Der Herr aus Emden

Die letzten Jahre waren nicht sehr gut gelaufen für Otto Müller. Der Mann, dem ein gewisser Erfindergeist nicht abzusprechen war, hatte keinen geschäftlichen Erfolg mehr. Und so entschloss er sich, seine Frau zurück in Emden zu lassen, und nach Paris zu gehen, um dort an alte Erfolge anzuschließen. Allerdings schien er nicht mit einer zündenden Idee gekommen zu sein. Oder sein grandioser Plan war es, sich in die Welt des Verbrechens zu stürzen. Nun saß er vor Froget, kein gutes Zeichen.

Fassen wir mal kurz zusammen, was Richter Froget seinem Beschuldigten vorlas: 1889 geboren, wurde Zahnarzthelfer und entwickelte später innovative medizinische Produkte. Nach dem Militärdienst heiratete er eine ältere, wohlhabende Frau und zog nach Emden, wo er mit ihrer Unterstützung Erfindungen patentierte. Bei Kriegsausbruch besaß er bereits mehrere Patente und arbeitete 1915 in einem Kölner Krankenhaus. Nach dem Krieg kehrte er nach Hamburg zurück, wurde wegen eines dusseligen Deliktes verhaftet. Es kam zur Scheidung, dann die Heirat einer ehemaligen Barsängerin. Zurück in Emden kämpfte er mit finanziellen Schwierigkeiten und ging 1928 bankrott. Schließlich beantragte er vor Kurzem einen Reisepass und reiste allein nach Paris.

Die Polizei hatte auch schon allerlei festgestellt: Unter anderem, dass er nur in der ersten Woche ein guter Zahler gewesen war. Danach ging es rapide bergab mit seiner Zahlungsmoral. Auf der Haben-Seite gegenüber den Gesetzeshütern stand sicher auch nicht, dass er sich bei einem Hotelangestellten danach erkundigt hatte, wie man am besten Drogen vertreiben könnte.

Auch das konnte der Mann in seinem »Interview« mit dem Untersuchungsrichter zur Kenntnis nehmen. Die Botschaft war: »Wir wissen alles über dich, nun erzähl du uns den Rest.«

Müller saß aber nicht vor Froget, weil er Drogen vertickt hatte. In den Tagen zuvor hatte er verschiedene Leute um Geld anbettelt, unter anderem bei einem alten Schulkameraden. Dieser –  Helmut Karr – hatte einen Krämerladen in Paris und war damit erfolgreicher, als es nach außen hin den Anschein hatte. 

Die Ermittler waren der Meinung, dass Müller das ahnte oder wusste und deshalb Karr sein Ziel sein sollte. Vielleicht sollte es nur ein Diebstahl werden, was herauskam war jedoch ein toter Helmut Karr. Keiner wollte recht an Zufall glauben und die einfachste Lösung ist meist auch die wahrscheinlichste.

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Betrachtet man die Fälle aus diesem Zyklus, so fällt auf, dass sich Froget wenig auf die Untersuchung des Tatortes verlässt. Meist waren es Unstimmigkeiten in den Aussagen, die er für seine Schlussfolgerung heranzieht. Die Schlüsse, die er zieht, entscheiden darüber, ob eine Beschuldigte oder ein Beschuldigter vor Gericht zitiert werden. Im Otto-Müller-Fall ist es ein wenig anders, denn die Ergebnisse der Forensiker bestimmen erheblich den Ausgang des Falles.

Aber natürlich auch die Widersprüche in den Aussagen des Deutschen und seine extreme Dämlichkeit zu glauben, er wäre cleverer als die französische Justiz in Form von Richter Froget.

Wie soll man’s zusammenfassen: Nette kleine Geschichte mit einem gerechten Ende. Das Resümee von Froget, dass es ein niederträchtiges Verbrechen war, kann man zustimmen. Ob es wirklich so kühl durchdacht war, darüber lässt sich trefflich streiten.