Über die Story
Man darf diese Reportage durchaus als Fortsetzung der 1934 erschienen Beschreibung der Pariser Polizei »Hinter den Kulissen der Polizei« betrachten. Wie bei der Vorgänger-Reportage geht es auch in dieser Reportage weniger um die Polizei selbst, sondern vielmehr um die Klientel, mit die Polizei zu tun hat.
Im Rathaus des XVIII. Arrondissements, von Montmartre also, in der Rue du Mont-Cenis. Eine Einrichtung wie auf allen Polizeirevieren der Pariser Stadtbezirke: eine lange Theke aus schwarzem Holz, ein riesiger Ofen, graugestrichene Wände,die Fahrräder der Streifenpolizisten und im Hintergrund die Arrestzellen: drei oder vier vergitterte Käfige – einer für Männer, einer für Frauen, ein weiterer für die auf frischer Tat ertappten Gesetzesbrecher, die sich mit ihren Zellennachbarn nicht unterhalten dürfen.
Simenon macht sich diesmal auf die Spuren von Selbstmördern: so wird über die alten Leute im Bezirk Montmartre berichtet, die nicht mehr ein und aus wissen; mit der Gewissheit, nicht mehr auf die Beine zu kommen, ihrem Leben ein Ende zu setzen. Die, die noch nicht ganz so verzweifelt sind, suchen sich Wege, zumindest eine gewisse Zeit über Wasser zu halten: ein beliebter Weg dafür war das Provozieren von Unfällen, die eine Einweisung in das Krankenhaus zur Folge hat womit warme Unterkunft und warme Mahlzeiten verbunden war. Jemand, für den das keine Selbstverständlichkeit ist, riskiert dafür seine körperliche Unversehrtheit.
Auf die Gefahr hin, dass es völlig daneben gehen kann.
Schon bei Maigret thematisiert, ist es natürlich für Simenon in einer Reportage eine Erwähnung wert: Abrechnungen unter Bandenmitgliedern. Wie simpel solche Aktionen abliefen, kann man sich gar nicht vorstellen. Oder anders ausgedrückt: die Alltäglichkeit eines solchen Überfalls; denn irgendwo reinzumaschieren, ein paarmal auf den Abzug einer Waffe zu drücken, hoffentlich keine Polizisten zu erwischen (man(n) legte es nicht unbedingt auf Strafverschärfung an und der Mord an einem Polizisten bedeutete unbedingt Schaffot), gehörte zum Berufsbild dieser Menschen und setzte keine besonderen Fähigkeiten voraus.
Nicht alle waren natürlich die geborenen Gangster: ein junger Mann betrachtet sich die Verbrecher-Elite, mittlerweile ein bisschen ruhiger geworden (oder auch hier einmal wieder anders formuliert: nur noch im Hintergrund agierend), und denkt sich, wenn ich jetzt einen Laden überfalle, gehöre ich irgendwann dazu. Ein Weinhandelsgeschäft schien im ein guter Anfang zu sein, womit er allerdings nicht gerechnet hatte, war die Wehrhaftigkeit der Ladenbesitzerin und war die vielversprechende Gangsterkarriere schon nach wenigen Sekunden beendet und die alten Herren, die den Überfall hatten beobachten können, schüttelten nur missbilligend die Köpfe und dachten sich, was das wohl für ein Grünschnabel gewesen sein mag.
Der Leser bekommt ein Bild der Zeit; der Simenon-Leser entdeckt immer wieder Aspekte, die man in den Romanen von Simenon wiederfindet: Zum Beispiel ist die Frau, die sich in Rosen bettet und anschließend umbringt, nicht berücksichtigend, dass es wohl eine Weile dauern kann, bis man sie findet, uns wohl vertraut aus dem Roman »Der Witwer«. Das macht das Lesen der Reportagen noch einen Tick interessanter: Was finde ich in Romanen wieder, könnte dieses Spiel heißen.