Der Palast

Der Palast


Der Beginn französischer Filme wird oft mit einem Hahn eingeleitet. Die Firma, die dahinter steht, war und ist Pathé. Oder mit einem »G« oder dem Wort »Gaumont«, von einem Ornament kreisförmig umschlossen – sicher soll Licht suggeriert werden. Beide Firmen sind alte Hasen im Filmgeschäft und teilweise länger in diesem Business als manch Hollywood-Urgestein.

Findet das Wort Kino auch in vielen Simenon-Geschichten Erwähnung (in den Non-Maigrets nicht mit der gleichen Häufigkeit wie in den Maigrets), eine Film-Firma wird nicht erwähnt. Da musste nun erst der Richter-Zyklus kommen, um einen indirekten Hinweis auf die französische Film-Industrie zu erhaschen.

Das Nachlesen begann mit einem Kino, das von Simenon in der Geschichte verwendet wurde, brachte mich zu einem Erfinder und dann zu einer Regisseurin. Die unangenehme Situation ist, dass ich mindestens anderthalb Themen dabei habe, die überhaupt keinen Zusammenhang mit Simenon oder Maigret haben. Gleichzeitig habe ich das Gefühl, dass das nicht unter den Tisch kehren sollte. Schließlich könnte es sein, dass der kleine Maigret irgendwann die hypothetische Gelegenheit gehabt hatte, damit in Kontakt zu kommen. Und schon wird aus dem Problem eine Chance. 

Der Erfinder

Mein bester Freund sagt immer: »Für arme Eltern kann niemand was, für arme Schwiegereltern schon.« Der wird nicht von ihm sein, aber er zaubert mir jedes Mal ein Lächeln aufs Gesicht. Nicht, dass ich diesen Spruch in irgendeiner Art und Weise bei der Wahl der Ehefrau beherzigt habe – er kam mit diesem »Rat« damit erst später um die Ecke –, ist einfach nur mein Humor. Damit sind wir geradewegs bei Léon Gaumont, der in bescheidene Verhältnisse geboren wurde und in selbigen aufwuchs. Wir schreiben da das Jahr 1864 und es war gewiss auch ein Glück, dass er nicht irgendwo in der Provinz auf die Welt kam, sondern in Paris.

Nun ist »bescheiden« nicht »ärmlich« und ein Sprung von einer Stufe auf die nächste ist gar nicht so unwahrscheinlich. Aber Gaumont sollte es bis nach ganz oben schaffen. 

Dazu gehörte auch Glück: Nach der Grundschule konnte er in ein Internat eintreten, das zu einer Privatschule Sainte-Barbe gehört (allein die Geschichte dieses Colleges würde einen Artikel wert sein, da sich aber kein Bezug zu einer Maigret-Geschichte herstellen lässt, ist das für die nächste Zeit sehr unwahrscheinlich). Die Vermutung ist, dass dies vermutlich dank der Unterstützung der Arbeitgeberin der Mutter möglich war. Auf der Schule stellt sich schnell heraus, dass die Stärken des Jungen in den naturwissenschaftlichen Fächern lagen.

Ein Studium war ihm nicht möglich, aber er bildete sich freiwillig in Abendkursen weiter. Diese waren kostenlos und wurden von Gesellschaften angeboten, die sich der Wissenschaft verschrieben hatten. Durch Bekanntschaften in diesem Bereich gelang es ihm, eine Stelle bei Jules Carpentier zu ergattern, der Präzisionsgeräte herstellte. Von 1881 an war er für neun Jahre sein Assistent.

In 1880er-Jahren stellt ein Kamerad vom Militär ihn seiner Familie vor. Der Vater, ein früherer Architekt und stellvertretender Bürgermeister des 19. Arrondissements, hatte noch eine (Stief-)Tochter im Hause – Camille Maillard ehelichte 1888 den Gaumont und er heiratete sehr vermögend.

Wir erinnern uns an die Einleitung für den Abschnitt? Wer clever heiratet, lässt später andere für sich arbeiten …

Léon Gaumont wurde 1891 Direktor einer Glühlampen-Fabrik und übernahm spätestens 1895 die Leitung der Comptoir général de photographie – einer Firma, die optische und fotografische Geräte herstellte. Die ehemaligen Besitzer zerstritten sich und verkauften das Unternehmen an Gaumont, der sie dann auch alsbald umbenannte.

