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Bildnachweis: Westermann – Westermann Monatshefte
Das fleißige Leben
Geblieben ist nur der Schulbuchverlag und die Druckerei. Als Monatspublikation wird »westermann« nur wenigen in Erinnerung geblieben sein.. Das Heft lieferte auf knapp hundert Seiten eine Mischung aus kulturelle und wissenschaftlichen Themen sowie Erzählungen. Im Heft Juli 1965 ging es zum Beispiel um Gemälde von Max Pechstein, Forschung im Atomzeitalter und ... das fleißige Leben des Simenon.
1965 erschien in dem Magazin »westermann« der reichlich bebilderte Titel über die rastlose Arbeit Simenons. Der Autor Jean Améry thematisiert in diesem Artikel die verschiedensten Facetten Simenons: von seinem Aussehen (»vage intellektualisiertes Gesicht«) über die Arbeit bis hin zu Simenons Lebensstil, natürlich nicht ohne die Biographie aus den Augen zu verlieren. So schreibt Améry:
Er ist von einer Bescheidenheit, die ein Schriftsteller sich erst erlauben kann, wenn er sehr viel Geld oder einen sehr großen Namen hat – oder beides.
Dabei macht Améry keinen Hehl daraus, dass es Simenon im Gespräch verstanden hatte, das Interview in ihm genehme Richtungen zu lenken. Passte dem Maigret-Erfinder ein Thema nicht, so wich er diesem einfach aus. Und auch Denyse und ihrem Management ihres Mannes wird in dem Artikel Raum eingeräumt.
Simenon war damals in Deutschland gleichbedeutend mit Maigret, die meisten Leser sahen Simenon als Kriminalschriftsteller. Améry, der Simenon als »Romancier des Tragischen« bezeichnet, kommt selbstverständlich an dem Thema »Kommissar Maigret« nicht vorbei. Einen breiteren Raum nimmt in dem Artikel allerdings das Non-Maigret-Schaffen Simenons ein.
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Améry verweist darauf, dass Simenon in seinen »echten« Romanen, die von menschlichen Schicksalen und Besessenheiten handeln, die Struktur des Kriminalromans revolutioniert hat. Er erwähnt, dass Simenon von Zweifeln geplagt darüber war, ob seine Werke den Test der Zeit bestehen werden.
In seinem Beitrag unterlief Jean Améry der bedauerliche Irrtum, dass Simenon als Georges Sim geboren worden wäre.
Wer war Jean Améry?
Oft ist nicht nur das Objekt der Betrachtung interessant, sondern der Beobachter selbst. Jean Améry, 1912 als Hans Mayer geboren, war der Sohn jüdischer Eltern und wuchs im österreichischen Wien auf. Sein Vater starb früh, was seine Mutter zur wichtigsten Bezugsperson machte. Nach der Einschulung in Wien zog Améry mit seiner Mutter nach Bad Ischl, wo er in einem katholischen Umfeld aufwuchs und später das Gymnasium besuchte.
1926 kehrten die kleine Familie nach Wien zurück. In den späten 1920er Jahren begann mit einer Ausbildung bei der »Buchhandlung und dem Zeitungsbureau Hermann Goldschmid«. Seine Leidenschaft für Literatur führte ihn zu Vorlesungen an die Wiener Uni, wo er auf bedeutende Persönlichkeiten wie Hermann Broch und Elias Canetti traf. Besonders prägend war der Kontakt mit dem »Wiener Kreis«, einer Gruppe von Philosophen, die den Logischen Positivismus begründeten.
Trotz seiner jüdischen Abstammung war Amérys Verhältnis zum Judentum kompliziert und gespalten. Er trat 1933 aus der jüdischen Gemeinde aus, nur um 1937 wieder einzutreten, wahrscheinlich im Hinblick auf seine bevorstehende Hochzeit mit der Jüdin Regine Berger.
Bedrohungen durch das nationalsozialistische Regime zwangen das Paar 1938 zur Flucht nach Belgien. In Belgien angekommen, schlug er sich als Möbeltransporteur und Lehrer in einer jüdischen Schule durch während seine Frau Regine als Verkäuferin arbeitete. Nachdem die Deutschen Belgien besetzten, gelang es Regine unterzutauchen, Améry wurde jedoch als »feindlicher Ausländer« interniert. Allerdings starb sie im Untergrund.
Nach einer dramatischen Flucht aus einem französischen Internierungslager schloss sich Améry dem Widerstand an. 1943 wurde er beim Verteilen von Flugblättern verhaftet und anschließend gefoltert. Seine Verhaftung führte ihn in verschiedene Konzentrationslager, darunter Auschwitz, und erst die Befreiung Deutschlands durch die Alliierten, rettete ihn schließlich 1945.
Nach dem Krieg lebte Améry in Brüssel und arbeitete als Journalist für diverse deutschsprachige Zeitungen in der Schweiz. Finanziell war er lange Zeit auf Unterstützung angewiesen, bis ihm eine Tätigkeit beim Rundfunk ein gewisses Auskommen ermöglichte. In dieser Zeit entwickelte sich eine Beziehung mit Maria Eschenauer-Leitner, die im Laufe der Jahre zur grauen Eminenz seines Werkes werden sollte.
In den späten 60er Jahre entstand eine Dreiecksbeziehung mit der Germanistin Mary Cox-Kitaj, die leidenschaftlich begann, später jedoch zu Spannungen führte. Die Ehe mit seiner Frau wollte der Mann nicht aufgeben.
In den letzten Jahren seines Lebens kämpfte Améry mit Depressionen. 1974 unternahm er einen ersten Suizidversuch. Er hatte sich in seinem Essay »Hand an sich« legen ausführlich mit dem Selbstmord auseinandergesetzt – 1978 setzte er seinem eigenen Leben ein Ende.
Dieses Thema wurde erstmals unter dem Titel »Kommissar Maigret« (warum auch immer dieser völlig allgemeine und nichtssagende Titel gewählt wurde …) am 5. Mai 2004 in diesem Blog behandelt. Der alte Beitrag diente nun als Ausgangsmaterial, wurde jedoch inhaltlich komplett überarbeitet und mit Bild-Material versehen. Der Ursprungsartikel wurde gelöscht.