Bildnachweis: Der Arbeiter – Der Fall Brunet/Mouvault - maigret.de
Der Arbeiter
Später, wenn alle Tatsachen auf dem Tisch liegen, lässt es sich leicht sagen: »War doch klar!« oder »Da hätte doch mal jemand eins und eins zusammenzählen können!« Louis Brunet war beispielsweise nicht der Typ, der einfach verschwinden würde und dann kein Lebenszeichen von sich gibt. Und Norbert Mouvault versuchte seine Probleme mit Gewalt zu lösen.
Am 11. Oktober 1931 verließ Brunet das letzte Mal sein Zuhause in der Rue Saint-Denis 132, mitten im 2. Arrondissement von Paris. Ein wahrhaft schmales Haus, von dem man sich kaum vorstellen kann, dass es mal als Hotel gedient haben sollte. Aber hier hatte der 23-jährige Brunet seine Bleibe gefunden und wenn man seinem Vermieter glauben durfte, war er ein ruhiger Gast und überhaupt ein zuverlässiger Charakter. So wunderten sich die Leute in seiner Umgebung schon, dass er von einem auf den anderen Tag verschwand.
Brunet hatte Arbeit als Schriftsetzer bei einer Zeitung, auch dort fiel sein Verschwinden auf. Weder lebend noch als Leiche war er in den folgenden Wochen auffindbar.
Viele Menschen verschwinden einfach so und kein Zeitungsblatt berichtete darüber. Das Verschwinden von Louis Brunet war der Presse vor dem 1. Dezember des Jahres keine Erwähnung wert. Mit dem Tag änderte sich das und der junge Mann schaffte es auf die Titelseiten der Pariser Journaille.
Inspektor Petit hatte sich entschlossen, den Mann festzunehmen, den er in Verdacht hatte, mit dem Verschwinden von Brunet zu tun zu haben.
Der Auslöser
Norbert Mouvault war Wachmann in einer Fabrik und hin und wieder fuhr er auch Wagen für die Firma. Er war mal mehr, mal weniger zuverlässig – aber der Chef konnte sich offenbar nie durchringen, Mouvault zu entlassen.
Zu Hause gab er nicht gerade den liebenden Ehemann und Vater. Weshalb sich seine Frau im Laufe des Sommers 1931 entschied, ihren Mann mit den beiden Kindern zu verlassen. Die Liebelei mit Louis Brunet lief ein ganzes Jahr zuvor, was dieser auch nicht bestritt – allerdings lief es sehr im Verborgenen. Sein Wirt hatte beispielsweise keine Ahnung von einer Liebschaft gehabt, und es war nur von kurzer Dauer. Dass es zu Sex gekommen wäre, stritt er gegenüber Mouvault energisch ab.
Mouvault grollte Brunet, aber als seine Frau auszog, war nicht der Schriftsetzer das Ziel. Trotzdem tönte der Arbeiter in seinem Bekanntenkreis herum, dass er sich an dem jungen Mann rächen würde. Diese fragten, ob aus Sorge oder aus Neugierde sei dahingestellt, im Laufe des Oktobers bei dem verlassenen Ehemann nach, wie es um Brunet stände und der antwortete, dass der Schriftsetzer nicht mehr sprechen könne. Als die Polizei anfing, sich mit dem Arbeiter zu beschäftigten, machte ihn dieser Aspekt weder weniger verdächtig noch besonders sympathisch.
Hinzu kam, dass Mouvault just an dem Tag, an dem sein vermeintlicher Widersacher verschwand, in dessen Hotel aufgetaucht war und hatte Brunet aufgesucht. Friedlich ging das Gespräch wohl nicht vonstatten und die Polizei war in Sorge gewesen, denn andere Zeugen hatten berichtet, dass Mouvault sie auf der Suche nach seiner Frau mit einem Revolver bedroht hatte. Für Ermittler rückt man mit solchem Verhalten ganz nach oben auf der Verdächtigen-Liste.
Mouvault dagegen stritt ab, etwas mit der Tat zu tun zu haben. Nachdem Streit habe man sich getrennt und ein Beweis dafür sei, dass er von Brunet einen Brief bekommen habe, der erst später abgestempelt worden war. Dieser schriftliche Beweis hätte den Arbeiter entlasten können, aber die Polizei stellte fest, dass das Briefpapier nicht dem entsprach, dass der Schriftsetzer bei sich in der Wohnung hatte. Dagegen ähnelte das Briefpapier dem, welches sich im Hause Mouvault fand. So gesehen war dieser nette »Beweis« eher einer für seine Schuld.
Der Mann wurde vorerst wegen Körperverletzung festgenommen. Mord war nicht das Thema, schließlich gab es weder Zeugen für eine solche Tat, noch ein Geständnis – geschweige denn eine Leiche.
Der Akrobat
Während Mouvault nun im Gefängnis schmorte und sich seine Gedanken machte, erzielten die Ermittler große Fortschritte. Die Sache war nicht mehr nur Angelegenheit eines kleinen Inspektors. Die großen Namen des Quai des Orfèvres wie Guichard und Guillaume fingen an mitzumischen. Als der Arbeiter ins Gefängnis geschickt wurde, hatten die Ermittler ein Geständnis – die damalige Presse nannte diesen einen Komplizen –, ein wenig komplizierter war es schon.
