Aber das Ende stimmt

»Die Nacht der Entscheidung« mit Bruno Cremer


Neulich hatte ich mich über Maigrets Verhörmethoden in »Maigrets Nacht an der Kreuzung« ausgelassen. Ich hatte mir den Anfang der Verfilmung mit Bruno Cremer deshalb angeschaut, in der das Verhör milder dargestellt wird. Man bekommt auch mit, dass es ein sehr langes Verhör war. Die rekordverdächtige Länge wird aber nicht erwähnt. Nun habe ich mir den Rest des Films angeschaut.

Wenn ich mir Maigret-Filme anschaue und hier bespreche, kann man davon ausgehen, dass ich sie immer das erste Mal sehe. Ich bin, was die Maigret-Verfilmungen angeht, nicht sehr beschlagen. Anders sieht es mit den Geschichten selbst aus. Viel schlimmer ist aber, dass ich – wie schon erwähnt – ein Purist bin. Gewisse Abweichungen verstehe ich, aber das Erfinden von neuen Handlungssträngen, betrachte ich nur mit Stirnrunzeln.

Nun überkam mich schon eine gewisse Skepsis, als ich vernahm, dass Goldberg zu van der Meulen wurde. In Simenons Vorlage hieß der gute Mann noch Goldberg. Aber es gab vielleicht Gründe, die dieses Umbenennen notwendig machten.

Dann kommt aber der Name einer Hauptfigur zum Tragen, der des Beschuldigten – Karl Wilfried Augustus von Ritter. Man hatte zudem aus dem Dänen glattweg einen Deutschen gemacht, was der Geschichte einen ganz anderen Schlag gibt. Beispielsweise als Maigrets Inspektor ins Spiel bringt, von Ritter hätte sicher gewusst, dass es sich bei van der Meulen um einen Juden handeln würde.

Dann geht es ab in die Provinz. Die Ritters lebten in einem Schloss, mit ganz vielen Zimmern, von denen sie nur einen Bruchteil bewohnen konnten. Es ist einer dieser Gebäude, bei denen man sich fragt, wie sie wohl beheizt werden und man sich ganz sicher ist, dass es im Winter einfach nur mausekalt ist.

Maigret lernt Else, die Schwester/Frau von Karl kennen. Hübsch ist sie, keine Frage, aber sie hat mehr etwas ängstliches und verhuschtes. Sie versucht Maigret zwar zu bezirzen, mehr als das im Buch der Fall ist, und redet etwas von Liebe. In dieser Verfilmung fehlt ihr das Laszive, was ich erwartet hätte. Es gibt auch in dem Film den Bruch im Gehabe, den auch Simenon im Roman schildert. Im Roman ist es aber ein Bruch vom Anziehenden zum Ordinären und Groben. Die Darstellung der Else, zumindest die Stimme der Synchronisation, wechselt an der Stelle aber vom Erhabenen und Höhergestellten zu einem normalen Umgangston.

Spätestens in der Mitte des Filmes wird klar, dass das Beziehungsgeflecht zwischen den Figuren unabhängig von den Namen ein komplett anderes ist. Jojo zählt nicht knapp über zwanzig Lenze, sondern eher siebzig oder fünfundsiebzig. In diesem Alter stellt er für Maigret kein Problem da und kann prima von einem älteren Cremer-Maigret niedergerungen werden, was ihm mit einem »echten« Jojo viel schwerer gefallen wäre. Hinzu kommt noch, dass der Gilberte genannte Jojo Vater von Victor ist, der uns aus dem Buch als Monsieur Oscar bekannt ist.

Madame Michonnet darf so heißen, wie sie im Roman auch heißt, und ist nicht die traurige Gestalt, die sie im Buch darstellt, sondern kämpft um ihren Mann und gegen Else. Die hat eine Affäre mit Monsieur Michonnet, der einen anderen Vornamen als im Buch trägt, und ist eigentlich aus Ungarn und lernte Karl in Paris kennen, als sie auf der Straße ihren Dienst versah.

Sicher ein Höhepunkt ist die Schießerei an der Werkstatt. Von Drama aber keine Spur, den Victor/Oscar ist auf dem Rückzug (statt eines Angriffs wie im Buch). Das Ganze ist eine recht alberne Schießerei. Einer der Vasallen von Victor/Oscar schießt mit einer Maschinen-Pistole auf Maigret, der hinter einer Werkstatt-Tür in Deckung gegangen ist. Es musste sich um eine Qualitätstür gehandelt haben, die ich dort nicht erwartet habe, denn eigentlich hätte eines der Geschosse durch die Türe gehen müssen. Die Maigret-Folgen mit Cremer wären dann allerdings zu Ende gewesen.

Den Rest gab mir allerdings das Finale in dem Film. Die Bande wird mit den Bewohnern der Kreuzung der drei Witwen zusammengebracht, um den Fall zu lösen. Im Buch erzählt Maigret, wie es gewesen ist, und kann auch erklären, warum es so gewesen sein wird. In dieser Verfilmung befragt der Kommissar die Protagonisten ein wenig und die erzählen auch freiwillig ein wenig. Bis einer ruft, dass es der Italiener war.

Schön, dass es der Italiener war. Damit hätte das Drehbuch wieder mit der Romanvorlage gleichgezogen. Warum war es der Italiener? Und was war eigentlich mit Karl passiert, der mitten im Film für geraume Zeit verschwunden war, und irgendwann ohne sein Auto wieder auftaucht. Die Fragen bleiben alle ungeklärt und würde ich nicht das Buch kennen, wäre ich wohl ziemlich ratlos.

Die Ausstattung ist wie bei anderen Verfilmungen mit Cremer passend und schön anzusehen. Der Soundtrack, der in meinen Augen bzw. Ohren ohne Film nicht funktioniert, passt perfekt zu der Verfilmung. Bruno Cremer ist der Maigret, der er immer ist. Er hat die richtige Statur, die richtige Attitüde. Aber er läuft durch eine Handlung, die aus irgendwelchen Gründen, die der Geschichte nicht dienlich sind, geändert wurde und um wesentliche Aspekte bereinigt wurde. Jetzt will ich nicht verschweigen, dass ich auch bei der Geschichte im Buch einige Lücken und Schwächen sehe. Das ist aber keine Rechtfertigung, es noch schlimmer zu machen.

(Mir kamen übrigens leichte Zweifel, als ich meine Einträge in der Filmdatenbank und die der imdb abglich, bei den es heißt, dass der Charakter des ersten Verdächtigen Karl Andersen wäre, wie im Buch auch. Ich kontrollierte die französische Filmspur und stellte fest, dass dort die gleichen Namen wie in der deutschen Synchronisation verwendet worden sind. Die Einträge in der Filmdatenbank habe ich dementsprechend korrigiert.)