Maigret und die Wahrsagerin

Anfangs befremdlich


Zwanzig Minuten lang fragte ich mich, was die Drehbuchautoren geritten hat. Dann kam die Phase der Akzeptanz: Nichts würde die Story wieder zurück auf den Pfad von Simenons ursprünglicher Idee bringen. Also kam ich in die Phase der Neugierde und die Frage, wie die Geschichte wohl ausgehen würde, stand im Vordergrund. Überraschenderweise ist das Ende sehr clever und mehr als annehmbar.

Die Quelle und die Adaption

Das Buch: Maigret stand vor einer großen Tafel in einem Raum, in der alle Meldungen der Pariser Polizei eintrafen. Seinem Ermessen nach befand man sich in einer gefährlichen Situation. Er ließ alle Wahrsagerinnen in Paris überwachen, denn ein Tötungsdelikt war angekündigt worden. Tatsächlich traf eine Meldung über einen Mord ein. Und es hatte eine Wahrsagerin getroffen, allerdings eine, die nicht registriert worden war. Mascouvin, ein Angestellter, hatte die Ankündigung von einem Picpus gefunden und an die Polizei gemeldet – deshalb war Maigret gewappnet. Bei der Toten entdeckte die Polizei in einem verschlossenen Raum ein Mann, der sich als ehemaliger Arzt ausgab, aber irgendwie verwahrlost wirkte und nur neun Finger hatte. Bei der Fahrt in Richtung »Heimat« bemerkte Maigret bei dem Mann ein gewisses Unwohlsein. Warum das so wahr, erschloss sich dem Kommissar, als er den Umgang in der Familie erlebte.   

Die Verfilmung: Maigret sitzt in seinem Büro und möchte Feierabend machen. In den Händen hält er den Brief eines Picpus, der einen Mord ankündigt und setzt sich mit Handschriftgutachten auseinander. In einem anderen Raum ist Lapointe mit einem Mann beschäftigt, Mascouvin, der sich des Diebstahls von 2.000 Francs bezichtigt. Später sollen es noch mehr werden. Er will verhaftet werden, aber der Chef Mascouvins beharrt gegenüber Maigret, dass kein Geld fehlt und sein Angestellter nur ein wenig verrückt ist. Dann wird eine Wahrsagerin ermordet und Maigret, der eigentlich schon ins Wochenende wollte, kehrte zurück. Fand einen Mann im Hinterzimmer der Wahrsagerin vor, der sich als früherer Kapitän ausgab und eine Verletzung an der Hand hatte. Zuhause wurde er auch nicht richtig willkommen geheißen und Maigret sah, dass der ehemalige Schiffsführer nicht gut behandelt wurde.

Die Unterschiede: Ob der alte Mann nun Arzt oder Kapitän ist, ist noch egal. Auch das mit den Fingern ist eine kleine Nebensächlichkeit. Interessanter ist, dass zum einen die Ausgangssituation eine andere ist – im Buch ist Maigret in der Erwartung eines Mordes; in der Fernseh-Bearbeitung ist er eher überrascht, als die Drohung wahr gemacht wurde. Eklatant ist auch die Rolle von Mascouvin – denn im Buch hatte der Mann keinesfalls vor, sich verhaften zu lassen und wurde auch nicht weggeschickt.

Der Emil

Die Entdeckerin der Toten war die Wirtin einer Auberge an der Seine in Morsang. Sie wollte ihrer Freundin Fisch bringen. Maigret entdeckt diesen auch im Fernsehen, aber da schien es sich nicht mehr um frischen Fisch zu handeln. Sah vielmehr nach Geräuchertem aus – was ja auch sehr lecker sein kann. Diese Begegnung nahm der Kommissar hier wie da zum Anlass, ein Wochenende auf dem Land zu verbringen. Dazu packte er sogar seine Madame Maigret ein.

Hier war ich schon in der Phase der Akzeptanz und machte mir keine Gedanken mehr darüber, dass Maigret keine Nacht in Morsang zubrachte, sondern sich wieder nach Paris begab – seine Madame zurücklassend – und dort auch Monsieur Blaise auftauchte. Denn Maigret hatte gesehen, dass die Fische von Blaise nicht geangelt worden waren, sondern mit einem Netz gefangen wurden. Die Entdeckung machte er auch im Buch, befragte jedoch nur das Faktotum der Pension zu dem Sachverhalt, denn der musste die Hechte besorgte haben. Im Buch stellt der Kommissar die Frage dem Hausmeister des Hotels, Isadore. In der Bearbeitung für das Fernsehen in der Öffentlichkeit und im Beisein von Monsieur Blaise. 

Da gibt es zwei Sachen anzumerken: Eine Text-Bild-Schere entsteht, denn während von Plötzen die Rede ist, wird im Bild ein Fisch gezeigt, der einem Hecht sehr nahekommt. Was für ein Fisch es in Wirklichkeit ist, vermag ich nicht zu sagen, nur sind es keine Plötzen. 

Zum anderen wird in der Fernseh-Geschichte dadurch veranlasst, dass auch Monsieur Blase sich nach Paris begibt und dort proaktiv Maigret aufsucht. Ja, er habe die Fische nicht gefangen, aber der Grund wäre eine Frau. Mit der Begründung, das wissen wir, lassen Franzosen ihresgleichen alles durchgehen. So auch hier …

Monsieur Blaise ist überhaupt ein sehr reizender Geselle, der in der Verfilmung die Gelegenheit nutzt, mit Madame Maigret in dem Gasthof zu tanzen. (Lustig hier: »Wenn sie tanzen möchten, dann kostet das 5 Francs mehr.«)

Der Emile schafft es sogar noch, mit Madame Maigret zu tanzen. Sie fühlt sich augenscheinlich wohl. Ein Wunder, dass das nicht noch thematisiert. Lege meine Hand ins Feuer, dass Simenon die Frau seiner Hauptfigur niemals mit einem Verdächtigen hätte tanzen lassen.

Maigret und die Wahrsagerin

Das Ende

Das Ende im Buch ist plausibel und auch ein wenig merkwürdig. Maigret ist schon ein wenig außerhalb von Paris unterwegs, um eine Spur zu untersuchen, und kommt dann übernächtigt wieder in die Hauptstadt zurück und bringt den Fall zum Abschluss.

Rupert Davies löst den Fall in der Nähe des Gasthofes zur Gänze. Und ganz ehrlich: Was sich die Drehbuch-Autoren einfallen ließen, hat überhaupt nichts mehr mit dem Fall zu tun. Da ich schon aufgegeben hatte, die Vorlage wie eine DIN-Norm vor mir herzutragen, fand ich sie nicht nur spannend, sondern witzig gelöst.

Zum Schluss war ich bereit, den Anfang zu verzeihen: Da sieht man nämlich die Wahrsagerin vor einer Kugel sitzen, während sich der Mörder von hinten an sie heranschleicht. Schreckliche Schreie folgen und die Zuschauerinnen und Zuschauer fragen sich gewiss, wie der Killer in die Wohnung gekommen war. Die Frage stellt nicht einmal Maigret. Komisch.