René Plisset war gelernter Maschinenschlosser, betätigte sich aber auf Jahrmärkten als Akrobat unter dem Namen »Trompe-la-Mort« (so viel wie »Täusche-den-Tod«. Dort fuhr er mit einem Motorrad in einem zylindrischen Behälter herum, natürlich in abenteuerlicher Geschwindigkeit. Normalerweise wohnte der Plisset bei seinen Eltern, aber seit geraumer Zeit war er bei Mouvault untergekommen.
Das Verhör, das die Polizisten mit ihm führten, verlief nur kurz zäh. Sie bekamen schnell zu hören, was sie schon vermuteten: Plisset war dabei, als sein Freund Brunet umbrachte. Da sein Freund in Rage gewesen war, führte Plisset an, sah er sich nicht in der Lage, den Mord zu verhindern. Er offenbarte den Ermittlern, dass es eine Vorgeschichte gab … an der er auch beteiligt war.
Im Jahr zuvor hatte Mouvault ihn in die Affäre hineingezogen. Er hatte den Verdacht, dass seine Ehefrau ihm untreu sei, und bat den Akrobaten, Privatdetektiv zu spielen und seine Frau auszukundschaften. Dabei stellte sich heraus, dass Madame Mouvault sich mit Louis Brunet traf.
Im Oktober 1931 meldete sich Mouvault wieder bei ihm und bat ihn, vor dem Hotel Brunets auf ihn zu warten. Mouvault kam mit jungen Mann aus dem Haus und alle begaben sich in die Rue Arago, in der Mouvault lebte. Allerdings nicht gemeinsam. Plisset hatte sich schon auf den Weg zu Mouvaults Heim gemacht und war so vor Ort. Er hatte sich versteckt, als die beiden ankamen. Aus diesem hörte er, wie Mouvault sein Entführungsopfer zwang, einen Brief zu schreiben. Täte er das nicht, würde er den Brunet umbringen. Er solle, forderte der Arbeiter, in dem Schreiben bekennen, dass er der Geliebte seiner Frau sei. Das wollte dieser aber partout nicht, weil er nicht wusste, was mit der Aufzeichnung passieren würde. Mouvault änderte daraufhin seine Wünsche und wollte, dass Brunet in dem Brief notiere, dass seine Frau mit einem Geliebten namens Alexandre Thomas zusammenlebt.
Nachdem er diese – irgendwie unsinnige – Beichte hatte, meinte Mouvault, das perfekte Alibi zu haben. Bisher hatte er Brunet mit einem Revolver in Schach gehalten. Nachdem er das »Mit wem lebt meine Frau«-Attest hatte, kämpfte er nach Aussagen des stillen Beobachters Brunet nieder und fesselte ihn. Dann fing er an, sein Opfer mit Handtüchern zu würgen, und stellte dabei immer wieder die Frage, wo seine Frau sei. Eine sehr komische Frage, wenn man bedenkt, was er Brunet hatte in den Brief schreiben lassen.
Letztlich erwürgte er ihn.
Plisset war dabei, griff aber nach seinem Bekunden nicht ein.
Nach der Tat gingen die beiden Männer etwas trinken, schlenderten durch die Stadt, aßen in einem Restaurant zu Abend … und natürlich kümmerten sie sich auch um die Leiche. Sie wurde in eine große Decke und in ein Drahtgeflecht eingewickelt.
Mouvault hatte sich ein Auto besorgt, mit dem er das Leichen-Paket transportieren wollte. Die beiden verluden dieses spät in der Nacht und fuhren an der Seine entlang nach Herblay. Aus dem Ort stammte Mouvault und er wusste, welches ein guter Platz wäre, um Brunet für immer loszuwerden: die Seine. Dabei, so berichtete sein Entsorgungskomplize den interessierten Polizisten, hatte er konkrete Vorstellungen. Die Leiche sollte nicht einfach ins Wasser geschmissen werden, sondern sie klauten ein Boot und fuhren mit diesem im Dunkeln zu einer tiefen Stelle in der Seine und versenkten dort das Paket, welches sie mit Ziegelsteinen beschwert hatten. Mouvault war überzeugt, dass er mit der »Trou aux Anguilles« (dt. »das Aalloch«) genannten Stelle, den idealen Platz gefunden hatte.
Die Sicht der Ehefrau
Madame Mouvault (Ehefrau des Mörders)
Credits: Georges Pavis
In der Zeit, in der ich meine Ausbildung zum Schriftsetzer machte, war der Begriff noch geläufig. Aber nicht jeder wusste, was ein Setzer, wie wir uns nannten, trieb. So fragte mich damals jemand, dem ich sagte, dass ich den Beruf erlernen würde: »Wirklich? Ofensetzer?« Natürlich nicht! Obwohl ich sagen muss, dass das Aufstellen von Öfen in den letzten beiden Jahrzehnten auch wieder in Mode gekommen ist, was nicht vorhersagbar war. Was man von dem Beruf des Schriftsetzers nicht behaupten kann. Den gibt es in der Form nicht mehr. Als ich nun las, dass der Freund von Madame Mouvault Ofensetzer war, musste ich ein wenig Lächeln. Da hatte sie sich zwei Setzer geangelt. (Wobei der Witz nur in der deutschen Sprache funktioniert.)