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Léon Gaumont (um 1920)

Léon Gaumont war am Filmen interessiert und kaufte von dem gescheiterten Erfinder Georges Demenÿ einen Chronofotografen – in diesen wird ein Film-Gefühl erzeugt durch die Aufnahme von mehreren Fotografien, vielleicht kann man sich das als animiertes GIF vorstellen. Dieses Gerät arbeitete ohne Perforation. Es wurde als Biographe für die Aufnahme und als Bioscope für die Projektion von Bildern auf Glas verkauft. Um die Technik zu promoten, reiste Gaumont mit dem damaligen französischen Präsidenten Félix Faure nach Moskau, um ihn mit seinem Equipment aufzunehmen. Realistisch betrachtet, war das Gerät nicht ausreichend leistungsfähig – die Wettbewerber Edison und Carpentier waren einfach besser.

Eine zündende Idee hatte Alice Guy, eine Sekretärin in seinem Unternehmen: Sie schlug vor, dass er als Entschädigung oder Dreingabe einen Film dazugibt – also ein Bundle. Sehr innovativ, allerdings brauchte man Filme dafür und die hatte Léon Gaumont bis dahin nicht.

Die erste Regisseurin

Die erste Frau, die als Regisseurin eines Films agierte, war Alice Guy. In der Filmwissenschaft gibt es noch Dispute, ob sie auch der erste Mensch im Filmgeschäft war, der eine Fiktion auf die Leinwand bannte, aber mittlerweile ist der Tenor der, dass dies nicht der Fall war. Nichtsdestotrotz hat sie den Film in vielerlei Hinsicht stilistisch geprägt und vorangebracht. Da erscheint es fast tragisch, dass ihre Leistung über einen langsamen Zeitraum, insbesondere zu ihren Lebzeiten, in Vergessenheit geraten war.

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Alice Guy (um 1896)

Alice Guy, nachdem sie verheiratet war auch Alice Guy-Blaché genannt, wurde am 1. Juli 1873 in Saint-Mandé geboren. Bei Gaumont war sie als Sekretärin angestellt, da der Verkauf von Projektoren schlecht lief, schlug sie vor, mit den Geräten einen Film zu verkaufen. Aber nicht irgendeinen, sondern einen von Gaumont produzierten. Der hatte dazu nur halbherzig Lust – er meinte, könne man machen, aber das müsse sie in ihrer Freizeit erledigen. Sie drehte »La Fée aux choux« (dt: »Die Kohlfee«), in welchem gezeigt wird, wie eine Fee Neugeborene aus den Kohlköpfen »erntet«. Mit heutigen Maßstäben darf man da weder in Hinblick auf die Story noch an die Technik herangehen. Langeweile dürfte aber nicht aufgekommen sein, denn der Film war gerade 51 Sekunden lang. Wenn es Popcorn dazu gegeben hat, dann nur eine Mini-Tüte.

Schnell stieg die Produktion an und sie ging alle Moden der Zeit mit. Die Filme wurden länger, die Stories wurden anspruchsvoller und sie kümmerte sich auch um den begleitenden Ton zu den Streifen (den Soundtrack genau genommen). Es ist eine interessante Frage, ob Gaumont jemals anerkannt hat, welche Wichtigkeit der Content hatte – wie sollte man denn Projektoren verkaufen, wenn es nichts zu zeigen darf. Der Mann scheint aber immer die Technik in den Vordergrund gestellt zu haben, sodass er bei Ehrungen und Vorträgen zwar seine technischen Mitarbeiter erwähnte – aber Alice Guy und ihre Regie-Kollegen nicht. Immerhin wirft das nicht den Makel des Sexismus auf Gaumont; da die männlichen Kollegen in den meisten Fällen ebenso ignoriert wurden, ist viel eher von Ignoranz gegenüber der Kunst auszugehen.

Das Leben von Alice Guy verläuft trotzdem wie ein Film: Liest man sich ihre Biografie durch, staunt man an den verschiedensten Stellen. Guy hatte sowohl die erste Geschichte über Jesus Christus verfilmt. Ließ sie sich auf ein Genre ein? Nein, sie arbeitete sich an den verschiedensten Themen ab. In vielen Filmen standen Frauen im Mittelpunkt, die zudem noch abenteuerlustig war – nicht gerade das Frauenbild, das man zur damaligen Zeit propagierte. Außerdem drehte sie das erste Making-of zu der Produktion eines Streifens. 

1907 heiratete sie einen Kollegen, Herbert Blaché, der in London arbeitete und den sie auf seinen Europa-Reisen kennenlernte. Nach der Eheschließung entschied Gaumont, dass Blaché seine Geschäfte in den USA vertreten solle, weshalb das Paar in die Staaten ausreiste. Gab sie an der Stelle ihre künstlerischen Ambitionen auf? Wurde sie von den Kindern, die sie auf die Welt brachte, gehindert? Mitnichten! Sie gründete 1910 eine eigene Firma und wurde innerhalb kurzer Zeit zum Marktführer. Von Hollywood sprach zu der Zeit noch niemand.

