Vire

Ciel, mon mari!


Eine Frau vergnügt sich im Bett mit einem Mann, der nicht der ihr angetraute ist. Die Zweisamkeit wird unterbrochen durch ein Geräusch: Die Haustür wird geöffnet, der Ehemann kommt nach Hause und ruft so etwas wie »Schatz, ich bin da!«. Die Frau gerät in Panik, der Liebhaber versteckt sich. Die Kleidung wird anderswo deponiert. Der Gatte stürmt ins Zimmer.

Das Auftauchen

Aus der eingangs geschilderten Situation wird, so es ein Theaterstück ist, der Rest des Abends bestritten. Die Zuschauer werden sich auf die Schenkel klopfen und einen vergnüglichen Abend haben. In »Maigret amüsiert sich« ist die Situation bei Weitem nicht so amüsant und als Maigret an dem Knochen herumkaut, warum Eveline nackt gewesen war, kommt er für sich zu der Einschätzung:

Es war eine Dreiecksgeschichte wie in einem Vaudeville, nur dass hier eine der drei Figuren umgekommen war und ein Mann seinen Kopf oder zumindest seine Freiheit verlieren würde.

Wer die Seiten hier kennt, der kann sich denken, dass ich selbstverständlich über diesen Satz stolpern musste. Was eine »Dreiecksgeschichte« ist, das versteht jeder, aber mit »Vaudeville« führte Simenon einen Begriff ein, der zumindest mir noch nicht untergekommen war. Die Konstellation ließ erahnen, was es sein könnte – eine Geschichte oder vielleicht auch ein bestimmter Typus von Stück oder eine Produktion, die aus der Feder eines bestimmten Autor stammt. Mit dieser Vermutung lag ich nicht allzu falsch.

Stellt sich zuerst die Frage, was ein Vaudeville ist: Es handelt sich um ein komödiantisches Stück, bei dem kein moralischer Zeigefinger erhoben werden soll und es keine tiefere Botschaft gibt. Ziel ist es, die Zuschauer:innen zu unterhalten und so sind die Protagonisten damit beschäftigt, sich gegenseitig aus dem Weg zu gehen, damit die Affäre nicht auffliegt. Die Verwicklungen, die hieraus entstehen, haben komisch zu sein: Eine nackte Frau im Wandschrank, die dazu noch mausetot ist, gehört nicht dazu.

Somit ist das, was im Jave-Fall vorliegt, nicht einmal ansatzweise mit einem typischen Vaudeville zu vergleichen.

Verschiedenste Bedeutungen

Am Anfang stand das Lied. In der Normandie gibt es das Val-de-Vire. Man sang dort gern,  mit Vorliebe auf normannisch, und diese Lieder wurden von zwei Dichtern, Olivier Basselin und Jean Le Houx, zu einer Sammlung zusammengefasst. Diese Kompilation wurde unter dem Namen »Vaudevire« herausgebracht. Ob sich die zeitgenössische Kritik schon daran störte, ist nicht überliefert – aber kritisch bleibt festzuhalten, dass man in dem Vaudevire hauptsächlich Trinklieder zu finden sind. Der Begriff hatte einen geografischen Bezug, setzte sich jedoch mit den Jahren für alle Lieder dieser Gattung in Frankreich durch.

Die Melodien waren einfach, der Text oft satirisch und spöttisch. Die Zeit vom Sonnenkönig bis zum Ende des Ancien Régime waren eine Hochzeit für den Vaudeville in Liedform. 

Dann nahm sich das Theater dieser Form an. Anfangs waren es noch kleine Szenen, die gesungen wurden; 1792 wurde in Paris das Théâtre du Vaudeville gegründet, welches sich auf solche Stücke dieser Art konzentriert. Mit dem Beginn des 19. Jahrhunderts änderte sich die Bedeutung des Begriffs und man verstand darunter mehr Komödien des Stils, wie sie oben geschildert wurden. Die Stücke konnten sehr kurz sein, aber es gab auch Aufführungen mit fünf Akten. Die Singerei kam ebenso aus der Mode wie die Versform. 

Betrachtet man die Entwicklung, so lässt sich das Vaudeville-Theater am besten mit dem heutigen Boulevard-Theater vergleichen. 

Amerika!

Der Begriff hörte sich gut an und hatte für die Amerikaner vielleicht auch etwas Exotisches. Warum ihn nicht übernehmen, haben sich die Amerikaner gefragt. Aber mit der Form des Vaudeville hatten sie nichts am Hut. Also wurde der Begriff für Vorstellungen verwendet, die man heute als Varieté einordnen würde. Auf der Bühne tummelten sich nicht nur Schauspieler, auch Tänzer, Sänger, Jongleure wurden in die Shows eingebunden – selbst Zauberer und Tiere wurden in diese Art der Aufführung eingebunden.

In Deutschland verwendet man den Begriff, wie in Frankreich übrigens auch, für das Schlussensemble in Opern.