Bildnachweis: Der andere Rentner - Leonardo AI
Der andere Rentner
Sprach- und Worterfindern hätte man auf den Weg mitgeben müssen: »Gibt es den Begriff schon im Wörterbuch? Dann streng dich an und lass dir einen neuen Begriff einfallen!« Ohne die Regel regierte die Faulheit und für ganz unterschiedliche Sachverhalte wurde der gleiche Begriff verwendet. Das führt – ehrlich gesagt – nur zu Konfusion. Insbesondere bei Übersetzungen.
Bevor ich mich auf das eigentliche Thema stürze ein kurzer Schwenk zur Problematik »Inkonsequenz«. Bisher sind an Vornamen aufgetaucht:
- Eugénie
- Gérard
- Antoinette
- Gisèle
- Marie
Und dann kommt
- Emil
Zu den meisten Namen, die oben aufgeführt sind, gibt es deutsche Formen: Im billigsten Fall handelt es sich um Varianten ohne einen Akzent, weil die hierzulande nicht gängig sind und Leuten, denen man die Namen diktiert, nur in den Wahnsinn treiben. Oft gibt es die Vornamen auch im Deutschen, beispielsweise Gerhard für Gérard oder Maria für Marie. Hat man natürlich nicht so übersetzt.
Warum dann aus Emile im Original ein Emil in der deutschen Übertragung wird, ist mir schleierhaft. Niemand käme heutzutage auf die Idee, aus dem Namen François in einem Maigret einen Franz zu machen … warum trifft es den armen Emile?
Doppelt getroffen
Den armen Emile trifft es gleich zweimal in der Geschichte. Auch sein aktueller »Status« wird missverständlich angegeben. In einem Brief, den Emile Blaise an die Polizei schreibt, gibt er diesen laut der Kampa-Übersetzung mit Pensionär an.
Bei einem Pensionär handelt es sich nach dem Sprachverständnis in Deutschland um einen Mann, der im Staatsdienst tätig gewesen war (also ein ehemaliger Beamter) und der im Alter vom Staat alimentiert wird. In Rentenkassen hat er während seiner Beamten-Laufbahn nicht eingezahlt. Das ist der Staat-Beamten-Deal: Du bist treu in meinen Diensten; machst alles, was ich will; lässt dich nicht korrumpieren und ich als Staat sorge dafür, dass du im Alter dein gutes Auskommen hast. Das funktioniert ganz gut, auch wenn es manchen zu teuer und wenig flexibel ist. Außer natürlich, eine bestimmte Berufsgruppe fängt an zu streiken – dann kommen Ideen wie: Warum machen wir die nicht zu Beamten? (Dann sollen sowohl Lokführer:innen genauso verbeamtet werden [was sie schon mal waren, hihi], Kindergärtner:innen wie auch die Leute, die den Müll abholen. Nach Streikende natürlich nicht mehr, ist klar!) Amüsant erscheint, dass man gleichzeitig Rentner und Pensionär sein kann. Wenn jemand zwanzig Jahre als Angestellte:r tätig war und dann verbeamtet wurde, wird das sauber auseinanderdividiert.
Im Französischen wird sprachlich kein Unterschied zwischen »der Rente« und »der Pension« (im Ruhestandssinne) getroffen. In beiden Fällen ist »retraité« das Wort der Wahl. So gibt es auch keine Unterscheidung bei den Ruheständlern nach dem vorherigen Dienstherren. Die finanzielle Komponente sieht ebenfalls anders aus als in Deutschland. Die Arbeitnehmer zahlen in unterschiedliche Kassen, abhängig von der Tätigkeit, und so erfolgen auch die Auszahlungen. Indizien, dass in Staatsdiensten stehende Arbeitende, keine Einzahlungen in eine Ruhestandskasse vornehmen müssen, habe ich nicht gefunden.
So würden (zumindest) deutsche Leser:innen mit der Begrifflichkeit »Pensionär« assoziieren, dass der Mann früher im Staatsdienst tätig gewesen ist. Damit werden diese jedoch auf eine falsche Fährte geführt. Denn im Original ist davon gar nicht die Rede – dort wählte Emile Blaise eine andere Bezeichnung: »rentier«.
Konfusion plus
Der Blick ins Wörterbuch scheint denen recht zu geben, die der Meinung sind, es handele sich um stinknormale Rentner: Dort steht, dass ein »rentier« jemanden wäre, der entweder ganz oder zumindest überwiegend von Renten lebt.
Was an dieser Stelle verschwiegen wird: Gemeint sind keine Zahlungen aus einem Umlagesystem wie der deutschen oder französischen Rentenversicherung. Vielmehr handelt es sich um regelmäßige Einkünfte aus Wertpapieren oder Mietzinsen. Denn auch diese Einkünfte nennt man Renten.
Üblicherweise gehen die Menschen mit sechzig Jahren und älter in den Ruhestand (Ausnahmen gibt es zuhauf, gehören aber nicht nur Regel). Die Sozialversicherungssysteme sorgen mit ihren Zahlungen für den Lebensunterhalt. Die Renten berechnen sich bei den einzelnen nach dem Einkommen während des Arbeitslebens und der Zeit, in der man in die Kassen eingezahlt. Dass es hier noch diverse Spezialitäten gibt, ist bekannt – soll aber nicht das Thema sein.