Da die beiden Begrifflichkeit nur im Deutschen besteht, wird die Ehefrau des Mörders, Madame Mouvault, darüber nicht gelächelt haben. Sie fragte sich, was mit ihrem Mann passiert sei. Sie verstand es gar nicht und vermutete, dass er entweder einen Malaria-Anfall gehabt hatte oder eventuell verrückt geworden wäre. Die letztere Annahme kommt einem durchaus in den Sinn.
Sie hatte, erzählte Madame Mouvault, im Sommer des Vorjahres Brunet kennengelernt und der hatte sie bestärkt, die toxische Beziehung mit ihrem Ehemann zu beenden. Allerdings war sie nicht sehr oft mit ihm ausgegangen und zusammengezogen war sie mit ihm schon überhaupt nicht.
Mouvault und sie hätten jedoch eine Freundin gehabt. Sie hatte auf diesem Weg deren Schwager kennengelernt – den erwähnten Alexandre Thomas. Dieser war verheiratet wie sie, aber seine Frau war verrückt geworden. In der Zeit der Trennung kamen die beiden sich näher und schon im August willigte sie ein, mit ihren Kindern zu ihrem neuen Lebensgefährten zu ziehen.
Mouvault wusste davon und hatte sie auch gesucht. Sein Ansinnen, das er etwa einen Monat nach der Tat hatte, war, dass sie wieder zusammenziehen sollten. Nachdem die Frau das abgelehnt hatte, entriss er ihr den ältesten Sohn und zog von dannen.
Das Verhalten des Mannes gegenüber dem neuen Freund seiner Frau war nicht rational: Als sie sich in der Öffentlichkeit trafen, Mouvault hatte seinen Sohn dabei, ließ er den Sohn mit Thomas reden. Gleichzeitig versuchte er dem Mann zu schaden, in dem er ihn bei der Polizei anzeigte. Die Vorwürfe waren völlig aus der Luft gegriffen. Wer daraus klug wird …
Der Fund
Mit dem Wissen, was die Ermittler zu dem Zeitpunkt hatten, konnten sie sich auf die Suche nach den sterblichen Überreste machen. Sie benötigten zwei Tage – dabei hatten sie Unterstützung von einem Taucher, der den Untergrund an der Stelle absuchte. Es war eindeutig der Leichnam von Louis Brunet. Um seinen Hals fand auch das Handtuch, mit welchem er erwürgt worden war. Es trug die Initialen von Madame Mouvault. Plisset hatte nicht gelogen.
Der Leichnam wurde zur Gerichtsmedizin nach Paris gebracht und von Dr. Paul untersucht. Wir wissen jetzt also, woher Simenon seinen Gerichtsmediziner in den Maigrets hatte – der Wirklichkeit entlehnt. Der Doktor stellte fest – wiederum in Übereinstimmung mit den Angaben des Zeugen –, dass der Schriftsetzer erwürgt worden war.
Für die Ermittler war an diesem 4. Dezember der Zeitpunkt gekommen, Mouvault mit den Aussagen und Erkenntnissen zu konfrontieren. Dieser stritt die Tat nicht mehr ab. Nun, meinte er, wäre der Zeitpunkt gekommen, reinen Tisch zu machen. Seine Sicht auf die Dinge war eine andere. Es war seiner Meinung nach kein kaltblütiger und geplanter Mord gewesen. Vielmehr war die Unterhaltung aus dem Ruder gelaufen. Brunet hätte sich über ihn lustig gemacht, und das wäre bei ihm nicht gut angekommen. Dadurch wäre die Situation eskaliert.
Die Anwälte Plissets brachten sich am nächsten Tag schon in Stellung. Ihr Mandant habe sieben Jahre zuvor ein Unfall gehabt, bei dem ihm eine Autokarosserie auf den Kopf gefallen wäre. Sie beantragten, dass durch Sachverständige untersucht wird, ob dies dazu geführt haben könnte, dass der Akrobat willensschwach geworden wäre.
Die Ermittlungen konzentrierten sich in der Phase darauf, die einzelnen Zeugenaussagen zu validieren. Monsieur Thomas sagte beispielsweise aus, dass er den Ehemann seiner Freundin nur einmal gesehen habe. Diese wiederum erinnerte sich an den gewalttätigen und brutalen Charakter ihres Mannes, der auch in Gegenwart anderer zutage trat und betonte, dass die sanften Worte von Louis Brunet eine Wohltat gewesen waren. Sie gab an, die Wohnung am 10. August 1931 verlassen zu haben und sie könne sich nicht erklären, wie er an die Adresse gekommen war. Die hatte er, das fanden die Ermittler heraus, unter fadenscheinigen Gründen bei der Präfektur erlangt.
