Chartreuse

Chartreuse


Allein und arm, das ist die Lebensweise von Kartäusern. Es gibt, wenn man einem Kartäuser-Orden beigetreten ist, verschiedene Arten, wie man sein Mönchsleben bestreitet. Keine hört sich so an, als würde man dabei einen Likör aus Kräutern erfinden. Die Kartäuser-Mönche stellen diesen Likör nun schon seit langer Zeit her. Aber sie hatten das Glück, das Rezept geschenkt zu bekommen.

Abwegig?

Auf den ersten Blick scheint dieses Thema ziemlich abwegig zu sein. Ein Augenblick kurzer Besinnung, eine Atempause: Es geht um Alkohol! Für unsereiner ist »Maigret und Alkohol« ist immer ein dankbares Thema, in das man sich vertiefen kann (und mit dem man auch so manchen Maigret-Stammtisch-Runde bestreiten kann).

Diesmal also Chartreuse und wir können gleich mal festhalten:

Er hatte Likör immer verabscheut.

»Er« ist Maigret. 

Und meine reizende Gattin und ich wollten, bevor wir uns in unsere Jahresanfangs-Abstinenz-Phase begeben, prüfen, ob die Abscheu Maigrets berechtigt war.

Ganz im Dienste der Ermittlung, hatte Maigret sich trotz seiner Abneigung gegen Liköre hinreißen lassen, sich einen Abend mit Mademoiselle Clément durch Chartreuse versüßen zu lassen. Das lag nur an der reizenden Mademoiselle Clément:

Wie am Vorabend zögerte sie nicht lange, die Flasche aus der Anrichte zu holen, und allein beim Anblick der grünlichen, sirupartigen Flüssigkeit drückte ihr Gesicht eine kindliche Naschhaftigkeit aus, glänzten ihre Augen und wurden ihre Lippen feucht.

Ich war ganz neugierig geworden, als ich das las, und besorgte mir einen Chartreuse. Es gibt günstigere Varianten, sich zu betrinken – das nur am Rande.

Die grünliche Variante (Chartreuse Verte) kann man als die »harte« Variante bezeichnen. Fünfundfünfzigprozentig. Das muss die Variante sein, die Mademoiselle Clément bevorzugte. Dabei handelt es sich um das Original. Es gibt noch eine gelbe Variante (Chartreuse Jaune), die ein wenig süßer sein soll und zehn Prozent weniger Alkohol hat. Diese wurde später entwickelt.

Sie hatten nicht viel getrunken, denn die Gläser waren winzig.

Ich hatte zwei Likör-Gläser geholt und die beiden Gläser zu einem Fünftel gefüllt – vielleicht weniger. Ich bin bei solchen Sachen  sehr vorsichtig und abwartend. Dann nahm ich eine Nase und dachte: »Ach herrje, Hustensaft!« Aber von Hustensaft gibt es ja solchen und solchen. (Sollte es mal einen Artikel über den kranken Maigret geben, verrate ich auch meine Lieblingshustensaft-Sorte!)

Genippt und, mir lagen noch die Worte aus einer Beschreibung des Chartreuse in den Ohren, in der es hieß, der grüne Chartreuse wäre der Herbere, ich fragte mich: Wie süß mag dann wohl der Gelbe sein? 

Obwohl: So ganz stimmt das nicht. Er kommt erst würzig daher – eine bisschen wie Medizin –, die Kräuter geben wirklich ihr Bestes. Dann kommt die Süße und wenn man ihn schluckt, geht er wirklich warm ab. Was ich nicht zwingend mit einem Likör in Verbindung gebracht hätte. Da merkt man den Alkohol! Nun legt sich die Süße, und der würzige Geschmack bleibt einem lang erhalten.

Mich würde interessieren, was man unter »nicht viel getrunken« versteht? Ich kann mir nicht vorstellen, dass ich von diesem Zeug sehr viel brauche, um auf allen Vieren zu gehen.

Viele Vergleichsmöglichkeiten habe ich nicht, da ich kein Kräuterlikör-Experte bin: Andere hatte ich schlimmer in Erinnerung und meine Erwartungen wurden übertroffen.

Riskant

Atomkraftwerke sollen statistisch auch nur alle paar Jahrhunderte explodieren, oder war die Zeitspanne noch länger. Da sich die Realität aber nicht an die Statistik hält, habe ich zu meinen Lebzeiten bewusst schon zwei Katastrophen mitbekommen. Von denen, die ich nicht mitbekommen habe, mal ganz zu schweigen.

Es muss ja auch nicht immer ein Atomkraftwerk sein, ein blöder Virus – siehe aktuelle Situation – reicht schon aus. Und schon ist eine Tradition wie die, dass nur drei Mönche von dem Rezept wissen, von denen zwei mit der Zubereitung beschäftigt sind, vielleicht keine so gute Idee mehr. Mag sein, dass bei den eher eremitisch lebenden Kartäusern ein Virus nicht die größte Gefahr darstellt. Es sind aber noch andere Katastrophen denkbar. (Man stelle sich kurz vor, bei Coca-Cola wäre das auch so und die Aktionäre würden es erfahren…)

Ich hoffe mal, dass es nur eine Legende ist. Wäre ja schade, wenn das Wissen um diesen Schatz verloren geht.

Varianten

Als ich mich mit dem Thema dank Maigret befasste, las ich auch, dass es sich bei Chartreuse um einen Geheimtipp handeln würde. Bei fast dreißig Millionen Suchergebnissen bei Google und einem recht ausführlichen Artikel bei der Wikipedia käme mir nicht mehr in den Sinn, von einem Geheimnis zu sprechen. Dagegen spricht auch, dass der Likör 2007 in Deutschland zur »Spirituose des Jahres 2007« des Jahres erklärt wurde. 

Andererseits ist noch nie jemand auf mich zugekommen und hat mich auf einen Chartreuse eingeladen.

Der Likör wird aus Weinalkohol, Zucker (nicht zu verhehlen) und bis zu 130 Kräutern und Gewürzen hergestellt. Man kann ihn pur trinken – damit hatten wir jetzt mal angefangen und man kann ihn für Longdrinks nutzen oder für Cocktails.

Wir haben ein wenig Tonic für einen Longdrink genommen und das mit einem Likörglas Chartreuse gemischt. Ich bin nicht überzeugt, ob diese Variante auch Maigret gnädig gestimmt hätte: Mix-Getränke sind meines Wissens überhaupt kein Thema für Simenon gewesen. Ob der Kräuter-Geschmack, den ich wahrgenommen habe, wirklich von dieser Mischung kommt, vermag ich nicht zu sagen  – die Rezeptoren könnten sich noch an das Pur-Experiment erinnern. Was ich festgestellt habe, ist, dass die Süße komplett verschwindet und die Mischung sehr angenehm zu trinken ist.