Über die Story
Es war einer dieser selten schönen Maimonate, wie sie sich einem nur zwei oder drei Mal im Leben bescheren und die das Leuchten, die Würze und den Duft von Kindheitserinnerungen haben. Maigret nannte ihn einen Mai des Lobgesangs, denn er ließ ihn zugleich an seine erste Kommunion und an seinen ersten Frühling in Paris denken, als alles neu und wundervoll für ihn war.
So schön sollte es nicht bleiben. Während Maigret noch in den Erinnerungen schwelgte, nicht nur in fernen, auch in denen von dem vorherigen Abend, als die Pardons das erste Mal mit einer Tradition brachen und das Essen nicht im Hause servierten, sondern die Maigrets in ein Restaurant einluden, welches sich als das entpuppte, in dem der Kommissar und seine Frau vor annähernd dreißig Jahren zum ersten Mal gemeinsam gespeist hatten, saß im Außenministerium eine Frau und überbrachte dem Beamten eine schlechte Nachricht. Sie hätte am Morgen eine Entdeckung im Arbeitszimmer ihres Herren gemacht. Ihr Herr hätte tot neben dem Schreibtisch gelegen, erschossen, soweit sie das beurteilen könne. Das sorgt für einigen Wirbel im Ministerium. Während Maigret noch sanft auf seiner Erinnerungswolke schwebte, liefen zwischen dem Außenministerium und der Kriminalpolizei die Drähte heiß – man brauchte jemanden der auf Diskretion achtete und in höchstem Maße vertrauenswürdig war. Maigret!
Wer wird zum Quai d’Orsay beordert, wo er sich mit einem jungen Beamten konfrontiert sieht, der die typische diplomatische Herablassung zur Schau trägt und einer alten Frau, die sehr skeptisch schaut.
»Mademoiselle Larrieu befindet sich seit mehr als vierzig Jahren in den Diensten des Grafen Saint-Hillaire.«
»Sechsundvierzig«, stellte sie richtig.
»Schön, sechsundvierzig. Sie hatte ihn auf seinen verschiedenen Posten begleitet und ihm den Haushalt besorgt. Während der letzten zwölf Jahre hat sie allein mit dem Botschafter in der Wohnung in der Rue Saint-Dominique gelebt. (...)«
Sie hatte weder einen Arzt verständigt, noch das Kommissariat des Viertels – der Graf stand immer in den Diensten des Außenministeriums, ihm musste man auch das Ableben melden, es könnte sich schließlich zu einer Affäre ausweiten. Die Angst hat man auch im Ministerium, darum ist Diskretion angesagt – auch wenn man nicht glaubt, dass sich etwas Politisches hinter dem Tod des Grafen verbirgt.
Maigret macht sich auf den Weg zum Alterssitz des Botschafters und fand dort den Leichnam vor, wie ihn die Haushälterin aufgefunden hatte. Der Botschafter war durch vier Schüsse umgebracht worden, der erste – das ist die Meinung von Maigret – hätte vollkommend genügt.
Die Haushälterin des Grafen ist nicht sonderlich gesprächig, lässt sich aber doch überreden, den nächsten Angehörigen zu benennen. Das ist ein Neffe, Antiquitätenhändler von Beruf, der sich hin und wieder auch beim Grafen blicken ließ. Maigret macht sich auf den Weg zum ihm.
Der Antiquitätenhändler ist nicht sehr überrascht als er hört, dass sein Onkel gestorben ist: er ist ja auch schon siebenundsiebzig Jahre alt gewesen. Als Alain Mazeron dann aber erfährt, dass sein Onkel ermordet worden ist, wirkt er sehr erstaunt. Sein Onkel ermordet?, sein Gesicht drückt Ungläubigkeit aus, denn er behauptet, dass sein Onkel keine Feinde gehabt habe. Ein feiner Mensch wie der ehemalige Botschafter.
Jaquette ist nicht begeistert, als der Kommissar zusammen mit dem Neffen in die Wohnung kommt. Man merkt sofort, dass sie den Neffen nicht mag. Der nimmt es stoisch – die Frau konnte niemanden leiden, mit Ausnahme ihres Herren. Dann kommt aber etwas zum Vorschein:
»Alles in allem stelle ich fest, dass Sie noch gar nichts wissen.«
»Was sollte ich denn wissen?«
»Das frage ich mich. Es ist eine lästige Geschichte. Haben Sie die Briefe gefunden?«
»Ich bin gerade erst am Beginn meiner Untersuchungen«
»Heute ist doch Mittwoch?«
Maigret nickte.
»Ausgerechnet am Tag der Beerdigung.«
»Wessen Beerdigung?«
»Des Prinzen V… Sie werden verstehen, wenn Sie die Briefe gelesen haben.«
Maigret verstand, nachdem er die Briefe gelesen hatte. Vor Kurzem war der Prinz gestorben, seine Frau war dem Grafen seit Jahren zugetan. Sie hatte den Prinzen nur geheiratet, das sie von ihrem Vater gezwungen wurde. Eine reine Vernunftehe, die auch als solches abgeschlossen wurde, der Prinz duldete die Briefe an und vom Botschafter, er war ihm respektvoll aufgeschlossen, verbat sich aber jeden Kontakt. Die Prinzessin gebar ihrem Mann einen Sohn, aber nur unter Widerwillen, nur aus reiner Vernunft – sie gehörte dem Grafen, der auf sie wartete. Ein offenes Geheimnis, dass sie im Falle des Ableben des Prinzen nach der Trauerzeit heiraten wollten. Nun war aber sowohl der Prinz als auch der Graf tot.
Und Maigret findet sich in einem hochadligen aber auch vergreistem Milieu wider. Keiner hatte einen Grund den Grafen umzubringen, der Tod des Prinzen sollte eigentlich eine – das klingt jetzt paradox – Zeit der Freude sein.