Bildnachweis: Morsang-sur-Seine – »Au vieux garçon« - Public Domain
»Au vieux garçon«
Kommt man nicht weiter, hilft es sich von dem Problem zu entfernen. Maigret macht dies, als er im Fall von Émile Boulay nicht vom Fleck kommt. Er fragt in einem Hotel nach, ob noch ein Zimmer zur Verfügung stehen würde und als das der Fall ist, schnappte er sich Madame Maigret für den Kurztripp. Nun hatte sich der Kommissar aber nicht irgendein Hotel ausgesucht.
In einem Buch hatte er entdeckt, dass in dem Gasthof einst Balzac und Alexandre Dumas verkehrt hatten und dass sich dort später die Goncourts, Flaubert, Zola, Alphonse Daudet und andere zum literarischen Frühstück trafen.
Das war ein ganz schön literarisches Plätzchen, welches sich Maigret ausgesucht hatte. Las sich auch nicht so, als wäre die Herberge eine neue Entdeckung für die Familie Maigret. Ganz einfach war es für das Pärchen nicht, denn autolos wie sie zu dem Zeitpunkt (offenbar) noch waren, mussten sie das Köfferchen packen und mit dem Zug dorthin fahren.
Interessant ist übrigens auch der Aspekt, warum Maigret »loslassen konnte«: Es war niemand mehr da. Ein gewisser miesepetriger Ton ist schon herauszuhören, wenn der Kommissar konstatieren muss, dass es sich unter den Parisern eingebürgert hätte, den Sonnabend nur noch als halben Arbeitstag anzusehen. Da wird einem erst wieder bewusst, dass die kürzeste Zeit der Sonnabend ein freier Tag ist und so manche:r mag durch ein Radargerät hereingelegt werden, wenn er an einem Samstag in einer Tempo-30-Zone geblitzt wird, weil ihm nicht bewusst wird, dass der Sonnabend auch ein Werktag ist. Bei der allgemeinen Landflucht gab es für den Ermittler nichts mehr zu tun, also konnte er auch selber in den Sonntag gehen.
Das Restaurant hatte, wie die Anmerkung von Simenon zeigt, ein historischer Platz. Da stellt sich die Frage, wie es heute ausschaut. Wer nach der Begrifflichkeit sucht, dem werden eine ganze Menge Postkarten angeboten – ein untrügliches Zeichen für die Popularität des Ortes und, Überraschung!, Verweise auf das Werk von Simenon. Klar, dass ich dann lächle, was gibt es auch noch Neues im Werk zu entdecken? Insbesondere die Maigrets sind schon gut auseinandergenommen worden …
Eine Furt wurde erwähnt, wenn die Lage der Auberge beschrieben wurde. Nun verstehe ich darunter einen Abschnitt im Fluss, den man zu Fuß oder vielleicht auch mit einem Pferd durchwaten kann. Schaut man sich die Bilder der Seine in der Nähe von Morsang an, denkt man eher an Schwimmen und Kanu fahren, denn an Laufen. Aber in der Tat gibt es in der unmittelbaren Nähe einen Übergang, der aber nur bei Niedrigwasser durchschritten werden kann. Dann hat das Wasser eine Tiefe von etwa 60 Zentimetern – richtig nass wird man also auf jeden Fall. In dem Zusammenhang wurde auch erwähnt, dass die Seine ein tückischer Fluss war: In seinem schiffbaren Verlauf gibt (oder gab) es diverse Untiefen, in denen Schiffe – gerade die mit Fässern und Holz beladen waren – strandeten.
Maigret tangierte das nicht, der wollte nur Angeln und nicht im Wasser stehen.
Simenon kannte die Ecke selbstverständlich auch. Schließlich lebte er Anfang der 30er-Jahre auf seinem Boot in der Nähe des Ortes und war mit den Gegebenheiten wohl vertraut. Auch soll er Gast in der Gaststätte gewesen sein.
Impressionen, wie es heute dort aussieht, findet man an anderer Stelle. Demnach steht das Gebäude noch, aber für die Einkehr oder gar Übernachtung ist es nicht mehr gedacht. Eine Firma der Telekommunikationsbranche hat sich dort jetzt niedergelassen.
Alles hat seine Zeit.