Pavillon Gabriel fin mars

Der gemietete Oberkellner


Was die Concierge über Antoinette Le Cloaguen zu erzählen hatte, war interessant für Maigret. Sie und ihre Tochter kauften die schlechtesten Partien für sich beim Metzger. Ein Dienstmädchen hatten sie nicht, sondern es kam »nur« eine Putzfrau jeden Morgen. Aber die Le Cloaguens waren reich, meinte die gute Seele des Hauses. Die Empfänge jeden Montag wären ein Indiz.

Der Kommissar nahm die folgende Bemerkung einfach hin, aber ich wunderte mich ziemlich:

Montags ließ man jedoch einen Oberkellner vom Potel et Chabot kommen.

Welches Restaurant verleiht seine Kellner? Ich habe wirklich keine Ahnung, ob das üblich gewesen war oder immer noch gängig ist. Da wir solche Empfänge bei uns nicht geben – vielleicht ein Fehler, wer weiß – erscheint uns die Idee fremd. Möglich wäre es ja, dass der Montag-Nachmittag eine Saure-Gurken-Zeit in den dem Restaurant war, dass es kein Problem war, einen Kellner temporär wegzugeben.

Die Präposition »vom« suggeriert mir, dass es eine Gaststätte sein musste, die ihr Personal verlieh. Bei der Suche nach einer Lokalität dieses Namens wurde ich fündig und die nach Bildern förderte Pavillons zutage, aber das an den unterschiedlichsten Ecken von Paris. Sucht man auf einer aktuellen Karte von Paris nach dem Namen, werden verschiedene Örtlichkeiten genannt. Sehr irritierend.

Tauscht man das Verhältniswort jedoch von »vom« zu »von«, wird daraus ein neuer Schuh. Dann ist es nur noch eine Firma und welche Art von Unternehmung könnte einen Oberkellner vermieten? Genau, ein Partyservice!

Ich hege gewisse Zweifel, ob das Management von Potel et Chabot sich heute noch als solcher bezeichnen würde. In einer Image-Broschüre ist eher die Rede von »Event-Kommunikation«, szenischer Gestaltung und von Kunst, sowohl was die Ausgestaltung von Räumlichkeiten für Veranstaltungen wie die Verköstigung angeht.

Zweifel würde ich anmelden, wenn es darum geht, ob eine Madame Le Cloaguen noch einen einzelnen Oberkellner mieten könnte.

Jean-François Potel war ein Konditormeister in Paris. 1820 kam er auf die Idee, sich mit einem berühmten Koch namens Étienne Chabot zusammen zu tun, der für den französischen Hof gekocht hatte, und einen gehobenen Partyservice zu gründen. 

Das Geschäft mit den Le Cloaguens von Paris, die nur einen Angestellten mieteten, war wohl meist ein Nebengeschäft gewesen. 

Die Firma richtete Empfänge für Könige und Staatsgäste aus und – was für Zeiten damals! – organisierte die prunkvollen Veranstaltungen zu Eröffnungen von Bahnlinien. Legendär soll der Firmengeschichte nach ein Bankett für einen Pariser Bürgermeister gewesen ein, bei dem 23.000 Gedecke aufgetragen wurden.

Die Oberkellner heute beherrschen die unterschiedlichsten Ausprägungen der Bedienung. Bisher hatte ich nur zwischen »gutem« und »schlechten« Service unterschieden, aber Potel et Chabot bringen neben dem Service an einem Rollwagen noch den englischen Stil ins Spiel und »service à la Beaumont«. Von letzterem kann ich mir kein genaues Bild machen, habe jedoch von Bezügen zur »Nouvelle Cuisine« gelesen. Mieten konnte man Oberkellner für seine eigenen Zwecke, aber heutzutage muss man mindestens zwei nehmen, um ins Geschäft mit dem Partyservice zu kommen.

Geworben wird mit den großen Events und die müssen sich hinter dem Bankett des früheren Pariser Bürgermeisters nicht verstecken. Wer Platzprobleme hat, weil er beispielsweise in seiner Zwei-Zimmer-Wohnung keine Soirée für zweihundert Leute ausrichten kann, dem kann Potel et Chabot ebenso helfen: Einfach einen der Säle oder Pavillons, die die Firma betreibt, mieten und dann ergeben sich auch keine Probleme mit dem Abwasch und oder tölpelhaften Gästen, die irgendwelche Sachen runtergeschmissen haben. Zumindest in der Umgebung von Paris kann Interessierten ohne Komplikationen geholfen werden, und irgendwo in China, aber genau genommen sind die Teams dieses Dienstleisters überall auf der Welt für sie bereit. (Womit sich auch die unterschiedlichen Fundstellen auf der Karte erklären, wenn nach dem Firmennamen gesucht wird – das sind die Locations, die sich mieten lassen.)

Zu dem Zeitpunkt, da sich Madame Antoinette Le Cloaguen sich die Dienste von Potel et Chabot sicherte, war das schon ein Name in der Pariser Gesellschaft. Sie hätte davon ausgehen können, dass sie von ihren Freundinnen nicht schräg angesehen wurde und sich gewiss sein, dass der Service über jeden Zweifel erhaben war.