie kannte, bereitwillig Auskunft zu geben. Ein schlechtes Wort hörte man dabei allerdings kaum. Damit entfiel das Wesentliche, das, was für den Kommissar interessant gewesen wäre.

Maigret beginnt damit, jeden Mieter einzeln zu durchleuchten. Aber in der Tat, er trifft nur auf reizende oder völlig harmlose Bewohner. Beispielsweise einen Opernsänger, der sich über Wasser hält, in dem er recht talentfreie Mädchen im Gesang ausbildet; einen Krankenpfleger in einer psychiatrischen Klinik, der aus Rumänien stammte; ein Mädchen, dass Schauspielerin werden wollte, auf die große Rolle aber im Bett wartete, wo sie hin und wieder ein »Onkel«, wie Mademoiselle Clément meinte, besuchte. Schwierig für Maigret, denn unter den Bewohnern ließ sich niemand finden, dem man den Mordversuch an Janvier zutrauen würde.

In einer schlaflosen Nacht macht sich Maigret auf den Weg in die Küche. Nach einem Abend mit Mademoiselle Clément war sein Mund total verklebt (sie mochte leidenschaftlich gern Likör und hatte ihn damit abgefüllt), und er sehnte sich nach einem Bier. In der Küche entdeckte er die Pensionwirtin, die sich ein riesiges Sandwich machte. Sie reagierte überrascht, als sie Maigret entdeckte, und erklärte, sie hätte nachts immer großen Hunger. Sie lud Maigret ein, ebenfalls einen Bissen zu nehmen. Der lehnte dankend ab und beobachte Mademoiselle Clément dabei, wie sie das Sandwich erst lustvoll, später immer mühsamer in sich hineinquälte.

Die Frau wusste viel zu erzählen. Sie wusste zum Beispiel genau, dass sein Inspektor Janvier wieder Vater wusste (nun, das hatte Maigret auch schon mitbekommen). Aber er hatte der Pensions-Vorsteherin auch anvertraut, dass sie ein Mädchen erwarten würden. Ein Wunsch, den er hegt. Maigret lässt sich genau über den Gesundheitszustand seines Inspektors berichten. Von Tag zu Tag ging es ihm besser. Janvier machte sich immer noch Vorwürfe, dass es ihn erwischt hat. Denn er konnte nicht sagen, wer auf ihn geschossen hatte, noch nicht mal, ob es jemand auf der Straße gewesen war oder ob der Schuss aus einem Fenster kam. Er war beim Anzünden einer Zigarette überrascht worden.

Am nächsten Tag macht sich Maigret auf den Weg über den Markt und in die Geschäfte, die Mademoiselle Clément normalerweise frequentierte, und findet heraus, dass seine Wirtin in letzter Zeit einen größeren Bedarf an Lebensmitteln hatte. Er wird für die Ursache gehalten, kann aber im Geiste verneinen, da er seine Mahlzeiten in einem Restaurant in der Nähe einnahm, welches von einem Mann aus der Auvergne geführt wurde (und das schmackhaften Weißwein bereithielt, der grünlich schimmerte). Zurückgekehrend sorgt er dafür, dass sich Mademoiselle Clément ordentlich ärgert: Er führt erneut eine Hausdurchsuchung durch und findet dabei Paulus unter dem Bett der Wirtin.

Paulus beteuert, dass die Wirtin nichts von seinem Unterschlupf gewusst hätte. Maigret weiß es besser. Er kennt das Herz der Pensionswirtin, und schreibt es dem Jungen zu Gute, dass er sich vor seine Beschützerin stellt. Es wäre auch das erste Mal gewesen, dass Mademoiselle Clément nicht gewusst hätte, was in ihrem Hause vor sich ging. Sie kann sich nicht vorstellen, dass der junge Mann einen Mord begangen hat. Den Überfall auf das Lokal, gut, das ließ sich nicht wegreden. Das musste vielleicht sein, denn seine Lexikonverkäufe waren nicht sehr erfolgreich und er war mit der Miete schon einige Wochen im Rückstand (was Mademoiselle Clément mit den Worten quittiert hätte: Wer in einer Pension wohnt, der hat immer Mietrückstände.). Für Maigret sieht es so aus, dass er einen Raubüberfall geklärt hat, aber die Lösung zu dem Mordversuch an seinem Inspektor noch immer in einem undurchsichtigen Nebel wabberte.

Wie steht es so schön, auf dem Buchrücken einer Diogenes-Ausgabe: es ist einer der amüsantesten Maigrets (ja, Dank an Mademoiselle Clément) und eine tragikkomische Liebesgeschichte. Diese klärt sich aber erst buchstäblich auf den letzten Seiten des Buches aus. Jeder, der diesen Maigret in seine Favoriten-Liste aufnimmt, kann ich gut verstehen.