Während die Polizisten einerseits schöne klare Aussagen einsammeln konnte, wie beispielsweise die von einem Jean Simon, der zu Protokoll gab, dass Mouvault zu ihm sagte:
»Brunet ist verschwunden ... Wir werden ihn nicht wiedersehen!«
kamen sie an anderen Stellen nicht weiter. Gern hätten sie herausgefunden, ob Mouvault an dem Sonntag das Drahtgeflecht gekauft hatte oder schon zuvor. Für die Anklage würde das wichtig werden, denn hätte er es danach erworben, wäre es wahrscheinlicher, dass die Tat im Affekt geschah. Aber die Verkäuferin in dem Laden konnte sich beim besten Willen nicht daran erinnern, ob und an wen sie an diesem Sonntag solchen Draht verkauft hatte.
Der dritte Mann
Von oben nach unten: Norbert Mouvault, Fernand Martin, René Plisset
Credits: Georges Pavis
René Plisset hatte darum gebeten, nochmals vor dem Untersuchungsrichter aussagen zu dürfen. Er hätte, so wurde es in der Presse angekündigt, noch einige Punkte, die er gern anbringen wollte. Der Untersuchungsrichter Gloria, der den Fall betreute, war sehr dafür, begann das Gespräch – wahrscheinlich zur Überraschung von Plisset – mit der Frage, warum dieser verschwiegen habe, dass er es gewesen sei, der Louis Brunet die Hände gefesselt habe. Das hatten die Ermittler aus ihrem Gespräch mit Mouvault erfahren. Die Antwort auf die Frage war lahm: Es sei alles so schnell gegangen und er hätte nicht ahnen können, was sein Freund vorhatte.
Der Richter fragte den Gefangenen, ob sie bei dem Verbrechen zu zweit gewesen wären oder ob nicht noch weitere Personen beteiligt wäre. Ein dankbarer Einwurf aus Sicht Plissets, denn nun konnte er preisgeben, dass bei der Tat nur er und Norbert Mouvault anwesend waren, aber beim Abtransport hätten sie Hilfe gehabt. Mouvault hätte einen alten Kumpel bei der abendlichen Tour getroffen, der »Titi« oder so ähnlich gerufen wurde … und den er nicht kennen würde.
Journalisten machten sich auf die Suche nach einen Mann diesen Namens und stießen dabei auf einen Jugendfreund Mouvaults namens Fernand Martin. Nachdem sie seine Adresse ausfindig gemacht hatten, besuchten sie den Mann und konnten ihren Lesern am nächsten Morgen berichten, dass dieser gerade ein herzhaftes Abendessen eingenommen hatte, als sie ihn in der ermittelten Wohnung antrafen. Gegenüber den Reportern stritt er alles ab. Während des Interviews traf auch die Polizei ein. Die nahm ihn fest und stellten anschließend Fragen, die ähnlich denen der Journalisten waren.
Allerdings waren die Antworten andere.
Der Polizei gegenüber gab er zu, dass er den Zaun und die Ziegelsteine besorgt hatte. Auch wäre er mitgefahren, um die Leichen von Louis Brunet zu entsorgen – aber er wäre im Auto sitzen geblieben. Auch er wurde erst einmal im staatlich versorgt.
Der Prozess beginnt
Mitte Dezember 1931 verschwand der Fall aus der Presse. Es gab einen anderen Mörder, der sich in den Vordergrund spielte (und dem später unsere ganze Aufmerksamkeit gehören wird). Am 3. April des Folgejahres erschien eine kleine Meldung in den Zeitungen, dass noch in der ersten Hälfte des Jahres der Prozess beginnen sollte. Der Richter sollte Monsieur Barnaud werden.
Das mit dem Richter sollte stimmen, aber der Prozessbeginn verschob sich. Start der öffentlichen Verhandlung war der 12. Oktober 1932, aber Tage zuvor gab es Aufregung. Dem Angeklagten Plisset ging es nicht gut und Dr. Paul, vermutlich vom gerichtsmedizinischen Institut, sollte beurteilen, ob der Angeklagte fähig wäre, dem Prozess zu folgen. Da der Doktor feststellte, dass der ehemalige Akrobat unter einer Lungentuberkulose litt, leitete er eine Behandlung ein und behielt es sich vor, später zu entscheiden, ob eine Teilnahme möglich wäre. Wenn nicht, so spekulierte man in der Presse, müsste der Prozess aufgeteilt werden oder verschoben werden. Üblich war damals Letzteres.
Am bewussten 12. Oktober saßen alle drei Angeklagten im Gerichtssaal und folgten der Eröffnung des Prozesses. Große Überraschungen waren nicht zu erwarten. Die Polizei hatte gut ermittelt, die Presse ebenfalls.
Geo London, zur damaligen Zeit ein bekannter Gerichtsreporter, leitete seinen Bericht zu dem Prozess mit den folgenden Worten ein:
Es gibt viele Möglichkeiten für einen betrogenen Ehemann, seine Ehre zu rächen. Einige davon – und die sind klassisch – führen in die Box des Schwurgerichts.
Richter Barnaud
Credits: Georges Pavis
London betont, dass es ein großer Prozess sein, obwohl nach seinen Augen ein wichtiges Merkmal fehlen würde: Es gäbe kein Mysterium. Ob man das so sagen kann, denn was hatte Mouvault für ein Motiv? Eifersucht, das meinte zumindest seine Ehefrau, könne es nicht gewesen sein.
