Über die Story
Wie sich die Szenen doch gleichen! Es kommt einem stellenweise vor, als würde man »Stammbaum« oder »Hochzeit in Poitiers« lesen. Man merkt schon nach den ersten Seiten: eine Mutter, die ohne Ende Sorgen um ihren Sohn macht und ein Vater, der herzkrank ist und alle paar Schritte stehen bleiben muss, um sich zu fassen und über den gesagt wird, eher würde mit der Ladenbedienung flirten (dabei hat er, weiß Gott, besseres zu tun). Der Sohn, Journalist bei einer katholischen Zeitung in Nantes, treibt sich die meiste Zeit herum…
Es läuft also alles ganz gut, bis der Sohn, Jean Cholet, eine Grenze überschreitet. Das passiert auf einem Bankett, an dem er teilnimmt, welches er wutentbrannt verlässt und damit ordentlich Aufsehen erregt. Damit aber nicht genug. Er betrinkt sich an dem Abend so, dass er es nicht einmal mehr in das eigene Bett schafft. Man findet ihn betrunken vor der Haustür. Seine Mutter ist entsetzt, sein Vater (und darin ähnelt er Simenons Vater) sagt nichts, ist aber auch nicht begeistert.
An dem Tag fühlt sich Jean Cholet geradezu gezwungen, noch einmal in das Etablissement zu gehen, in dem er sich am Vorabend betrunken hat. Es wundert ihn kaum, dass er dort wiedererkannt wird. Die Umstände des Vorabends haben dafür gesorgt, das er erwartet wird – er ist mit dem Mantel des Pianisten der Bar verschwunden. Er wird heimisch in der Bar »Zum Roten Esel«, schwingt große Reden, freundet sich mit Lulu – einer Kabarettistin – und spendiert Lokalrunden, von Geld, was er nicht hat.
Das liebe Geld! Ja. Jean Cholet ist knapp dran damit, und so steht er bei allen in der Kreide. Kein Wunder, das er auf ein zwielichtiges Angebot, wie das von dem Tourneeleiter Speelman eingeht, doch gewissen Formulare aus dem Rathaus zu stehlen, in dem er als Lokalreporter täglich ein- und ausgeht. Dafür bekommt er wirklich ein Haufen Geld, welches allerdings auch kürzester Zeit aufgebraucht ist, minimiert durch nutzlose Ausgaben.
So einer wie Cholet sollte sich vorsehen und nicht herumlästern, wie zum Beispiel über die Verlobte seines Kollegen Gillon:
»Ist doch nicht weiter schlimm, alter Knabe! Wegen so einer Kleinigkeit brauchst du doch nicht gleich rot zu werden. Ihr Vater sitzt doch im Bezirksrat! Damit ist die Hinkerei aus der Welt geschafft! Bei so feinen Leuten zählt das doch überhaupt nicht! Und was das Schielauge betrifft, so bringt sie immerhin eine Mitgift von hunderttausend Francs mit, und das ..«
Er bekam gerade noch mit, wie Léglise in ein gezwungenes Lachen ausbrach.
Dann hatte ihn jemand am Ohr gepackt. Es war Gillon, der endlich reagierte. Cholet konnte sich nicht losmachen. Sein Kopf musste der zerrenden Hand nachgeben.
»Jetzt hör mal gut zu, du mieses Früchtchen. Wenn man so ein übler kleiner Dreckskerl ist und jedermann Geld schuldet, hat man wenigstens soviel Anstand, seinen Mund zu halten! Verstanden?«
Da sich dieses kleine Früchtchen allerdings schon maßlos in Schulden gestürzt hat und ein Lügengebäude aufgebaut hat, vor dem selbst ein Herr Schneider Respekt haben müsste, stellt sich die Frage, ob die Standpauke überhaupt fruchtet.
Wer sich übrigens fragt, woher Simenon diese intimen Kenntnisse der Schifffahrt besitzt, der sollte einmal die lesenswerte Reportage »Unbekanntes Frankreich oder: Abenteuer zwischen zwei Ufern« lesen.