Über die Story
Pardon hatte recht gehabt: durch das Bemühen, Anomalien in menschlichem Verhalten aufzuspüren, sie zu klassifizieren und zu unterteilen, ist es dazu gekommen, dass man eigentlich nicht mehr weiß, was ein geistig gesunder Mensch ist.
Es ist so, dass sehr wenig passiert. Maigret ist am Grübeln, was ihm das alles zu sagen hat – aber am Besten, man fängt am Anfang an.
Ein-, zweimal im Jahr kommt es vor, dass es am Quai sehr ruhig ist. Meist tritt diese Phase nach einer Zeit der heftigen Betriebsamkeit ein. So auch diesmal, zudem hat der Kommissar aber noch die Probleme mit der Öffentlichkeit im Auge, das Ansehen der Polizei hatte in der letzten Zeit durch einige unerfreuliche Zwischenfälle erheblich gelitten. Das Motto lautete jetzt: Sei freundlich zu den Bürgern.
Der Dienstag, ein zehnter Januar ohne Schnee, ließ in Maigrets Büro einen Mann hineinschneien, der einen Teil der Belegschaft die folgenden zwei Tage in Trab halten sollte. Marton war der Name des Mannes, er war Verkäufer im Magasin du Louvre. Nicht irgendeiner, er war der Chefverkäufer für die elektrischen Eisenbahnen.
Der Kommissar ist an diesem Tag sehr dösig drauf und hat keine große Lust zuzuhören, was ihm der Mann erzählt, hin und wieder gerät er in Versuchung einzuschlafen. Marton breitet sich lang und breit über seine Tätigkeit im Kaufhaus aus, seine Verantwortung, um dann über Umschweife zum Thema zu kommen, dass er glaube, er würde von seiner Frau vergiftet werden. Er hätte sich von einem Arzt untersuchen lassen, einer Kapazität auf seinem Gebiet, Dr. Steiner, aber der hätte nichts feststellen können. Woraus der Verkäufer den Schluss zog, er sei gesund, würde es aber nicht mehr lange genießen können.
Diese Geschichte fesselte Maigret nicht, er hörte so etwas Tag für Tag und manchmal hatten die Opfer ja auch recht, mit ihren Geschichten und er sah sie bei Dr. Paul wieder (oh, ein hässlicher Seitenhieb…). Es ergab sich, dass Maigret zum Chef gerufen wurde, dort in ein längeres Gespräch verwickelt wurde. Als er wieder kam, war der Verkäufer verschwunden.
Es klopfte an der Tür. Der alte Joseph legte einen Zettel auf die Schreibtischecke und murmelte dabei:
»Eine Dame.«
Sie musste den alten Bürodiener beeindruckt haben, dass er dieses Wort benutzte.
Joseph fügte hinzu:
»Ich glaub, es ist die Frau von dem Kerl, der heute morgen da war.«
Nun hatte der Kommissar die Gelegenheit, die gleiche Geschichte noch einmal zu hören, nur von der anderen Seite. Madame Marton hatte selbstverständlich kein Interesse daran, ihren Mann umzubringen. Es sei nicht mehr die große Liebe, dass gibt sie unumwunden zu, aber soweit, ihn umzubringen, würde sie nicht gehen. Ihr Mann sei einfach geisteskrank, dass möge der Kommissar berücksichtigen, bevor er irgendwelche Ermittlungen aufnehme.
Weder Monsieur noch Madame fühlten sich bemüßigt, den jeweils anderen anzuzeigen, aber falls etwas passieren sollte, dann würde der Monsieur Kommissar Bescheid wissen und könnte handeln.
Nun ist das Interesse des Kommissars schon geweckt und nach kurzer Rückversicherung bei seinem Chef und dem Oberstaatsanwalt nimmt der Ermittlungsstab langsam seine Arbeit auf, findet heraus, dass im Haushalt der Martons auch die Schwester der Frau wohnt, mit der sich Marton in den Pausen trifft, wobei er mehr als verliebt wirkt. Auch Madame ist nicht ohne: mit dem Inhaber des Wäschegeschäftes, in dem sie arbeitet, hat sie ein Verhältnis (Liebe ist da nicht im Spiel, Maigret konnte keine Liebe in ihr entdecken, was sie, darauf angesprochen, zugibt.)
Wäre es eine normale Simenon-Erzählung (ein Non-Maigret) könnte die Handlung so vor sich hinplätschern, in einer Maigret-Erzählung wird aber mindestens ein Toter/eine Tote gebraucht – und so kommt es auch…