Bildnachweis: - maigret.de
Der Kopierer
Chester F. Carlson erfand zusammen mit Otto Kornei das Verfahren, dass heute langläufig unter dem Namen »Fotokopieren« oder »Ablichten« bekannt ist. Im Oktober 1938 war es soweit: Der erste Test gelang und das 1937 zum Patent angemeldete Verfahren erwies sich als praxistauglich. Zwei Jahre nachdem das Patent von der Firma Haloid Company aufgekauft wurde (später dann Xerox), kam das erste Gerät auf den Markt.
Das war im Jahr 1949. Der Siegeszug dieser Technologie ist bekannt: Jeder »kopiert«, »fotokopiert« oder »lichtet ab«. Wer ein solches Gerät nicht im Büro oder zu Hause hat, geht halt in einen Copy-Shop und lässt das dort erledigen. Mit den Jahren fingen die Kopierer an, die Sachen auch zu sortieren, zu heften und andere wunderbare Sachen zu zaubern. Die Durchschlagpapier-Industrie sah das Aufkommen dieser Gerätschaften gewiss nicht ganz so euphorisch, aber sie hatten sich damals auch nicht um die Arbeitsplätze der Schreiber geschert, als die Schreibmaschine auf den Markt kam.
Sprich: Es ist eine der Technologien, mit denen unser Leben sehr viel unbequemer wäre.
Mal schnell kopieren
»Les caves du Majestic« wurde von Simenon 1939 geschrieben und 1942 veröffentlicht. Mir scheint es sehr unwahrscheinlich, dass Simenon von diesem Verfahren – ausgetüftelt von zwei Erfindern in Amerika – zwei Jahre nach der Patent-Beschreibung und ein Jahr nach des ersten erfolgreichen Fotokopier-Vorgangs gehört haben dürfte. Das macht es sehr unwahrscheinlich, dass er den Brief seinen Kollegen zum Fotokopieren – wie wir es verstehen – mitgegeben haben könnte:
»Es wäre mir lieber, wenn er erst fotokopiert wird. Das dauert nur ein paar Minuten. Man müsste ihn nur nach oben zum Erkennungsdienst bringen …«
Die letzte Übersetzung von Diogenes spricht übrigens an der Stelle von »ablichten«. Das ist ein wenig näher am Gemeinten. Schließlich redet man, wenn man etwas fotografiert manchmal auch davon, dass man etwas »abgelichtet« hat. Als gängig würde ich die Begriffswahl aber nicht bezeichnen.
Was sagt denn das Original?
Je préférerais qu’elle soit d’abord photographiée. Cela peut étre fait en quelques minutes. Il suffirait de la porter là-haut, à l'Identité Judiciaire...
Aus dem Kontext würde ich schließen, dass Maigret einen Mitarbeiter zum Erkennungsdienst schicken möchte und dort der Brief von den Kollegen abfotografiert werden soll. Dann hätte der Kommissar immer noch eine Fotografie zur Hand, auch wenn er das Original aus der Hand gegeben hätte. Aber diese Kopie hätte, wie ein normales Bild zur damaligen Zeit, erst entwickelt werden müssen.
Mir ist klar, dass jeder, der das im Buch liest, sofort weiß, was gemeint ist. Gerade bei technischen Sachverhalten stolpere ich aber schnell und frag mich: »Gab’s das wirklich schon.« Ob sich diese Fragen auch jüngere Leute stellen, vermag ich nicht zu sagen: Durchaus möglich, dass die Selbstverständlichkeiten des täglichen Lebens ohne Probleme in die Vergangenheit projiziert werden.
Aber einfach wird es jungen Lesern sowieso nicht gemacht. Zum Beispiel wird in dem Buch mit Schecks herumhantiert: Und wer kennt heute noch Schecks?
[Nachtrag – 5.2.2020]
Ich fand die Diskussion auf Twitter recht aufschlussreich: Dort wurde befunden, dass es sich um einen Fehler handeln würde. In der Science Fiction könne man Technik erfinden und in andere Zeitalter transportieren, bei Maigrets wäre es ungewöhnlich und nicht korrekt. Es komme vor, dass das Lektorat an solchen Stellen modernisierend eingreifen würde.
Es gab umgehend eine Reaktion vom Kampa-Verlag: Mit der nächsten Auflage des Titels wird die Stelle berichtigt. Ich bin wirklich sehr angetan!