Ist jemand zu Geld gekommen – beispielsweise hohes Einkommen, Erbschaft, Raubüberfall – kann er dieses anlegen. Ein Rentier kann dadurch Einkünfte erzielen und gut davon leben … im besten Fall sogar prächtig. Ein Rückschluss auf sein ungefähres Alter lässt sich jedoch nicht schließen. Durch eine glückliche Erbschaft oder Schenkung mit zarten achtzehn Jahren und eine raffinierte Anlagestrategie lässt sich erreichen, dass man keinen Tag mit einem drögen Job verbringen muss.
Dadurch, dass sich Emile Blaise als Rentier bezeichnet, gibt es für die Lesenden keine Möglichkeit, das Alter zu schätzen. Da ist nur die Angabe, als er die Szenerie in der Geschichte betritt, dass er im mittleren Alter wäre. Damit wird heute ein Alter zwischen 35 und 65 beschrieben – zu der damaligen Zeit war dies aufgrund der unterschiedlichen Lebenserwartung wahrscheinlich nach vorne verschoben. Also ist es nicht unwahrscheinlich, dass Monsieur Blaise um die vierzig oder fünfzig Jahre alt war. Und damit war er nicht im Rentner- oder Pensionärsalter.
Wie der Mann seinen Wohlstand erlangt hatte, wird von Simenon nicht ausgeführt. Dass Monsieur Blaise weiter damit beschäftigt war, sein Geld zu investieren, wird durch eine Bemerkung deutlich, in der es heißt, dass er zur Börse gehen würde.
Zusammenfassend: Rente ist also nicht gleich Rente. Und ein Rentier ist kein Rentner oder Pensionär. Die bessere Bezeichnung, wenn auch ebenfalls veraltet, wäre Privatier. Hört sich edel und harmlos an. (In anderen Maigret-Übersetzungen ist mir das Wort »Privatier« schon über den Weg gelaufen. In Bezug auf diese Stelle wurde in früheren Übertragungen die Bezeichnung »Rentier« gewählt.)
Faktisch hätte sich der Monsieur auch »Kapitalist« titulieren können. So will man dann aber doch nicht unterschreiben.
Sahnehäubchen
In meinen Augen wird es noch komischer, wenn man sich folgenden Passung zu Gemüte führt, in der ein Makler das geschäftliche Verhältnis seiner Firma zu Monsieur Blaise beschreibt:
Aber für uns ist er kein wichtiger Kunde, nein. Eher ein lästiger, ohne dass ich ihn damit kritisieren will. Das erleben wir häufig. Vor allem bei den Rentnern, die nichts zu tun haben und sich die Zeit vertreiben wollen. Er kommt, erkundigt sich nach den laufenden Geschäften, besichtigt Grundstücke oder Häuser, die zum Verkauf stehen und feilscht um den Preis, als ob er kaufen wollte. Aber meistens kann er sich nicht entschließen.
Wie Rentner halt so sind. Heutzutage verstopfen sie die Theken und Kassen von Supermärkten zu den Zeiten, in denen arbeitende Bevölkerung einkaufen geht. Aber damals haben sie die Makler terrorisiert, nur um ihre Tage herumzubekommen, und die Immobilien-Firmen lahmlegten, in dem sie sich Immobilien zeigen ließen.
Durch das Ersetzen des Wortes »Rentners« durch »Investor« wird ein ganz anderer Schuh draus. Das Bild, was sich im Kopf festgesetzt haben könnte, wandert weg von der Supermarktkasse hin zu einem solventen älteren Herren, der sein Geld anlegen möchte. Denn es mochte eine ganze Reihe von Privatiers gegeben haben, die diesem Hobby frönte, zahlenmäßig war sie der Gruppe von Rentenempfängern jedoch deutlich unterlegen.
Ich vermute, dass sich dieses Thema durch die gesamte Übersetzung ziehen wird – was es so ärgerlich macht.
Darauf noch ein Schlückchen
Abschließend zwei letzte Bemerkungen.
»In dem Schrank dort ist Porto. Aber sie hat den Schlüssel.«
Aus dem Kontext wird sich vielen erschließen, dass Lucas auf den Hinweis von Octave Le Cloaguen hin, sich nicht über zurückgelegte Briefmarken hermachte, sondern über ein leckeres Getränk. Ist aber so eine typische Stelle, bei der ich mich frage, ob man als Allgemeinwissen voraussetzen sollte, worum es genau geht.
Ja, Porto ist Portwein – und ich will mich beeilen, bevor ich eine Eloge auf den leckeren Tropfen beginne –, aber weder mein Buch-Duden noch die Online-Fassung des selbigen stellen eine Verbindung zwischen dem Wort »Porto« und einem alkoholischen Getränk her. Hierzulande wird halt von Port oder Portwein gesprochen, und Porto muss bezahlt werden, wenn man etwas mit der Post auf den Weg bringt.
Kaum noch ins Gewicht fällt dabei ein Lapsus, der nur Paris-Kennern auffallen dürfte, dass Madame Le Cloaguen statt zum Place Clichy sich zum nicht existenten Place Vichy begibt.