Dafür gibt uns der Reporter ein Bild davon, wie die Angeklagten aussahen: Norbert Mouvault war ein hübscher Kerl, groß, breitschultrig und vermittelte dem Autor einen»Eindruck kalter Grausamkeit«. Plisset war eindeutig gesundheitlich angeschlagen, war kaum wahrnehmbar und der, der die geringste Strafe in dem Prozess zu erwarten hatte, François Martin war ein kleiner und hässlicher Mann, der verzweifelt wirkte.
An dem ersten Tag nahm sich der Gerichtspräsident Barnaud Zeit und stellte der Jury die Angeklagten vor. Mouvault war kein guter Schüler gewesen, aber hätte sich als Arbeiter bewährt. Ihm fielen komische Sachen ein, die »Normalsterbliche« nicht machen, wie beispielsweise mit einem schweren Stein in der Hand mit dem Fahrrad in die Seine fahren. Plisset war ein anderes Kaliber: Er hatte schon eine Vorstrafe, die zur Bewährung ausgesetzt worden war. Aber mit der Arbeit hatte er es nicht so. Nachdem er der Akrobatik überdrüssig geworden war, zog er bei Mouvault ein – der war allein, nachdem ihm seine Frau verlassen hatte – und hatte seinen Lebenstraum erfüllt: einfach nichts zu tun. Martin war ein unbeschriebenes Blatt und ein guter Arbeiter – es war die Freundschaft, die ihn auf die schiefe Bahn brachte.
Während der Prozesse wurden einige Details bekannt, die vorher nicht an die Öffentlichkeit gelangt waren. Beispielsweise kam Mouvault zwei Tage nach dem Verbrechen ins Hotel, in dem Brunet gewohnt hatte, und fragte nach ihm. Brunet hatte, nachdem er bei Madame Mouvault nichts geworden war, so kann man es wohl sagen, diese seit Oktober 1930 nicht mehr gesehen und war auch in die Provinz gegangen. Später, als er wieder in Paris war und es den Anschein hatte, dass es ein Aufeinandertreffen geben könnte, hatte er die Wohnung durch ein Fenster verlassen, um eine Begegnung zu vermeiden. All die Fantasien von Mouvault waren so abwegig gewesen. Er ließ sogar einen Privatdetektiv recherchieren, aber viel mehr konnte er seinem Klienten nicht mitteilen.
Es kam ans Licht, dass sich Opfer und Täter kannten und sogar befreundet waren. Der Arbeiter traf sich im Sommer 1931 mit Brunet und klagte ihm sein Leid. Dabei soll Brunet zum Verschwinden von Madame Mouvault gemeint haben:
»Eine Frau und zwei Kinder. Das findet man wieder.«
Womit wohl gesagt werden sollte, dass die Frau nicht ewig verschollen bleiben würde. Mouvault meinte vor Gericht, dass er den Mord nicht geplant habe, er habe sich ergeben. Der Grund hierfür wäre, dass er den Eindruck gehabt habe, dass er von Brunet verspottet worden wäre – auch im Angesicht der Androhung von Folter. Ein Anwalt der Familie Brunet, die als Nebenkläger auftrat, kommentierte das mit den Worten:
»Es war immer der Hase, der angefangen hat.«
Die ganze Vertuschungsaktion erklärte Mouvault, der nach Aussagen des Gerichtsreporters teilweise schüchtern auftrat, damit, dass er an das Leben seines jungen Komplizen Plisset gedacht habe. Der hätte es in Zukunft wirklich wer, wenn das Verbrechen auffliegen würde.
Zwei Wochen nach der Tat tauchte er, wie schon erwähnt, bei seiner Ehefrau auf und verlangte die Herausgabe der Kinder. Seine Frau hätte ihm geschworen, dass das jüngste Kind nicht von ihm wäre sondern von Brunet. Sein Kumpel Plisset, ebenfalls mit dabei, bestärkte ihn. Er hätte keine Ähnlichkeit mit Mouvault. Deshalb nahm er auch nur den ältesten Sohn mit.
Die Adresse hatte er, wie die Polizei vorher schon ermittelt hatte, nicht von Brunet (woher sollte dieser die auch kennen?) – aus den Aussagen von Mouvault mochte man das heraushören, aber Plisset sagte in seinen Ausführungen vor Gericht, dass das Opfer den Wohnort von Madame Mouvault nicht genannt habe. Auch gab er vor Richter Barnaud zu, dass er es war, der auf das geborgte Taxi ein makabres Totenkopf-Symbol gemalt hatte.
Es folgten die Zeugen ...
Als erster Sachverständiger wurde Dr. Paul vernommen. Der Gerichtspräsident wollte von dem Gerichtsmediziner wissen, wie lange es dauern würde, bis der Tod durch eine Strangulation eintreten würde. Der Doktor antwortete:
»Das ist schwer zu sagen, da es keine experimentellen Daten gibt.«
Er führte weiter: Ein Kaninchen verstarb bei einem solchen Experiment nach drei Minuten und seiner Schätzung nach würde ein Mensch vier überleben.
