Messerstecher

Der bessere Titel


Wollen wir hier einmal die Klarheit der deutschen Sprache preisen? Ein Mörder ist jemand, der vorsätzlich jemanden umbringt. Es muss, wenn man es von der rechtlichen Seite sieht, noch mindestens ein Mordmerkmal erfüllt sein (beispielsweise niedere Beweggründe, Heimtücke etc.). Reden wir im Deutschen von einem Killer, dann meinen wir normalerweise einen besonders bösartigen oder professionellen Mörder.

Wir können an der Stelle unserer Sprache einmal dankbar sein! Wir kommen für die Beschreibung eines Menschen, der eine vorsätzliche Tötung mit Mordmerkmalen vollzogen hat, mit einem Wort aus: Mörder. Eigentlich ganz einfach. (Wenn ich ehrlich bin, idealisiere ich an der Stelle die Nutzer unserer Sprache ein wenig, denn viele Leute verwenden das Wort »Mörder« auch für Menschen, die sich eines Totschlag-Deliktes schuldig gemacht haben – was nicht gerecht ist.)

Kommen wir aber mal zu den Franzosen und schauen auf ihre charmante Sprache. Gleich vier Wörter gibt es für Mörder:

  • le massacreur
  • l’assassin
  • le meurtrier
  • le tueur

Man sieht recht fix, dass das Leben von Übersetzern nicht leicht ist.

Simenon wählte für seinen vorletzten Maigret-Roman »Maigret und der Messerstecher«[MM] den Titel »Maigret et le tueur«. Das Wort »tueur«hat vier Bedeutungen:

  • der Mörder
  • der Töter
  • der Schlächter
  • der Killer

Nun findet der Kommissar nach ewig langen Ermittlungen heraus, dass man dem Täter in dieser Geschichte mit dem Wort »Mörder« nicht gerecht wird (und grämt sich letztlich darüber, dass auch das Gesetz dem Täter nicht gerecht werden kann).

Trotzdem trug der Roman in den ersten Jahren im deutschsprachigen Raum den Titel »Maigret und der Mörder«. Ich glaube nicht, dass Simenon diese Übersetzung wirklich gemocht hätte. Denn den Mörder hatte er ja auch schon in »L’assassin«[RDM] verarbeitet und dort meinte er mit Mörder einen Menschen, dessen Tat Mordmerkmale aufwies.

Auch die Varianten »Schlächter« und »Killer« werden dem Täter nicht gerecht: Ja, Antoine Batille wurde gekillt oder in mancher Augen sogar abgeschlachtet, wenn man die Anzahl der Messerstiche in Betracht zieht. Es scheint mir aber immer noch ein Sprung zu sein, von der Beschreibung, wie die Tat ausgeführt worden ist, zu der Beschreibung des Menschen, der sie ausgeführt hat. So leicht machen es einem die Menschen und deren Taten nicht.

Ich würde vermuten, dass Simenon die Begrifflichkeit »Töter« im Sinne hatte. Das Wort empfinde ich nicht als wertend: Es besagt nur, dass jemand getötet hat. Das tapfere Schneiderlein ist ganz gewiss ein Töter gewesen und die Zahl derer, die das Schneiderlein deshalb verurteilen würden, kann man getrost als klein betrachten. Nun kommt jedoch ein anderer Aspekt hinzu, der vielleicht der Ästhetik geschuldet ist: Das Wort »Töter« tönt altmodisch und unser aller Freund Duden weiss dazu noch zu berichten, dass das Wort selten im Deutschen verwendet wird. Für einen griffigen Roman-Titel scheint das Wort ungeeignet zu sein.

So gesehen war es ein geschickter Schachzug von Diogenes, sich dieses Dilemmas zu entziehen, indem man sich von dem alten Titel mit dem »Mörder« trennte und den »Messerstecher« einführte. Damit kreierte man eindeutig den besseren Titel.