Über die Story
In den meisten Werken Simenons folgt man einer Person – es passiert selten etwas nebenher. Der Handlungsstrang ist für den Lesenden klar. Dieses Buch ist neben »Stammbaum« für mich eine große Ausnahme: wir dürfen mehrere gleichberechtigte Akteure auf der Bühne betrachten.
Es beginnt mit einer Wanderung der Familie Arbelet. Es ist Pfingsten und man hat sich vorgenommen eine »enorme« Strecke zu absolvieren. Germaine schiebt in ihrer Besorgnis die kleinen Söhne vor, obwohl sie es ist, die Probleme mit der langen Strecke hat. Man kann auch nicht sagen, dass sie von den Plänen ihres Mannes begeistert ist, irgendwo zu übernachten und am nächsten Tag nach Hause zu wandern. Man könnte es mit dem Bus noch nach Hause schaffen und hätte dann die Übernachtungskosten gespart. Aber darauf lässt sich ihr Mann nicht ein.
Sie steigen im Hotel »Zum Weißen Ross« ab und damit treten andere Protagonisten auf den Plan, wie zum Beispiel der Wirt, der allen Frauen nachsteigt; der von seiner Frau Fernande skeptisch beäugt wird, die aber nichts dazu sagt und die feine Dame spielt. Seine Geliebten, wie die junge Rose und die verbrachte Therese. Monsieur Arbelet genießt den Abend. Während seine Frau schon im Bett liegt, spielt er mit den Gästen und dem Wirt noch Karten. Dazu wird das eine oder andere Gläschen getrunken, das, obwohl der junge Mann weiß, das er nichts verträgt.
So kommt es, wie es kommen muss. Ihm wird mitten in der Nacht speiübel und er muss sich übergeben. Zu allem Überfluss schafft es Arbelet nicht bis zur Toilette und verunreinigte das Treppenhaus des Hotels. Das dieses dem Nachtwächter nicht gefällt, dürfte verständlich sein. Arbelet war es peinlich und es kommt noch schlimmer: Er erkennt in dem Nachtwächter den Onkel von seiner Frau Germaine: Félix Drouin.
Diesem ist so ziemlich alles egal. Der alte Mann (er sieht wesentlich älter aus: sieht aus wie siebzig, ist wohl aber Mitte fünfzig) legt keinen Wert auf sein äußeres Erscheinungsbild und seine Manieren lassen auch mehr als zu wünschen übrig. Vielleicht trifft man ihn am ehesten mit der Bezeichnung Original. Man findet so etwas nicht alle Tage. So ähnelt er einigen Gestalten oder besser Originalen, die in Simenons Romanen vorkommen. Dem Mann, der die Reste von Arbelets Unwohlsein wegmachen darf, fehlt aber eine entscheidende Eigenschaft – man findet ihn überhaupt sympathisch (die Hauptfigur in »Die letzten Tage eines armen Mannes« widerte einen ebenfalls an, reiht sich so gesehen in die Reihe von unsympathischen Simenon-Figuren ein – aber ehrlich gesagt, war der auch kein Original).
War es der Besuch der Arbelets, der Stein des Anstoßes für die folgenden Ereignisse war? Das vermag ich nicht zu beurteilen: Germaine ist es recht, das sie dem Onkel Geld geben, der sich dafür nicht gerade überschwänglich bedankt; aber weitere Besuche? Der Onkel, der den ganzen Tag vor sich hin brabbelt, dass er noch mal einen umbringen würde – das muss man schon um der Kinder Willen nicht um sich haben.
Die Frau des Wirtes denkt sich wahrscheinlich ähnliches, wenn es das Personal des Hauses betrachtet. Warum muss man sich denn Frauen ins Haus holen, denen ihr Mann nachsteigt? Allerdings stellt sich der Leser gleich die Frage, was könnte man dann noch für Personal haben; der Wirt steigt wirklich jedem Rock nach.
Es kommt, wie man es von Simenon gewöhnt ist: langsam spitzen sich die Ereignisse zu. Interessant ist der Roman aus dem am Anfang angeführten Grund: man weiß gar nicht, auf wem das Scheinwerferlicht steht. Ist es Félix, Arbelet oder gar der Wirt. Simenon erzählt drei Geschichten, die nur eines gemeinsam haben: ihren Schauplatz. Damit erinnert er ein wenig an Robert Altmanns Filme…