Im Anschluss wurde das Gebaren der Ehefrau unter die Lupe genommen. Die Verteidigung stürzte sich mit Freude auf Zeugen, die preisgaben, dass es zahlreiche eheliche Verfehlungen gegeben hatte. Die Frau hätte den Angeklagten Mouvault oft und unwürdig betrogen. Eine Nachbarin, Madame Fraval, schien die zu bestätigen. Sie sagte aus, dass sich die Ehefrau aufdonnerte, während der Ehemann schlampig aus dem Haus ging. (Eine Argumentation, der ich nicht folgen kann: Es gibt einfach Männer, die weniger auf ihr Äußeres achten und denen es egal ist, ob ihre Kleidung Löcher hat. Schließlich hat es kein Grund, warum sich die Mode-Industrie nicht auf IT-Mitarbeiter stürzt.) Die Verteidigung hörte diese Aussagen aber natürlich gern, während er Staatsanwalt vor der Jury offenbart, dass es die Zeugung Fraval gewesen war, die den Angeklagten auf Brunet aufmerksam gemacht hatte und damit das Drama erst in Gang gesetzt hatte.
Der zweite Verhandlungstag ging zu Ende und man wartete gespannt auf den Folgetag, an dem die Ehefrau aussagen sollte.
Der Tag der Frau
Man kann seinen Ehemann ausgiebig betrügen und trotzdem keine schöne Frau sein. Frau Mouvault ist der Beweis dafür.
Von den Franzosen sagt man, dass sie charmant wären. Nun, wenn eine Frau im Zeugenstand steht, kann auch ein Geo London sich mal vergessen und solche Zeilen schreiben. Seine Skizze der Ehefrau fiel aber auch im weiteren wenig vorteilhaft aus: Ihre Eleganz wäre »auffällig und geschmacklos«, sie würde sich »maskulin« kleiden, und ob die Beobachtung, dass sie furchtlos und schamlos wäre, als Kompliment gemeint war, darf bezweifelt werden. Am Vortag, das gab der Gerichtsreporter zu Protokoll, war das Verbrechen an Louis Brunet zeitweise aus dem Fokus geraten, da sich sehr auf die Eskapaden von Frau Mouvault konzentriert wurde.
Sie erzählte, wie sich das Ehepaar kennengelernt habe und berichtete, dass sie ihren älteren Sohn seit vielen Monaten nicht mehr gesehen habe. Das jüngere Kind, was Mouvault ihr bei seiner Entführungsaktion ließ (die übrigens nicht Teil der Anklage war), war im Laufe des Jahres verstorben. Ob es »ein Kind der Sünde war«, wie zuvor schon spekuliert wurde, konnte im Prozess nicht geklärt werden. Möglich, dass Brunet der Vater war und es auch einen fleischlichen Aspekt in der kurzen Beziehung zwischen der der Ehefrau des Mörders und dem Ermordeten gab.
Aus irgendwelchen Gründen hatte man den Lebenspartner von Madame Mouvault, Alexandre Thomas, geladen. Ein Anwalt begann, eine Predigt zu halten, in der es um die »Treuepflicht von Ehegatten« ging. Der Gerichtspräsident machte diesen Ausführungen schnell ein Ende und im Gerichtssaal herrschte Heiterkeit. (Es erheitert auch heute noch, wenn man sich vorstellt, welchen Ruf die Franzosen im Hinblick auf die ehelich Treue bei ihren europäischen Nachbarn haben.)
Von links nach rechts: Inspektor Vacheron, Mademoiselle Mouvault (Schwester von Norbert Mouvault), Raymond Mouvault (Bruder von Norbert Mouvault), Monsieur Jouhaux
Credits: Georges Pavis
Ein weiterer Zeuge an diesem Tag war Monsieur Jouhaux, der für die Familie Mouvault eine Verbindung zu einem Inspektor Vacheron herstellte. Der sollte ein paar Erkundigungen über die Beziehung Brunet zu Madame Mouvault einholen wollte. Beauftragt hatte dies entweder der Bruder oder die Schwester. Nach Aussage der Schwester war sie dabei gewesen, als sich der Polizist sich telefonisch bei Monsieur Jouhaux meldete. Dieser hätte ihr den Hörer gereicht und berichtet, dass Brunet Madame Mouvault prostituieren würde. Dieser Sachverhalt wurde in Gänze sowohl von Jouhaux wie auch dem Polizisten energisch bestritten. Es kam zu einer Gegenüberstellung im Zeugenstand bei dem jede Partei seine Position bekräftigte. Die Schwester des Angeklagten legte noch eine Schippe drauf und erklärte, dass er Inspektor ihr gegenüber erklärt hätte, dass wenn sie ihn vor Gericht bringen würde, es den Bruder – also Norbert – den Kopf kosten würde. Klar war, dass Vacheron, wenn er zugeben würde, so etwas getan und gesagt zu haben, Probleme in seiner Dienststelle bekommen hätte – aber er ließ sich nicht davon abbringen und meinte, dass die Familie Mouvault aus allem, was sie über Brunet gehört hatten, einen Salat gemacht habe – eine Phrase, die mir neu war.
Die Situation erschien für Norbert Mouvault zu dem Zeitpunkt vorteilhaft. Es gab Zweifel an der Persönlichkeit des Opfers, obwohl der Präsident betont hatte, dass alles Erkenntnisse darauf hindeuten, dass Brunet hart und fleißig gearbeitet hatte und Prostitution wirklich kein Thema war; aber das Naturell und die Handlungen der Ehefrau von Mouvault könnten die Geschworenen gegen sie und für den Ehemann eingenommen haben.
