News von Pierre Laget

An die Falsche geraten


Wer sich in Französisch-Guyana niederlässt, sollte wissen, dass die Temperaturen ganzjährig zwischen 27° und 35° Celsius liegen. Zusammen mit einer Luftfeuchtigkeit von 90 Prozent dürfte der gewöhnliche Europäer keine Lust verspüren, dort zu arbeiten. Wer auf Zwangsarbeit hingeschickt wurde, dem blieb keine Wahl – er hatte die koloniale Infrastruktur auszubauen.

Ferdinand Deblauwe meinte, clever zu sein, wurde aber letztlich von der Polizei erwischt und von der Justiz verurteilt. Ob bei der Art des Verbrechens wirklich sein Kopf auf dem Spiel stand, vermag nicht zu beurteilen. Einerseits waren die Franzosen bei Verbrechen aus Leidenschaft – und als solches konnte man den Mord durchaus ansehen – eher nachsichtig. Allerdings gelang es der Staatsanwaltschaft anhand von einer ganzen Reihe von Briefen nachzuweisen, dass dies nicht die reine Liebschaft war und der Angeklagte sehr schmutzige Gedanken pflegte, womit ihn die Richter lieber fern von Frankreich sahen. Und, wie schon in dem Beitrag über die Zwangsarbeit ausgeführt: Es war allzu oft der Tod auf Raten.

Simenon vermutete in »Die Verbrechen meiner Freunde«, dass Deblauwe sicher nicht zum Steine klopfen abkommandiert würde:

Man wird ihm eine Arbeit im Büro oder im Krankenzimmer finden. Er kann wunderbar Geschichten erzählen, und ich möchte schwören, dass er die Strafvollzugsbeamten beeindrucken und als eine Art Persönlichkeit gelten wird.
Wer weiß? Vielleicht wird er auf die Idee kommen, mit der Vervielfältigungsmaschine eine Bagno-Zeitung zu drucken.

Ein paar Zeilen unter diesen Vermutungen findet sich eine Schilderung von Simenon, die sich auf den Abtransport der Häftlinge aus Frankreich befasst. In den Fokus rückt er dabei einen Mann, der offenbar eine gewisse Prominenz besaß:

Unter den Strafgefangenen befand sich der in einen eleganten Golfanzug aus braunem Tweed gekleidete Doktor Laget, und die ganze Zeit hindurch, die die Formalitäten dauerten, trotz der Schaulustigen und der Kameraleute, trotz der Ketten, die er an den Händen und Füßen trug, wirkte er immer noch wie ein Mann von Welt, und man hätte sogar meinen können, dass er zuweilen glücklich lächelte, während seine Leidensgefährten ihm bereits ihren Respekt bekundeten.

Obwohl Simenon das Buch als Roman bezeichnete, ist es ein sehr autobiografischer Text. Deblauwe existierte genauso, wie es Hyacinthe Danse tat – auf den ich in einem späteren Beitrag noch zurückkommen möchte – und mit ihnen waren auch die Taten real. An machen Stellen fragt man sich, was an dem Roman wirklich erfunden war.

Wenn so vieles nicht ausgedacht war, wie schaute es mit dem erwähnten Doktor Laget aus? Gab es den auch? Simenon nimmt an der Textstelle Bezug auf seinen Besuch auf der Île-de-Ré, wo er einem Sträflingstransport beiwohnte und das Mediengetöse um diesen Abtransport in einem Artikel würdigte (»Eine ›Premiere‹ auf der Insel Ré«). Da lag es nahe, in der Reportage nachzuschauen, ob der erwähnte Doktor näher erwähnt wird.

Die Schwierigkeit besteht, dass dieser Arzt vielleicht zur damaligen Zeit eine gewisse Prominenz hatte, aber heute sagt der Name niemandem etwas. Schwierig ist es vor allem auch deshalb, weil Simenon keinen Vornamen nannte und dieser Laget nicht für würdig empfunden wurde, auf der Familienseite der Wikipedia erwähnt zu werden.

Filmkameras surren. Die Fotografen halten Ausschau nach den drei Prominenten: Mouvault, Davin, Laget ...

Simenon nennt ihn an der dritten Stelle der Prominenten. Allerdings gibt er mir als Recherchierendem keine Hilfestellung. Wiederum wird der Vorname nicht genannt. (Zu allem Überfluss gab es noch zwei weitere Namen, über die Recherchen anzustellen sind.)

