Über die Story

Maigret bekommt in Paris Besuch von einer alten Dame. Sie erklärt ihm, dass ihr Dienstmädchen vergiftet worden wäre, aber der Anschlag wohl ihr gegolten hätte. Der Kommissar ist von der alten Dame schon so begeistert, so dass es der Aufforderung seines Chefs – der Druck vom Innenminister bekommen hat – gar nicht bedarf. Der reizende Anschein, der der Geschichte anhaftet, verliert sich schnell im Nebel der Normandie.

Die alte Dame in seinem alten Büro war einfach nur reizend. Ganz im Sinne von Mademoiselle Clément. Maigret konnte erahnen, dass er es mit einer Frau zu tun hatte, die früher bildhübsch gewesen war. Das Thema, mit dem die Dame – Madame Ferdinand Besson – bei ihm vorsprach war weniger reizend und angenehm. Sie erklärte, sie wäre extra aus Étretat angereist, um sich die Hilfe von dem berühmtesten Polizisten Frankreichs zu erbitten. Es gäbe Probleme, die nur von sehr kompetenter Stelle gelöst werden könnten. Sie führt an, dass sie seit jeher Zeitungsausschnitte über die Ermittlungen Maigret gesammelt hätte, und es sehr wohl beurteilen könne, wer ihr helfen könne. Schließlich wäre die Rose tot.

Witwe Madame Ferdinand Besson
La Bicoque
Étretat.
»Will Sie mich persönlich sprechen?«
»Sie besteht darauf, Sie zu sehen und sei es auch nur für einen Augenblick. Sie sagt, sie sei extra aus Étretat hergekommen.«
»Wie ist sie?«
»Sie ist eine alte Dame, eine reizende alte Dame.«
Er ließ sie hereinkommen, und sie war tatsächlich die reizenste alte Dame, die man sich vorstellen konnte, klein und zierlich, mit rosigem Teint und feinen Gesichtszügen unter schlohweißem Haar. In ihrer lebhaften und anmutigen Art wirkte sie eher wie eine Art Schauspielerin, die eine alte Gräfin zu spielen hatte, als eine richtige alte Dame.

 

Ein Unglück, das könnte man wohl sagen, aber es wäre noch dramatischer: Schließlich würde jemand ihr nach dem Leben trachten. Das muss ausgeführt werden, und das tat die alte Dame auch gegenüber Maigret. Sie nahm jeden Abend ihre Medizin, nur an diesem Abend nahm sie ihren Schlaftrunk nicht, da er bitter schmeckte. Vermutlich hatte sich die Rose, wie ihr Dienstmädchen hieß, an ihrer Medizin gelabt. So bekam sie die Dosis Gift, die ihr zugedacht war und brachte sie um.

Das Gespräch wurde nicht zu Ende geführt, denn Maigret wurde zu seinem Chef gerufen. Der begrüßte ihn mit der Information, dass der Minister wünsche, dass sich Maigret um den Tod eines Dienstmädchens in Étretat kümmerte. Der Chef ist etwas verwundert, als ihm Maigret kombiniert, dass es sich dabei sicher um die Rose handeln würde. Der Kommissar ist aber so nett, und erzählt dem Chef, dass er die Arbeitgeberin des Dienstmädchens bei sich im Büro sitzen hatte, und diese ihn um Hilfe gebeten hatte. Der Chef Maigrets, offenbart, dass der Stiefsohn von Madame Besson – Charles Besson, Abgeordneter – den Minister gebeten hat, Maigret einzuschalten.

So macht sich der Kommissar auf den Weg in die Normandie.

In Étretat hat sich ein Inspektor aus Le Havre an dem Fall versucht. Castaing ist nicht weit gekommen. Die Informationen der Familie Besson waren nicht sonderlich ergiebig. Die Familie des Opfers, die in Yport wohnte, sträubte sich, die Ermittlung zu unterstützen, weil sie der Meinung war, dass vermeintlich wohlhabenden Personen (oder Persönchen) sowieso nichts passieren wird, da sie genügend Einfluss hätten. Der Inspektor kommt gegen die Meinung an, hat aber schon eine Reihe von Merkwürdigkeiten zusammengetragen, auf die sich Maigret stürzen kann.

Der will aber will sich gar nicht stürzen, sondern saugt, wie es seine Art ist, erst einmal die Atmosphäre hin sich hinein und hört dem Inspektor, der ihm lang und breit erklärt, was passiert ist und wie die Gegebenheiten sind, nur mit einem halben Ohr zu, wirkt müde und ist fast am einschlafen. Immerhin soviel bekommt er mit: Madame Besson hatte Geburtstag gehabt, und die Familie hatte sich bei ihr eingefunden. Dazu gehörten ihre Tochter und ihre beiden Stiefsöhne. Wobei schon bemerkenswert gewesen wäre, dass sich beide Stiefsöhne eingefunden hätten. Denn Théo war nicht gut auf seine Stiefmutter zu sprechen, und ließ sich von Charles nur mit äußerstem Widerwillen zu der Geburtstagsfeier überreden.

