Bildnachweis: Beynac – Hotel Bonnet - Public Domain
Das verschwundene Hotel
Wird wahrscheinlich vielen Leuten so gehen: Bei drögen Aufgaben wird nach jedem ablenkenden Strohhalm gegriffen. Mir ging das so, als sich vor einiger Zeit die bibliografischen Angaben der Romans durs überprüfte. Hier ein Jahr, dass gerichtet werden musste, da ein Entstehungsort. Und zwischendrin gab es Orte, die nur einmal auftauchten und unter die Lupe genommen wurden – als Ablenkung.
Als ein solcher wurde für den Roman »Wellenschlag« Beynac erwähnt.
Da ich nie von dem Ort gehört hatte, machte ich mich auf die Suche. Hilfreich war, dass mit angegeben war, in welchem Hotel in Beynac Simenon die Geschichte geschrieben hatte. Eine Zuordnung wäre andernfalls schwieriger geworden – Gemeinden mit diesem Namen existieren zwar nicht wie Sand am Meer, aber es hätte gereicht, um in eine falsche Gegend gelenkt zu werden.
Das erwähnte Hotel nennt sich »Bonnet« und es fand sich nicht nur eine Postkarte von dem Hotel auf den einschlägigen Ansichtskarten-Portalen, sondern es gab einen sehr interessanten Thread auf dem Reiseportal TripAdvisor.
Die folgenden Infos sind dieser Diskussion entnommen.
Der Ausgang
Der Ausgangsposter schrieb 2019, dass die sehr altmodische, aber durchaus reizvolle Unterkunft geschlossen worden wäre. Das passierte sieben Jahre zuvor.
Zu dem Zeitpunkt wurde das Gebäude samt Grundstück an einen Immobilien-Entwickler verkauft, der vorhatte, das Hotel abzureißen und neuere Wohnungen darauf zu bauen. Das wäre gewiss sehr reizvoll geworden, soll der Baugrund direkt an der Dordogne liegen. Das Problem wäre gewesen, dass die Pläne nicht auf Gegenliebe bei den Ortsansässigen gestoßen wäre und sie die Bebauung verhinderten.
So – zumindest 2019 – war das alte Gebäude nicht abgerissen worden, aber es wurde auch nicht restauriert.
Traurigkeit
Auf diese Einleitung hin gab es eine ganze Reihe von Antworten, die zum größtenteils Bedauern über die Schließung äußerten. Es wurde betont, dass die Betreiberin, Madame Bonnet, eine reizende Dame gewesen wäre und eine herausragende Gastgeberin. Die Zimmer, so der Tenor, waren einfach, das Essen wäre aber hervorragend gewesen. Auch »göttlich« wurde als Attribut gewählt.
Die Dame, so wurde berichtet, war wurde schon sehr jung Witwe (ihr Mann war erschossen worden) und sie war in der Résistance tätig gewesen. Sie hatte definitiv ein Herz für Engländer. Offenbar war sie sehr bemüht, den Insulanern Esskultur beizubringen. Mit einigem Entsetzen soll sie beobachtet haben, wie ein Paar beim Essen für den Fischgang das falsche Besteck nutzte. Am nächsten Abend kam ein Kellner, bevor der Gang gereicht wurde, und nahm das überflüssige Besteck vorsichtshalber mit. Die Chefin beobachtete das aus einiger Entfernung und der Gast war sich sicher, dass es auf ihre Anweisung hin geschah.
Ein ehemaliger Hotelgast berichtete, dass sich Holländer über zu laute englische Kinder beschwert hätten. Statt auf die Bälger (oder deren Eltern) einzuwirken, soll sie die holländischen Gäste mit den Worten rausgeschmissen haben, dass Engländer bei ihr immer willkommen seien, Holländer aber nur geduldet. Klar, dass die Insulaner, die einen Großteil der Schreiber in dem Thread ausmachten, sie mochten. Was bei den Engländern Begeisterung ausgelöst(e), lässt mich zweifeln, ob sie wirklich eine gute Hotelbesitzerin war.
Ich hätte vermutlich keine schlechten Erlebnisse in ihrem Etablissement sammeln können, da Deutsche bei ihr weder absteigen durften und eine Beköstigung kam für sie auch nicht Frage. (Da bin ich ein bisschen schnippisch und denke: »Wenn man es sich leisten kann! Aber na ja …«)
Nachruf
Renée Bonnet starb im November 2020. Obwohl sie das Hotel schon verkauft hatte, wohnte sie in einem Gebäude hinter der Herberge und beobachtete das Geschehen. Sie wurde hundert Jahre alt.
In ihrem Nachruf heißt es:
Sie verkörperte die Gastfreundschaft in ihrem Dorf, indem sie das Hotel leitete.
Gut, diese Gastfreundschaft war ein wenig selektiv, aber sei's drum:
Ihre Mutter war in der Küche, als Renée Bonnet Kunden wie Bardot und Simenon empfing.
Eine weitere Erwähnung von Simenon gab es in der Folge:
Das Hotel Renée war großartig und beherbergte wunderbare Persönlichkeiten wie: Georges Simenon, Joséphine Baker, Brigitte Bardot, Prinz Charles, Line Renaud, Jean Gabin, Irène & Frédéric Joliot-Curia, Georges Manzana-Pissarro, Sohn des Malers Camille Pissarro.
Die Inspiration
Das nächste Ufer zum Meer ist schon ein Stück entfernt, schrieb Simenon eine Geschichte, die am Atlantik spielte. Mit der Story im Kopf muss er dort schon angekommen sein. Am Ufer der Dordogne wird man gewiss nicht inspiriert, über einen Austern-Fischer in Marsilly zu schreiben, der Probleme mit seinen Tanten hat.
Interessant und erstaunlich ist, dass ein eher kleines Hotel so lange durchgehalten hat und sich offenbar einen gewissen Ruf erarbeiten konnte.
Die offizielle Institution , die in Frankreich die Hotel-Klassifikation vornimmt, konnte der Charme am Ende des »Hotel«-Lebens nicht mehr erweichen. Hatte das »Hôtel Bonnet« in den 2000er-Jahren noch zwei Sterne, so verlor es diese Einstufung am Schluss.
Ein trauriges Ende für eine Institution, das lange Zeit in Familien-Hand war.