In den Tiefen des Internets stolperte ich über ein Bild, in dem der Doktor erwähnt wird und siehe da, ein Vorname war ebenfalls mit dabei. So wird das Leben gleich leichter.

Ein Überflieger

Pierre Laget wurde am 11. Juli 1885 in einer kleinen Stadt, unweit von Montpellier entfernt geboren. Sein Vater war Beamter, seine Mutter war gewiss zu Hause geblieben und versorgte die Kinder. Im Alter von drei Jahren sollte das erste Schwesterchen die Familie bereichern (Adèle Sophie Marie Julienne Laget), als sieben Jahre alt war, bekam er ein weiteres kleines Schwesterchen »geschenkt« – welche später noch eine entscheidende Rolle spielen sollte, weshalb ich über ihren Namen nicht hinweggehen möchte: Marie-Louise Appolonie Françoise wurde sie von ihren Eltern genannt. Ihr dritter Vorname leitet sich vom griechischen Gott Apoll ab und ist in den letzten paar Säkula ein wenig aus der Mode gekommen. Der Namenstag ist der 9. Februar und an diesem Tag wird in der Kirche auch der heiligen Apollonia gedacht, welche die Schutzheilige der Zahnärzte ist – auf die Ironie dieser Tatsache werde ich später noch zurückgekommen.

Seinen Lehrern galt er als hervorragender Schüler und nachdem er das Gymnasium, welches er in Béziers besuchte, absolviert hatte, studierte er an der medizinischen Fakultät in Montpellier. Ab 1909 konnte er als Zahnarzt praktizieren und richtete sich in Béziers eine eigene Praxis ein.

Das Leben von Laget lief »normal«, fast mustergültig an. Zwei Jahre nach der Arztwerdung verliebte er sich in Sarah Alexandre und heiratete sie im darauffolgenden Jahr. Die erstgeborene Tochter verstarb nach sechs Wochen, aber es kamen noch Jean René Étienne und Gaston und bescherten den beiden Elternglück. Das Glück war nicht komplett: Mit Beginn des Ersten Weltkrieges wurde auch Laget mobilisiert und eingezogen. 

Laget soll schon 1914 eine Verletzung erlitten haben und sich von dieser jedoch gut erholt haben. Er mochte gesund aus dem Krieg zurückgekommen sein, aber etwas hatte sich geändert. Sein Leben und auch seine Ehe hatten sich geändert. Seine Patienten konnten sich nicht mehr auf ihn verlassen, Laget wurde unpünktlich. Seine Praxis wurde zu seinem Liebesnest, in dem er seine Geliebten beglückte. Das Geld wurde knapp – verständlich, wenn man eine Arztpraxis nicht zum ärztlichen Praktizieren nutzt. Das wenige Geld, was noch hereinkam, verspekulierte Laget. Besser wurde es nicht, als seine Frau Sarah die Affären ihres Mannes entdeckte.

Die Erste

Erst stritten sie unter sich, später auch vor der Familie. Diese Streitgespräche bekommen beispielsweise Sarahs Schwester Noémie und ihr Mann Georges mit. Die beiden überzeugen die aufgebrachte Ehefrau, auf die Scheidung zu verzichten. Das mochte erst einmal geholfen haben, aber Sarah unternahm Schritte, um ihr Vermögen vor ihrem Ehemann zu schützen. Nur schützte sie sich damit nicht, denn als Laget das mitbekommen hatte, heckte er einen Plan aus, der Sarah das Leben kosten sollte. Eine Scheidung wäre auch nicht in seinem Sinne gewesen, denn er hätte die Mitgift an die Familie zurückzahlen müssen. Das wäre Geld gewesen, was Laget nicht gehabt hätte.

Sarah wurde im April 1922 so krank, dass sie nicht mehr in der Lage war, das Bett zu verlassen. Jedwede Nahrung, die sie zu sich nahm, wurde sofort von ihr erbrochen. Ihr Ehemann war ja Doktor, mag man meinen, und er kümmert sich auch darum, in dem er ihr die verschiedensten Kräutertees verabreichte. Vorher sollte die Frau wissen, dass ihr Mann so verderbt war, dass er die Tees mit Arsenik versetzt hatte. Die behandelnden Ärzte kamen auch nicht auf die Idee und tippten auf Krebs, ohne ihn zu finden. Es brauchte keine zwei Monate, da war Sarah tot. 

