Backfisch
In der komischen Zeit, in der das ganze Wissen nicht mit einem Smartphone abrufbar war, stellte ich mir die Frage, warum und woher der Begriff »Backfisch« für eine junge Frau käme. Die Erklärung, die ich fand, war, dass es aus dem Englischen käme und Fische bezeichnete, die zu klein für den Teller waren. Das nahm ich hin. Ein Simenon stellte mich nun vor dieselbe Fragestellung.
Eine große Überraschung dürfte es nicht sein, dass ich zu dieser Frage zurückkehrte, als ich einen Simenon las. Der Wirt des »Auberge des Pêcheurs« konnte Maigret von seinen Übernachtungsgästen berichten und beschrieb dabei auch die junge Frau, bei der es sich um Viviane La Pommeraye handelte.
»Ein sehr hübsches Mädchen, so zwischen siebzehn und achtzehn«, sagte der Wirt zu Maigret. »Ich nannte sie, unter uns gesagt, den Backfisch. [...]«
Schon in den 80er-Jahren war der Begriff veraltet. Als ich damals wissen wollte, was der Ausdruck meint, wurde ich darauf gelenkt, dass der Terminus aus England stammte. So bin ich lange Zeit davon ausgegangen, dass der Begriff in den 50er- oder 60er-Jahren aus England nach Deutschland geschwappt war, zusammen mit englischsprachigem Pop und diesem ganzen Zeugs, was aus den USA kam – Rock 'n' Roll beispielsweise. Irgendwie.
Nix Englisch
Die Schöpfer der Erklärung meinten, dass dieser Begriff aus dem Englischen käme und dort einen Fisch bezeichnen würde, der nicht zu einer Mahlzeit tauge. Beifang würde der Angler sagen. Der gewöhnliche englische Angler kennt den Begriff aber gar nicht und englische Wörterbücher sollen, wenn man nach dem Wort sucht, auf die Ableitung aus dem Deutschen verweisen.
Eine andere, ähnlich amüsante Erklärung wäre, dass die Bezeichnung junger Frauen aus der Seefahrt stamme und sich dadurch erklärt, dass zu kleine Fische über die Backbord-Seite zurück ins Meer gebracht worden wäre. Zurecht wird darauf hingewiesen, dass der gewöhnliche Matrose einen solchen Fang wohl zu der Seite geworfen hätte, die windabgewandt war – andernfalls wäre ihm sein glitschiger Wurf gleich wieder ins Gesicht geklatscht.
Der deutsche Sprachwissenschaftler Friedrich Kluge erklärte in einem mittlerweile etwas angestaubten Wörterbuch, das sich insbesondere mit der Studentensprache befasste, dass es sich vermutlich um eine scherzhafte Übersetzung des Begriffes »Baccalaureus« handeln würde. Dieser akademische Grad galt als der unterste, den man erreicht konnte, und wahrscheinlich wurde dieser später auf junge Frauen übertragen.
Folgt man dieser Spur, ließe sich auch erklären, warum man von »frisch gebacken« spricht, wenn einer gerade etwas geworden ist – sei es ein Meister oder Vater oder etwas ähnliches.
Fest steht aber, dass »Backfisch« schon im 18. Jahrhundert verwendet wurde. Goethe war sich nicht zu schade, den Begriff in seinem »Götz von Berlichingen mit der eisernen Hand« nutzte. Das Englische als Quelle wird dadurch noch einmal unwahrscheinlicher, denn die Sprache wurde damals wenig gesprochen.
Was sagt der Franzose?
Ich konnte mir nicht vorstellen, dass ein Wirt diese Begrifflichkeit verwenden würde. Zu dem Zeitpunkt ging ich davon aus, dass er aus dem Englischen kam. Durch die neugewonnenen Erkenntnisse, dass er eigentlich aus dem Deutschen stammt, wird es nicht viel wahrscheinlicher, dass ein Gastwirt ihn verwendet oder Simenon ihm diesen in den Mund legen würde.
»[...] Je l'appelais, entre nous, le Tendron! [...]«
Das ist interessant! Was ist denn ein Tendron? Ein Fisch, der ins Wasser zurückgeworfen wird? Eher nicht. Im Zusammenhang mit Kalb wird der Begriff als Brustknorpelstück (tendron de veau) bezeichnet – dabei gelten die Franzosen bei uns immer als charmant!
Eine andere Übersetzung lautet, dass es sich um die Bauchdecke eines Rindes oder eines Kalbs handelt. Wenn ich ehrlich bin, ist das keine zufriedenstellende Erklärung. Auf was wollte man an der Stelle hinaus? Eventuell auf »flachbrüstig«. Träfe in diesem Fall aber nicht zu, da der Vater das Alter seiner Tochter mit siebzehn Jahren angibt, aber gleichzeitig betont, dass sie als Zwanzigjährige durchgehen würde. Das mag, reine Spekulation an der Stelle, auch mit den entsprechenden weiblichen Attributen verbunden sein.
Letztlich hat das französische Wiktionary mich auf die richtige Spur gebracht: Dort wurde notiert, dass dieses Wort auch für junge Mädchen verwendet wird. Die Erklärung erfolgte durch einen Link zum Centre National de Ressources Textuelles et Lexicales, welches online ein Wörterbuch der Académie française aus den 1930er-Jahren zur Verfügung stellt. Dort wird als mögliche Deutung angeführt, dass es sich um eine Blüte oder einen zarten Sprössling handeln könnte. Der Schlüsselbegriff ist in der Etymologie das Wort »tendre« und damit »zart«.
Nimmt man als »zarte Blüte« und »junger Spross« als Erklärung für »le tendron«, fahren die Franzosen damit auf jeden Fall besser als mit irgendwelchen Knorpelstücken oder Backfischen.
Backfisch?
Unzweifelhaft hatte der Wirt »junge Frau« oder »Mädchen« als Beschreibung von Viviane La Pommeraye gemieden. Stattdessen wählte er einen umgangssprachlichen Begriff. Also scheint mir die Wahl eines umschreibenden Begriffs in der Übersetzung durchaus passend.
Ob ich diesen wirklich mit »Backfisch« übersetzt hätte, weiß ich jedoch nicht.
Das vom Duden vorgeschlagene »Teenie« als Synonym wäre genauso korrekt wie unpassend. Damit hätte man wieder einen Anglizismus.
Einigermaßen amüsant war, dass ich eine Reihe von anderen Begriffen für junge Frauen fand, die aber entweder nur regional bedeutsam sind – und damit ebenso fehl am Platze wäre wie ein Begriff aus dem Englischen – oder die einen abwertenden Charakter hatte.
Ich sehe die Nöte der Übersetzerin in diesem Fall. Dürfte ich mich entscheiden, würde ich wahrscheinlich »junges Ding« oder »junger Hüpfer« wählen, denn diese Wahl würde ich nicht als abwertend betrachten. Als praktisch veranlagter Mensch hätte ich den Originalbegriff kursiv gesetzt und eine Fußnote dazu geschrieben – Problem gelöst!