Über die Story
Bei dem großen Werk, das uns Simenon hinterlassen hat, ist es nicht schwer, Vergleiche zu ziehen und Ähnlichkeiten zu finden. Auch wenn man sich dieses Buch anschaut, kann man schnell Anknüpfungspunkte finden. Kurz erzählt, bevor es nachher etwas ausführlicher wird: Ein Mann stirbt von eigener Hand, die Familie steht vor dem Nichts, muss sich neu sortieren und verliert an Zusammenhalt. Kommt einem bekannt vor: ein ähnliches Thema verfolgt Simenon drei Jahre später in »Tante Jeanne« nochmals, in dem die Tante just an dem Tag in der Stadt eintrifft, als sich ihr Bruder erhängt hatte. Die Familie war miteinander zerstritten, die Mutter unfähig sich zu kümmern, die Kinder verdorben.
Eugène Malou hatte es nicht leicht. Der Großteil des Eigentums war verpfändet worden, eine neue Bleibe war zu suchen und es sah nicht so aus, als würde auch neues Geld hereinkommen. Einen letzten Versuch wollte der Mann noch unternehmen, denn bisher hatte er beim Grafen Adrien d’Estier immer noch Glück gehabt. Aber an diesem Tag im November (wann auch sonst?) hatte Malou kein Glück. Es gab kein Geld und so schoss sich Malou quasi vor den Augen des Grafen einen Kugel in den Kopf. Nicht sehr fein, könnte man jetzt sagen. Da er unglücklich geschossen hatte, war es kein schneller Tod, sondern man musste ihn erst in die Apotheke bringen und wartete auf einen Arzt, während er seine letzten Atemzüge auf dieser Welt nahm. Der Arzt konnte nichts für den Mann tun und so schied Eugène Malou dahin. Kurz vor seinem Tod stieß noch sein Sohn zu ihm, ohne Worte von ihm zu vernehmen.
Der Graf hatte ihn auf der Straße noch kurz abgefangen, wohl über die Situation aufgeklärt. Besser, als zur Apotheke zu gehen und dann zu sehen, dass da der eigene Vater im Sterben lag.
Es geht in dem Buch um diesen Jungen. Alain ist der Jüngste aus der Sippe. Er geht noch zu Schule und war an diesem Tag gerade auf dem Weg nach Hause. Zu Hause wartete ein Mutter, die nur das eine kannte: sich. Sie war immer auf sich bedacht und machte auch keinen großen Hehl daraus. Alles, was im Haus stand, hing oder lag, war mit dem Siegel des Gerichtsvollziehers versehen. Alain hatte das Gefühl, ihm gehöre nichts mehr. Der Tod ihres Mannes schockte sie, aber der erste Gedanke ging in die Richtung: Mit was für Geld bringen wir ihn unter die Erde und was bleibt dann über. Die Kinder – Alain hatte zwei Geschwister – vermuteten, dass die Mutter trotz der Schwierigkeiten ihre Schäffchen ins trockene gebracht hat.
Da war zum einen, um die Familie zu komplettieren, als Ältester Edgar. Er war schon in einer guten Position untergebracht: arbeitete als Beamter und hatte nur den Wunsch, dass ihn dieser Skandal nicht seine Stelle als Amtsvorsteher kosten mögen. Er war verheiratet mit der Tochter eines höheren Beamten und wusste, dass er von dessen Wohlgefallen abhängig war. Alles was Edgar in dieser Situation tat, war darauf abgestellt, möglichst nicht mit dem Skandal in Verbindung gebracht werden. Seinen Namen konnte er nicht ablegen, aber er konnte sich unauffällig verhalten. Corinne, Alains Schwester, lebte noch im Haus. Dafür lebte sie ihr eigenes Leben – ein Leben für das keiner der anderen Haushaltsmitglieder Verständnis aufbringen konnte. Sie ließ sich von einem Arzt aushalten, und wenn Alain das Wort Hure hin und wieder durch den Kopf ging, so lag er gar nicht so falsch damit. Sie sah es nicht anders, konnte aber damit gut leben. Es war ihr Leben und Alain akzeptierte das.
Der Tod des Vaters zerstörte die Familienbande, es gab kein Erbe, um das man sich streiten könnte – sie hatten sich einfach nichts mehr zu sagen. Liebe? Davon war nie die Rede. Sie schafften es mit erbetteltem Geld, den Vater unter die Erde zu bringen. Dann machte sich die Mutter auf den Weg nach Paris, um bei Verwandten zu wohnen, Edgar zog sich zurück in sein eigenes Heim, um den Namen Malou zu vergessen, und Corinne ließ sich von ihrem Arzt aushalten. Den Jungen wollen sie am liebsten nach Paris abschieben, damit er in der Nähe der Mutter ist, aber Alain wehrt sich. Er hat etwas vor.
Zum einen will er sich ein eigenes Leben aufbauen. Viel wichtige ist ihm, herauszubekommen, wer sein Vater war. Er hatte neben seinem Vater gelebt, nicht mit ihm. Kam der Vater, um sich zu unterhalten, blockte Alain ab. Es gibt so Söhne, ich vermute sogar mal so, dass es nicht unbedingt selten ist. Alain lebte in einer eigenen Welt. Solange Geld da war, war es gut – wie der Vater es beschaffte, war ihm egal. Aber jetzt stellt er mit Erschrecken fest, dass er gar nicht weiß, wer sein Vater war.
Er denkt, dass es ihm hilft, in der Stadt zu bleiben. Hier, und nur hier, würde er Spuren seines Vaters finden. Unerwartet stößt er auf Hilfe.
Aber andere Menschen haben nichts besseres zu tun, als dem jungen Mann Steine in den Weg zu rollen. Dabei kann man Alain gar nicht anders bezeichnen als lieb und nett bezeichnen. Zwar hat er das verdammte Glück schon am ersten Tag einen anständigen Job zu bekommen, aber der Madame des Chefs ist irgendetwas über die Leber gelaufen und sie schaut ihn immer schief an. Auch geht mit seiner Schwester Corinne nicht alles gut und sie sucht mit ihren Problemen halt bei ihm Zuflucht, ohne Verständnis für ihn aufzubringen, zu Erkennen, dass der auf dem Weg zu sich selbst ist.
Alain ist auf der Suche nach seinem Vater, der Geschichte seines Vaters. Es gibt einen schönen Abschnitt in dem Buch. Da wird die Frage gestellt, ob Eugène Malou ein rechtschaffener Mann war. Die Antwort darauf ist, nein, wahrscheinlich nicht. Er hatte seine Fehler, wenn man es genau nimmt sogar viele Fehler und er war nicht immer auf der Seite des Rechts – aber er war ein Mensch. Das kann nicht jeder von sich behaupten. Wahrscheinlich war er der einzige aus der Familie, der so etwas wie Liebe kannte.
So denkt man am Anfang noch, was ist das für ein Mensch? Dann darf man feststellen: der Mann hat gelebt und er war Mensch. Alain tut recht daran, sich ein Beispiel an seinem Vater zu nehmen.