Georges Leboucher, der Schwager, hatte einen Verdacht und äußerte diesen im Kreis der Familie. Sie waren sehr irritiert, als sie erfuhren, dass ihre Tochter Geld für ihre Kinder hinterlassen hatte und ihren Vater als Verwalter eingesetzt hatte.

Laget verweilte nicht lange in der Trauerphase. Er suchte sich eine zweite Frau und wurde – den trauernden Eltern blieb nichts erspart – wieder bei der Familie Alexandre fündig: Die jüngere Schwester Sarahs, Suzanne, hatte sich in den Arzt verguckt und irgendwann entflammte die Liebe auch bei Laget. Die Eltern mussten sich in das Schicksal ergeben, am Ende gaben sie der Tochter eine Mitgift von 300.000 Francs mit.

Ein Jahr später verstarb Sophie Tourrette im Alter von 65. An dem Tod war nichts verdächtig. Die Ärzte vermuteten Altersschwäche und so gab es keine weiteren Untersuchungen. Für Laget war es eine willkommene Erbschaft.

Das Jahr 1923 nutzte der Arzt, seine Hochzeit mit der Schwester seiner ersten Ehefrau vorzubereiten und mit dem 26. Januar 1924 war Laget nicht mehr nur »der Witwer«, sondern auch ein frisch gebackener Ehemann.

Nach der Zweiten die Dritte

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Pierre Laget

Der Lebensstil Lagets passte nicht zu seinem Einkommen. Er kaufte eine herrschaftliche Villa und schmiss weiterhin Geld aus dem Fenster, als gehörte ihm eine Bank. Es war nicht verwunderlich, dass er am Ende des Jahres 1928 ruiniert war.

Gut, dass er eine Lebensversicherung abgeschlossen hatte – auf das Leben seiner Frau Suzanne. Ihr Tod würde ihm 100.000 Francs bringen, ein hübsches Sümmchen. Mit Beginn des Jahres 1929 erkrankte Suzanne und ihre Symptome waren deren ihrer Schwester sehr ähnlich. Am 12. April verstarb die junge Frau und Laget erklärte in dieser Situation der Familie, dass die Krankheit wohl erblich bedingt sei. Nun war er zweimaliger Witwer und hatte drei Kinder (mit Suzanne hatte er eine Tochter bekommen).

Aber die nächste Frau sollte nicht aus dem Kreis der Familie kommen! Das nächste geplante Opfer jedoch schon.

Als Pierre Laget im Sommer 1929 angekündigte, er würde eine seiner Mätressen heiraten wollen – eine Frau namens Paule Belus –, erhob seine Schwester Marie-Louise vehementen Einspruch. Außerdem wollte sie unbedingt die 172.000 Francs, die sie ihrem Bruder geliehen hatte, zurückhaben. Eine Rückzahlung hatte Laget aber nicht vorgesehen und offenbar war es finanziell gar nicht drin.

Eine Lösung bot sich in der Situation an: Arsenik!

Die Schwester

Im August 1929 machte Marie-Louise Laget Urlaub bei ihrem Bruder. Sie brachte einen kleinen Husten mit, von dem sie sich schnell wieder erholte. 

Die Schwester hatte keinen Verdacht, und ihr Arzt kam auch nicht auf die Idee, dass der Bruder dahinter stecken könnte.

An Weihnachten nutzte Laget erneut die Gelegenheit und »pflegte« seine Schwester mit Kräutertees. Diesmal erholt sie sich nicht so gut und ihr Arzt, Dr. Roulleau, ergreift eine gewisse Verzweiflung, denn keine seine Behandlung schlug an. Da sich ihr Zustand nicht besserte, entschieden er und ein weiterer Arzt, dass sie ins Krankenhaus einzuweisen wäre. Nun haben die Ärzte die Vermutung, dass eine Vergiftung vorliegt und nachdem sie zwei Tage keinen Kontakt zu ihrem Bruder hat, ging es Marie-Louise merklich besser. Gegenüber ihren Ärzten gab sie preis, dass in der Zeit ihrer Erkrankung, ihr Bruder sie regelmäßig besuchte und mit Kräutertees versorgte.

Ihr Arzt ermutigte sie, Anzeige zu erstatten. Die Schwester beschuldigte im Gespräch mit der Polizei den Bruder, sein Name blieb in der Anzeige ungenannt. Die Familie seiner beiden Ex-Frauen schloss sich dem an.