Die Staatsanwaltschaft war darauf gefasst und setzte einen anderen Fokus. Da war der Schwager von Norbert Mouvault, Lombardi, der aussagte, dass dieser ihm schon Ende September gesagt hätte:
»Er sagte mir, dass er Brunet, den Freund seiner Frau, töten würde, dass er die Leiche mit einem Maschendraht umwickeln und sie mit 30 Kilogramm Gewicht an den Füßen in die Seine zwischen Mantes und Pontoise werfen würde.«
Das war das, was Mouvault später gemacht hatte. Der zwar in dem Prozess zugab, dass er diese Aussage gegenüber seinem Schwager getätigt hätte, aber erst nach der Tat. Woraufhin dieser aussagte, dass Mouvault ihm erzählt hatte, dass er die Adresse seiner Frau nach ein wenig Folter von Brunet erfahren hätte. Daraufhin habe Lombardi gemeint, dass Brunet durchaus zur Polizei gehen könnte, was Mouvault mit den Worten abtat:
»Er wird nicht reden, ich habe ihn getötet.«
Lombardi habe daraufhin seinen Schwager aus der Wohnung geschmissen. Madame Lombardi bestätigte die Aussagen und Mouvault meint aufgebracht, dass dies alles eine Falle der Familie seiner Frau wäre. Den Eindruck durfte er durchaus haben, denn auch der Bruder von Madame Mouvault sagte aus, dass ihm sein Schwager den Mord gestanden habe.
Nun war die Frage, wem die Jury glaubte. Schließlich ging es um den Kopf von Norbert Mouvault.
Das Urteil
An diesem Verhandlungstag sollte spät abends das Urteil gefällt werden. Während für die Monsieurs Plisset und Martin die Angelegenheit noch einigermaßen glimpflich auszugehen schien – erster kam mit fünf Jahren Zwangsarbeit davon, während letzterer mit achtzehn Monaten Gefängnis bestraft wurde – wurde gegen Mouvault die Todesstrafe verhängt. Für ihn gab es keine mildernden Umstände. Die Jury hatte mit sieben zu fünf Stimmen für seine Tod gestimmt.
Viele hatten erwartet, dass er gnädiger davonkommen würde. Hätte er Brunet »einfach nur umgebracht«, wäre das wahrscheinlich auch so gekommen. Allerdings war da die Folter und schändliche Beseitigung des toten Körpers des Schriftsetzers. Der Anwalt der Nebenklage hatte beantragt, dass kurz bevor sich die Jury zurückzog, die Requisiten dieses Mordes präsentiert werden – Decke, Drahtgeflecht, Handtücher, … und es folgte die Aussage des Vaters des Ermordeten. Der machte deutlich, dass so viele Menschen zugunsten des Mörders ausgesagt hatten und bekundet hatten, wie tadellos das Leben Mouvaults bis zu dem Tag X gewesen waren, aber niemand hätte über das grausam beendete Leben seines Sohnes berichtet. Er stellte in Abrede, dass es sich um ein Verbrechen aus Leidenschaft gehandelt habe. Schließlich habe er nicht den Lebensgefährten seiner Frau umgebracht.
Das dürfte Eindruck hinterlassen haben und zu der Entscheidung geführt haben.
Verständlich ist, dass Mouvault noch an dem Abend Berufung gegen das Urteil einlegte; irritierend ist, dass zehn von den zwölf Geschworenen ein Gnadengesuch für den gerade von ihn Verurteilten unterschrieben.
Die Berufung wurde zwei Tage vor Silvester des gleichen Jahres zurückgewiesen. Nun blieb dem Angeklagten nur noch die Hoffnung, dass er begnadigt wurde. Dass dies geschehen musste, wurde schon zuvor gespoilert. Männer, die unter der Guillotine ihren Kopf verloren, wurden nicht auf die Île-de-Ré für eine Südamerika-Reise verfrachtet. Am 28. Januar sprach der Verteidiger von Mouvault, Maurice Garçon, beim Staatspräsidenten Albert François Lebrun vor und schilderte ihm die Gründe, die für eine Begnadigung des Verurteilten sprachen. Offenbar war er mit seinen Worten durchgedrungen, denn zwei Tage danach begnadigte ihn der Präsident zu lebenslanger Zwangsarbeit.
Ein halbes Jahr später wurde berichtet, dass René Plisset verstorben war. Schon während des Prozesses stand es nicht zum Besten mit seiner Gesundheit und Geo London vermutete, dass dies der Grund gewesen, warum er mit einem solch gnädigen Urteil davon gekommen war. Im Juli 1933 stellten seine Anwälte ein Gnadengesuch, aber dies wurde abgelehnt – da lag er im Sterben. Der Gefängnisdirektor von Fresnes wollte ihm jedoch auf dem Sterbebett keine schlechten Nachrichten überbringen und versprach ihm, er würde in einigen Tagen frei sein. Ganz falsch war die Aussage nicht, nur anderes gemeint.