Die Feier verlief ereignislos: Keine Dramen, kein Ärger, nur Kaffee und Kuchen. Irgendwann brachen die Beteiligten auf, nur Arlette, die Tochter, blieb über Nacht bei ihrer Mutter. Irgendwann wand sich Rose in Krämpfen. Der Arzt konnte nicht mehr helfen. Bei der Untersuchung des Leichnams in Le Havre wurde festgestellt, dass sie an Arsenik starb. (Übrigens: Beharrlich wird behauptet, das Dienstmädchen starb an Arsen, aber das ist so gut wie unmöglich - zumindest nicht mit den geschilderten Symptomen.)

Madame Besson hatte, wie schon etwas weiter unten erwähnt, die Ahnung, dass irgendjemand ihr den Tod gewünscht hätte. Warum eigentlich? Sie war Witwe des Besitzers der Juva-Werke. Das klingt beeindruckend, denn die Juva-Produkte kannte sogar Maigret. Er war damit reich geworden und konnte seiner Madame ein aufregendes und luxuriöses Leben bieten. Irgendwann hatte es sich mit dem Wohlstand, denn Monsieur Besson hatte sich verspekuliert. Nicht an der Börse, das wäre einfach nur Pech gewesen: Seine anderen Produkte, die er entwickelt hatte, wurden nicht zu dem Renner, dass sie die Fabriken refinanziert hätten, die dafür gebaut hatte. So schwand der Wohlstand und übrig blieb das Häuschen, in dem seine Witwe lebte - und das auch nur bis zu ihrem Lebensende. Ein bitteres Schicksal.

Um Geld konnte es nicht gehen, es war keines da. Warum war denn eigentlich Théo in Étretat, warum kehrte er zurück? Sein jüngerer Bruder Charles hatte ihn nur zufällig in Étretat getroffen und ihn überredet mit zu der Geburtstagsfeier zu kommen. Warum hatte sich der Mann mit Henry, dem Bruder der verstorbenen Rose, getroffen, dummerweise auch noch in einer Bar, in der Maigret sich auf einen Drink niederließ?

Der Inspektor aus Le Havre hatte zu Beginn seiner Ermittlungen in dem Zimmer der Tochter ein Taschentuch gefunden, welches mit einem Monogramm versehen war, das nicht mit ihrem Namen oder der Namen ihres Mannes übereinstimmte. Sie hatte gesagt, sie wäre mit dem Zug gekommen, aber auch diese Information der jungen Frau, die – wie Maigret ziemlich verwirrt feststellte – sehr betörend sein konnte, war falsch. So waren die Polizisten zu dem Schluss gekommen, dass sich in der Mordnacht ein Mann im Haus von Madame Besson aufgehalten hatte.

Maigret stochert herum, und man hat das Gefühl beim Lesen, dass er mehr damit beschäftigt ist, zu trinken als mit allem anderen. Kaum ist er in Étretat eingetroffen, interessiert ihn der ganze Fall nicht mehr. Ihn interessiert, ob er Anfang September noch irgendwo Muscheln bekommt. Kaum eine ordentliche Basis, mit der sich ein Tag in dem normannischen Urlaubsstädtchen überstehen lässt. Überall wo er hinkommt, wird ihm ein Drink angeboten. Maigret muss nicht in irgendwelche Kneipen einkehren, er wird in den Häusern gastfreundlich mit Calvados bedient. Im Gespräch mit den Verdächtigen bekommt er auch ständig etwas angeboten. Es ist so dramatisch, dass sich der zugereiste Ermittler fragt, ob er die Ermittlungen überhaupt noch anständig führen kann. Maigret, und das ist vielleicht auch kein schlechter Titel, fängt an, zu poltern.

Es gibt zwei besonders eindrucksvolle Szenen in dem Buch: Die Art und Weise, wie Maigret in Yport die Familie von Rose zum Sprechen bringt, überzeugt, dass er keine Partei ergreift, sondern ein ganz einfacher Ermittler ist, der die Wahrheit herausfinden will. Ein ernster Aspekt, der von Simenon angesprochen wird und insofern wichtig, weil es keine Selbstverständlichkeit ist, dass unabhängig von Namen und Kontostand ermittelt wurde (und wird). Zum anderen, und das gehört eher zu den kuriosen Seiten des Romans, wie sich Maigret stetem Alkoholkonsum ausgesetzt sieht, und nie die Gelegenheit findet, nein zu sagen, ohne Gefahr zu gehen, keine Informationen zu bekommen oder jemanden vor den Kopf zu stoßen.