Über die Story
Vielleicht beinhaltet dieser Roman eine der bedrückensten Szenen, die man sich in einem Maigret-Roman vorstellen kann. Der Kommissar besucht Lenoir, einen Häftling, dessen Gnadengesuch abgelehnt wurde und der nun hingerichtet werden soll. Lenoir wirkt zuerst gefasst, aber dann übermannt ihn Selbstmitleid und er fragt den Kommissar, warum er den den Kopf lassen muss, während andere Mörder frei herumlaufen können. Da wird der Kommissar hellhörig. Aber Lenoir gibt nicht viel Preis und auf Maigret wartet jede Menge Arbeit.
Während die Zeitungsverkäufer die Nachricht auf den Straßen und vor den Cafés schon verbreiten, weiß Lenoir noch nicht, dass sein Gnadengesuch abgelehnt worden ist. Der Bandenführer, der Maigret fast umgebracht hätte, empfängt ihn drei Monate später in seiner Zelle und kann Maigrets Miene aber das entnehmen, was die Zeitungen ihren Lesern an diesem Nachmittag mitteilen: dieser Nachmittag wird sein letzter sein. Große Hoffnungen habe er sich ja nicht gemacht, meint Lenoir; aber Maigret merkt, dass die »coole« Fassade bröckelt.
Und plötzlich kommt es bösartig zwischen den Zähnen durch:
»Wenn wenigstens die anderen, die es verdienten, auch dabei wären!«
Dabei beobachtete er Maigret, blieb stehen und fuhr brummend fort, als er dann wieder weiterging:
»Es fällt mir natürlich nicht ein, am letzten Tag noch einen zu verpfeifen. Aber ...«
Der Kommissar blickte ihn an. Er fühlte das Geständnis kommen und kannte ihn gut genug, um zu wissen, dass schon das kleinste Zeichen von Neugier oder unverhohlenen Interesse genügen würde, den unberechenbaren Lenoir am Sprechen zu hindern.
»Sie kennen natürlich nicht die Pinte, aber wenn Sie sich je dorthin verirren sollten, dann denken Sie daran, dass einer von den Stammgästen morgen mit mir aufs Gerüst steigen sollte.«
Er erzählt Maigret, was er und ein Kumpel – der irgendwo schwindsüchtig in Frankreich rumlungert – im Alter von 16 Jahren beobachtet haben. Aus einem Haus trug ein Mann eine Leiche, fuhr diese im Auto zu einem Kanal und schmiss sie dort hinein. Anschließend kehrte er seelenruhig nach Hause zurück. Der Mann mit der geworfenen Leiche hatte im Anschluss kein ruhiges Leben mehr, da ihn der künftige Bandenführer und sein schwindsüchtiger Kumpan um einiges an Geld erleichterten. Zu deren Unglück – vielleicht hätten sie ihren Lebensunterhalt auf diese Weise weiterverdienen können und Lenoir hätte die Chance gehabt, etwas älter zu werden – verschwand der gute Mann aber eines Tages.
Bis ihn Lenoir vor seiner Verhaftung in eben dieser oben erwähnten Pinte wieder traf. Er sagt Maigret nicht, wie der Mann heißt, wie er aussieht. Er schweigt sich auch darüber aus, wer das Opfer ist und wohin die Leiche geschafft wurde, um sich – als sein Verteidiger die Nachricht offiziell überbringen will – mit den Worten zu verabschieden:
»Ich sage Ihnen nicht auf Wiedersehen, Kommissar… Und nichts für ungut. Übrigens, bemühen Sie sich nicht. Der Mann, von dem ich sprach, ist nämlich ebenso schlau wie Sie…«
Maigret wird an dem Tag, an dem er zu seiner Schwägerin in den Elsaß fahren wollte, in einem Geschäft auf einen Mann aufmerksam, der sich einen merkwürdig aussehenden Zylinder kauft, mit der Bemerkung, er wolle zu einer Hochzeit in einer Landkneipe mit diesem. Landkneipe?! Maigret folgt ihm und gerät durch diese Folge in eine völlig neue Gesellschaft, die sich am Wochenende auf dem Lande trifft und verschiedene Freizeitaktivitäten unternimmt. Mittelpunkt der Gesellschaft ist James, ein ruhiger junger Mann. Er ist ein ruhiger Mittelpunkt, der vor allem durch seinen Alkoholkonsum auffällt und die Fähigkeit, Alkohol ab einer bestimmten Menge zu »absorbieren«. Er kann soviel Alkohol trinken, wie er will, betrunkener wird er ab einem bestimmten Stadium nicht mehr. (Das sei einmal unkommentiert.)
Fester Bestandteil der Runde ist auch die Familien Basso, die in Paris einen Kohlenhandel betreibt und sehr wohlhabend ist, wie auch die Familie Feinstein, von der Mann, was den Reichtum angeht, er das Gegenteil sagen kann. Monsieur Basso trifft sich, wie Maigret beobachten konnte, mit Madame Feinstein in Hotels. Monsieur Feinstein ist hoch verschuldet.
Vor einigen Jahren wurde ein stadtbekannter Wucherer als vermisst gemeldet, bei dem sowohl Feinstein (mehr) und Basso (weniger) Geld geliehen haben. Eine Leiche, die zu der Beschreibung passt, wurde damals auch gefunden, der Zusammenhang konnte aber aufgrund fehlender Identifizierungsmöglichkeiten nicht hergestellt werden.
An diesem wundervollen, amüsanten Wochenende, dass Maigret mit der Gesellschaft verbringt, platzt ein Ereignis, dass einen der Männer zur Flucht zwingt und dem anderen Ruhe gibt. Und dann entdeckt Maigret nicht nur die Pinte in der Nähe der Landkneipe, sondern auch Lenoirs schwindsüchtigen Kumpel.