Der Doktor wurde inhaftiert. Statt jedoch zurückzublicken und sich zu erinnern, dass der Arzt merkwürdigerweise schon zwei Ehefrauen verloren hatte, kommt es zum Victim blaming: In Béziers wurde verbreitet, dass Marie-Louise eine Affäre gehabt hätte, schwanger wäre und darüber hinaus noch Syphilis hätte. Der Gute in der Geschichte wäre der Doktor, der versuchte, die Krankheit zu heilen und auch das Baby im Blick gehabt hätte. Um die Vorwürfe aus der Welt zu bringen, war es das Opfer, was zu beweisen hatte, dass an den Anschuldigungen nichts dran war. Siehe da: Von Schwangerschaft und Syphilis keine Spur, dafür konnte die Vergiftung gut nachgewiesen werden.

Einen Monat später wurden die Leichen der beiden Ehefrauen exhumiert. Während bei Sarah nichts nachzuweisen war, da die Überreste (nicht ganz unerwartet) in einem sehr schlechten Zustand waren, war es bei Suzanne noch möglich, die Vergiftung nachzuweisen. Auch bei der Tante waren keine Spuren zu finden, so blieben nur ein nachgewiesener Mord und ein Mordversuch beweisbar. Im Dezember des Jahres wurde der Arzt angeklagt.

Jenseits der Freiheit

Sein Verfahren fand in Montpellier statt. Emotionen zeigte der Doktor während der Verhandlungen nicht. Stattdessen beteuert er seine Unschuld und gibt den Opfern die Schuld an den Vergiftungen. Sie hätten sich das Gift in seiner Praxis besorgen können.

In der späteren Berichterstattung über den Prozess gibt es durchaus merkwürdige Facetten: So war Laget am Anfang des Prozesses sehr eloquent und konnte auf die Anschuldigungen gut parieren. Der Journalist André Berly berichtete Jahre später, dass er nach dem ersten Verhandlungstag mit nichts anderem als einem Freispruch gerechnet hatte.

Gebrochen wurde der Arzt durch die Aussagen seiner Schwester und insbesondere seiner Mutter. Nachdem die beiden Frauen ausgesagt hatten, brach die Verteidigung und Berly hatte das Gefühl, dass Laget alles über sich ergehen ließ.

Nach sechs Tagen fiel das Urteil in dem Prozess: Er wurde, wie oben schon erwähnt, wegen der beiden Taten verurteilt, die beweisbar waren. Die Staatsanwaltschaft hatte auch versucht, ihm den Mord an seiner ersten Ehefrau Sarah nachzuweisen – das gelang jedoch nicht. Einen Einfluss auf das Urteil hatte dieser Freispruch nicht: Dr. Pierre Laget wurde zum Tode verurteilt.

Er ging in Berufung gegen das Urteil, aber diese wurde schon nach kurzer Zeit abgewiesen. Es ist bekannt, dass die Franzosen damals nicht lange zögerten, ein Todesurteil auch zu vollstrecken. Am 29. September 1931 beschloss der Präsident Paul Doumer den Arzt zu begnadigen. Auch hier soll Berly angeführt werden, der berichtet, dass er mit Mitgliedern der Begnadigungskommission gesprochen hatte, die Empfehlungen für den Präsidenten vornahmen, und die sich klar für eine solche Begnadigung aussprachen. Die Begründung erscheint ein wenig zweifelhaft: »Es gibt kein Geständnis.« Wenn es so einfach wäre.

Er wurde ins Straflager nach Cayenne geschickt. Im Oktober 1933 startete sein Gefangenentransport und Simenon war es, der seinen Transfer auf das Schiff beobachtete und in der Reportage verarbeitete.

Nach sieben Jahren erhielt er eine weitere »Ermäßigung« auf sein Urteil: Wegen guter Führung wurde seine Strafe auf zwanzig Jahre Zwangsarbeit reduziert. Laget beteuerte weiterhin seine Unschuld und mit der Begründung, er könne es nicht ertragen, als Mörder angesehen zu werden, brachte er sich um. Irgendwie passend, dass es mit Gift geschah.

Somit wissen wir, wer der erste namentlich genannte Passagier des Straftransportes, war. Zwei Herren warten noch auf uns …