Über die Story
Man kann es sich so richtig vorstellen, noch besser: der Leser, der in der Regel im Trockenen und Warmen sitzt, wird das Ganze sogar romantisch finden. Da stehen Leute im Wasser, die Wellen des Meeres umspülen sie, und ernten Austern. Sie arbeiten gegen die Zeit und wenn sie unaufmerksam sind, dann kann es sie ihr Leben kosten. Umspült von Wassermassen, gäbe es keinen Weg zurück, sie wären verloren. Das ist Romantik für Dritte.
Jean lebte im Haus »Wellenschlag« in einem kleinen Fischerdorf namens Marsilly. Er war damit beschäftigt Haus und Hof in Gang zu halten, und erntete, wenn die Zeit reif war und die Gezeiten es zu ließen, die Austern aus dem Meer. Der junge Mann, er ist mindestens Mitte zwanzig, lebte noch bei seinen Tanten, zwei gestandenen Frauen, deren Verhalten keinerlei Zweifel daran ließ, wer das Leben des Mannes bestimmte. Sie haben ihn ganz und ganz in ihr Herz geschlossen, hegen und pflegen ihn.
Der junge Mann lebte von allen Sorgen befreit, er musste sich um nichts Gedanken machen (und die Umklammerung seiner Tanten nahm er als solche nicht war, sonst hätte er sich Sorgen machen müssen). Das änderte sich in dem Augenblick, als ihm Marthe mitteilte, dass sie schwanger war. Er mochte das Mädchen, das lustig und lebensfroh war. Das mal was passieren konnte, das war auch Jean nicht unbekannt gewesen, er hat es für seine Vergnügungen allerdings verdrängt. Vielleicht war dies das erste Mal in seinem Leben, dass der junge Mann vor einer kritischen Situation stand. Was tun? Bisher gab es immer Hilfe bei seinen Tanten Hortense und und Emilie. So kommt er nicht auf die Idee, das Problem selber zu lösen und Verantwortung zu übernehmen. Seine Tanten werden sich um das Problem schon kümmern, und mit diesem Gedanken lag Jean gar nicht falsch. Kleines Entsetzen löste die Nachricht bei seinen Tanten aus, zumal sie auch erfuhren, wer die Glückliche war. Nun mochte Marthe Sarlat ein nettes Mädchen sein, leider kam sie aus einer komplizierten Familie.
Die Tanten hinderte es nicht daran, sich des Falles anzunehmen. Sie kümmerten sich um das Mädchen, in dem sie es nach Rochefort fuhren und dort zu einer Hebamme vorstellten. Das war jetzt eine etwas blümerante Umschreibung dafür, dass sie das Mädchen mehr oder weniger zwangen, abzutreiben.
Sarlat, der Vater des Mädchens, bekam bald mit, was die Tanten für ein Spiel getrieben hatten. Ihm lag nicht soviel an seiner Tochter, aber er versuchte daraus einen Vorteil zu schlagen. Zumal es auch »prächtige« Beweise gab: die Hebamme mit der besonderen Spezialisierung hatte gepfuscht und nun lag Marthe zu Hause und kämpfte um ihr Leben. Es war schon abzusehen, dass es kein gutes Ende mit ihr nehmen würde. Unter den verschiedensten Vorwänden schaffte es der Vater von Marthe, den beiden Schwestern Geld abzuschwatzen – zumindest mit der Abtreibung hatte er auch einen gewichtigen Erpressungsgrund in der Hand. Zudem drängte er darauf, dass Jean seine Tochter heiratete. Schließlich war das Mädchen jetzt so krank, dass sie nicht mehr arbeiten konnte. Sie wäre schließlich nicht durch eigene Schuld in diese Situation gekommen; eine Argumentation, die nicht ganz abwegig war.
Da es immer ein Haar in der Suppe gibt, nun hier das aus diesem Buch: Jean war nicht bereit zum heiraten. Das heißt nicht, dass er nicht heiratete, denn die Tanten gaben den Ton an und hatten beschlossen, dass sich Jean mit Marthe zu verheiraten hat. Der Fischer war innerlich nicht bereit dazu, sein Inneres sagte ihm nicht »Ja«: die beiden hatten ihr Vergnügen gehabt, aber es war keine Liebe, die sie zueinander geführt hatte. Nun muss er dafür büßen – keine idealen Voraussetzungen, um in eine Ehe zu schreiten.
Es ist wieder eines dieser Bücher, wo viele Figuren auftauchen, die überhaupt gar nicht sympathisch sind. Die Tanten kommen nicht gut weg, da sie das Leben des Jungen fest in ihre Hände genommen haben. Jean ist einem auch nicht sonderlich sympathisch, denn er kümmerte sich wohl rührend um den Hof, aber mit Menschen schien er es nicht zu haben: Vergnügen ja, Verantwortung nein. Der Vater des Mädchens, der das Vermögen der Mutter schon durchgebracht hatte, sieht seine Tochter als neue Einnahmequelle, womit er seine Tage im Bistro finanzieren konnte. Last but not least - Marthe: das Mädchen war auch nicht auf den Kopf gefallen und bereitet allen noch eine Überraschung, die sich gewaschen hat.
Wer in diesem Buch, mit dem so netten Namen »Wellenschlag« nun irgendetwas romantisches erwartet, wird bitter enttäuscht werden. Die Form der Enttäuschung, die einen überkommen kann, trifft auch auf das Buch zu: es ist eine bittere Geschichte. Sollte irgendwer in Marsilly am Meer stehen, so wird er kaum mit romantischen Augen sagen können: »Hier standen damals Jean und Marthe.« Nichts, was an Romeo und Julia erinnert. Vielleicht wird man seufzen können: »Gott sei Dank wurde ich nicht von solchen Tanten großgezogen!«
Simenon hatte einen Teil der Geschichte in einer Kurzgeschichte aufgegriffen: In »Die Fräuleins vom Ende der Welt« heißt das Mädel etwas anders und die Geschichte nimmt einen etwas positiveren Verlauf.