Auf dem Mittelmeer

Fangen wir mit der schlechten Nachricht an: Bisher gibt es nur einen Auszug von dieser Reportage zu lesen. Der Auszug erschien 2019 in der Zeitschrift »Du« und es gibt zwar Anzeichen, dass es mehr zu lesen geben könnte – vielleicht auch, mehr zu sehen – denn der Auszug ist schon reichlich und passend bebildert, aber etwas konkretes lässt sich hierzu noch nicht sagen. Die Druckausgabe der italienischen Fassung brachte es auf 180 Seiten und ich vermute mal, dass dies nicht in Großschrift gedruckt war. Aber ein Reportage-Bild-Band wäre schon eine feine Sache.

Insofern beziehen sich die Ausführungen hier nur auf den kleinen Auszug, den es in der Zeitschrift zu lesen gab.

Mare nostrum

Der Schluss, dass es sich bei »Mare nostrum« um das Mittelmeer handeln würde, fällt einem recht leicht – so man den Inhalt kennt. Da man sich mit voreiligen Schlüssen zurückhalten sollte und, auch ich, schon manches Mal daneben lag, fragte ich aber die allwissende Müllhalde – das Internet. Die bestätigte, dass es sich um das Mittelmeer handeln würde und überraschte mich der Information, dass die Römer (also die, die wir aus »Asterix und die Römer«, diese Römer!) dieses Meer so nannten, sich dann auf einen Eroberungsfeldzug um das Meer herum machten und es »Mare internum« nannte – was ich mal nicht wörtlich sondern der Bedeutung nach mit »das eigene Meer« übersetzen würde, gehörte halt auch den Römern.

Nun sind Reiche, auch wenn so mancher Mächtiger glaubt, es wäre anders, nicht für die Ewigkeit und so gerieten beide Begriffe in Vergessenheit. Bis der Begriff »Mare nostrum« im späten 19. Jahrhundert von Freunden einer ausgeprägten italienischen Kolonialpolitik wiederentdeckt wurde und als Schlagwort verwendet wurde. Die Vorstellung war schon die, wie sie die Römer hatten und entsprach wohl einer »Heim ins Reich«-Doktrin. Dieser Gedanke setzte sich auch irgendwann bei Herrn Mussolini fest, der diesen Begriff seit 1939 für die Propaganda verwendete, auch um seinen Führungs- und Herrschaftsanspruch in der Mittelmeer-Region zu betonen.

In jüngerer Geschichte wurde der Begriff, und deshalb kommt er einem vielleicht so vertraut vor, für eine von Italien initiierte Marine-Operation zur Rettung von Flüchtlingen aus Seenot verwendet. Diese Operation endete 2014.

Von der Verwendung durch die Römer wird Simenon gewusst haben. Ob ihm die Obsessionen der italienischen Nationalisten bekannt waren, darüber kann man nur Vermutungen anstellten – was nach 1934 kam, war eigentlich nur den großen Sehern bekannt, deren Prophezeiungen aber oft mehrdeutig sind.

Wie man ein Schiff schützt

​Simenon hatte sich in Genua, und das ist der Einstieg in diesen Auszug, ein Schild auf Italienisch malen lassen, auf dem der Zutritt untersagt war. Sie hatten feststellen müssen, dass ansonsten kurz nach dem Nachlegen eine Menschentraube mit unterschiedlichsten Leuten an Deck war, die alle da nicht hingehörten. Sie schauten nicht nur, sie fassten auch alles an – das Schild, was unmittelbar nach dem Anlegen aufgestellt wurde, hielt die Leute fern.

Das funktionierte sehr gut, bis man nach Il Cavo kam.

Il Cavo

​Die schon erwähnte allwissende Müllhalde wurde von mir auch mit dem Begriff »Il Cavo« konfrontiert, aber außer ein paar italienischen Restaurants gab es keine brauchbaren Ergebnisse. Nimmt man das »Il« weg, bekommt man den Hinweis auf ein Dorf, welches am Meer liegt und auf Elba. Das scheint mir eine recht plausible Erklärung zu sein, eine bessere habe ich nicht.

Vierhundert Einwohner sollte der Ort haben und hier änderte sich etwas. Das Schild half überhaupt nicht. Das Deck war innerhalb kürzester Zeit bevölkert und Simenon konnte beobachten, wie ein kleiner Junge angefangen hatte Kartoffeln zu schälen, ein anderer war mit dem Schrubben des Decks beschäftigt und ein Man hatte sich daran gemacht, die Fischernetze zu flicken.

Bei einem solchen Zuwachs der Personals wird man leicht unruhig, und so erkundigte sich Simenon, was es denn mit dem Leuten auf sich hat. Die Antwort, die er bekam, war: »Cugino« – was man mit Cousins übersetzen kann. Die Mannschaft des Schiffes stammte aus dem Ort und »Cousin« mag ein exakter Begriff sein, aber hier hatte Simenon den Eindruck, wurde er sehr weit gefasst

Zum Abendbrot saßen alle Cousins zusammen und aßen zusammen. An der Stelle betont klar und bewundernd und verwundert: Sie aßen vom Essen der Mannschaft, nicht von seinem.

Familie

Simenon erzählt in diesem Auszug von den zehn Tagen, die er in dem Ort verbrachte und kommt dann vom Speziellen zum Allgemeinen. Nachdem er sich gefragt hat, wovon diese Menschen eigentlich leben, die den ganzen Tag das Schiff auf Vordermann brachten und die sich dafür nicht entlohnen ließen; plaudert er über die Beobachtungen, die er anderswo gemacht hat – man könne dieses Phänomen »Cugino« auch in Paris oder in New York oder in Boston beobachten. So ein Cousin oder eine Cousine kommt für eine gewisse Zeit, beteilige sich am Familienleben und dann gehe sie auch wieder.

Anfangs mochte ihn die Tatsache, dass sein Boot plötzlich überbevölkert war, gestört haben. Es kommen eine Menge Cousins zusammen, wenn man sechs Seeleute als Mannschaft angeheuert hat. Nachdem er realisiert hat, wie es funktioniert, versteht und mag er es. Der Auszug, der zu lesen ist, ist sehr sympathisch und positiv. Habe ihn gern gelesen und war ein wenig traurig, dass nach wenigen Seiten schon Schluss war.

Hoffentlich nur vorerst.