Plisset starb sechs Stunden später.
Später dann ...
Der dritte Mann des Trios verschwand vollständig aus den Medien, er war nur eine Randfigur. Aber was war mit Mouvault? Hatte man ihn auch vergessen? Nein! Natürlich begleitete die Presse seinen Abtransport aus Frankreich. In der »Lieferung« am 18. September, die von La Rochelle zur Île-de-Ré abging, war er noch nicht dabei. Am darauffolgenden Tag soll er mit von der Partie gewesen sein. Zehn Tage später, am 29. September 1933, brach das Schiff mit den Gefangenen auf nach Saint-Laurent-du-Maroni.
Im März 1937 fand der Fall nochmals Erwähnung. Kommissar Guillaume, der an den Ermittlungen beteiligt war, veröffentlichte seine Memoiren im »Paris Soir«. Das Verbrechen wurde in (mindestens) zwei Folgen in der Zeitung behandelt. Das war die Vergangenheit, im Juni beschäftigte man sich mit der (damaligen) Gegenwart. Ein Reporter war in die Strafkolonie gereist und hatte dort den Sträfling Mouvault aufgesucht. Die Schilderung mag erst einmal irritieren:
So viele Gesichter tragen das Zeichen von Überwältigung und Verzweiflung, dass es mir eine Erholung ist, auf seinem Gesicht einen Ausdruck von Zufriedenheit und Eroberung zu sehen. Er ist glücklich über seine Freude und spielt nicht den Heuchler.
Das Glück war dem Mann hold gewesen. Der Kommandant war ein Bekannter von ihm, ein Milchbruder seines Sohnes, und damit gab es ein gewisses Wohlwollen. Der Reporter berichtete, dass es aber nicht nur fremder Einfluss gewesen war, der für sein Glück sorgte. Als ein Mann ins Meer fiel, welches berüchtigt für seine Haie war, sprang der verurteilte Mörder hinterher und rettete ihn. Er wäre, so heißt es, selber beinahe gefressen worden. (Das können wir dem dramatischen Stil, den eine solche Story hat, eher zuordnen und müssen es nicht unbedingt als wahrhaftig ansehen.) Die Vorgesetzten verfassten darüber lobende Berichte, sendeten diese nach Paris und schlugen Mouvault für eine besondere Begnadigung aufgrund seines Heldentums vor. Die positive Quittung kam: Seine lebenslange Strafarbeit wurde auf eine Gesamtzeit von zwanzig Jahren reduziert.
Weiteres Glück dürfte für ihn gewesen sein, dass er nicht für die Arbeit beim Straßenbau eingesetzt war. Der ehemalige Arbeiter wurde als Leuchtturm-Wärter auf der Îles-du-Salut beschäftigt. Das war sicher nicht der schlechteste Job, den man in der Strafkolonie haben konnte.
Im Mai 1947 erfahren interessierte Leser, dass Norbert Mouvault aus der Zwangsarbeit entlassen wurde. Er arbeitete nun in Cayenne in einem Krankenhaus. Wer auch immer befragt wurde, war voll des Lobes. So ist im »France Soir« die Aussage eines Vorgesetzten zu lesen:
»Mouvaults bloße Anwesenheit beruhigt die Konflikte, die oft zwischen den Entlassenen, die in Cayenne ›Popotes‹ genannt werden, und den letzten amtierenden oder pensionierten Sträflingen entstehen. Sein Einfluss und seine ruhige Autorität reichen aus, um die Messer in die Taschen zu stecken.«
Er war im März entlassen worden, aber musste sich in Geduld üben, bevor er nach Frankreich zurückreisen konnte. Nach etwa fünfzehn Jahren sollte das im Mai 1948 so weit sein. Mouvault kam in Le Havre an und in »Paris presse« berichtete man:
Unter den wieder freigelassenen Sträflingen befand sich auch ein großer, gutaussehender Mann mit einem energischen, sympathischen Gesicht, der in einer hellen Hose lebt und arbeitet: Norbert Mouvault.
Dem Reporter berichtete er, dass er Glück in der Ferne gehabt habe. Er war auch Fahrer des Direktors der Strafkolonie – leicht sind schlimmere Schicksale denkbar. Wurde über ihn berichtet, dann freute er sich immer auf ein Wiedersehen mit seinem Sohn. Pläne hatte er auch: Er wollte eine Zeit lang in Herblay verbringen, bevor er sich an sich an die Côte d'Azur begeben wollte, um ein neues Leben zu beginnen. Der Schlusssatz in dem Artikel:
So endete eine erbärmliche Geschichte, deren glücklicher Held in der ganzen Region die Erinnerung an einen integren Mann hinterließ, der in einem Anfall von Wut gehandelt hatte.
Einerseits lässt es einen ratlos zurück, wenn plötzlich von einem »Helden« die Rede ist und Adjektive wie »integer« für die Beschreibung von Mouvault genutzt werden. Außerdem ist so überhaupt nicht mehr von dem Opfer die Rede.
Zum anderen wird einem der Dusel bewusst, den dieser Mann gehabt hat. Zu dem Zeitpunkt, zudem er aus der Berichterstattung der Medien verschwand, hätte er auch schon fünfzehn Jahre tot sein können.