Nun wurde eingangs ausgeführt, dass die gute Dame in Vergessenheit geriet: Was konnte dazu führen? Zusammengefasst lässt sich wohl sagen, dass es die Ehe mit ihrem Mann gewesen war. Sie hatte ihn als Geschäftsführer eingesetzt und ihre Firma an seine verkauft. Nun mochte er ein guter Vertriebsmann gewesen sein, aber ein fähiger Geschäftsmann war er nicht. 1919 trennte sich ihr Mann von ihr. Wie in einem B-Movie verknallte er sich in eine Schauspielerin und ging mit ihr nach Hollywood. Die Firma war am Ende, der arbeitete bei Universal und sie musste schauen, wo sie blieb.

Sie kehrte nach Europa zurück. Sie hatte jedoch weder in Frankreich, wo ihre Wurzeln lagen, noch in ihrer Wahlheimat wieder einen Fuß in die Tür der Filmindustrie bekommen. Also schifft sie sich wieder in die USA ein. 

Sie hatte nun eine neue Aufgabe: Sie kämpfte darum, dass ihr Lebenswerk anerkannt wird und ihre Pionierarbeit für den Film gewürdigt wird. Sollte nicht schwierig sein, mag man denken, so schwer kann das nicht sein. Da täuscht man sich aber. Ein Großteil ihres Werkes war verschwunden und war in den Archiven nicht mehr aufzufinden gewesen. Zudem konnten sich die Männer, die damals die Filmgeschichte schrieben, nicht vorstellen, dass eine Frau zu den Wegbereiterinnen gehören könnte. Sie litt also darunter, dass Gaumont ihre Leistungen nicht würdigte, weil es keine technischen waren, die ihn interessierten; und die Historiker … tja, da war wohl eine ordentliche Prise Sexismus mit dabei. 

Im Jahr 1957 wurde sie auf Initiative des Sohnes von Léon Gaumont, Louis, von der Cinémathèque française geehrt. Die Geschichtsschreiber sollten ihr Werk erst nach ihrem Tod 1968 anerkennen.

Stellt man sich vor, wie der kleine Maigret oder auch später noch als Jugendlicher ins Kino gegangen ist, dann könnte es sein, dass er einen Streifen von Alice Guy gesehen hat. Unwahrscheinlich ist das nicht. Ihr werden zwischen 340 und 580 Titel zugeschrieben, die von ihr bis zu ihrer Übersiedlung in die Vereinigten Staaten produziert worden sind. 

Der Palast

Bisher wurde nur ein theoretischer Bezug dargestellt, aber so etwas hat hier noch nie einen Artikel begründet. Deshalb kommen wir nun zu der Stelle, die Anlass gewesen war, sich mit dem Gaumont-Guy-Komplex zu beschäftigen. Wobei – wie schon geschrieben – Alice Guy wirklich nur ein Kollateral-Interesse gewesen ist. 

»Er hatte mich hinter dem Gaumont-Palace angesprochen. Ich kannte ihn schon, weil er von Zeit zu Zeit dort auftauchte. [...]«

Wirklich, so dünn war der Trigger gewesen. Aber einerseits machte halt bei dem Namen Gaumont etwas Klick, andererseits war mir die Kombination mit »Palast« neu. Denn davon hatte ich noch nichts gehört, geschweige denn, dass mir eine solche Sehenswürdigkeit in Paris schon untergekommen wäre. Und etwas anderes ausgesprochen, wäre es auch ein gelungener Name für ein chinesisches Restaurant. Aber mit dem Hintergrund, den wir jetzt haben, ist klar, dass es sich eher um ein Kino handelt.

Fangen wir am Ende an: Zu sehen ist von dem Gaumont Palace nichts mehr. 1970 kam man auf die Idee, das Kino umzubauen. Aber dem Unternehmen ging es zu der Zeit nicht prächtig, weshalb sich entschlossen wurde, das Grundstück mitsamt Gebäude an ein Immobilien-Unternehmen zu verkaufen – der sah die Zukunft nicht im Kino-Geschäft, sondern im Hotelgeschäft und im Gewerbe, was nicht wundert, denn Christian Dubois war der Gründer einer Baumarkt-Kette. Also wurde der Komplex abgerissen und das einzige, was gerettet wurde, war die sehr bekannte Orgel.

Auf die Pferde

Die Erbauer des Palace waren erfahren, aber keine Glückspilze. Sie hatten ein Hippodrome (mit meinen Worten: eine überdachte Pferderennbahn) gebaut, die 1877 eingeweiht wurde. Sie befand sich unweit vom Eiffelturm. Sechstausend Leute konnten da den Rennen folgen. Blöd war nur, dass das Gelände gepachtet war, weshalb sie 1892 erfahren mussten, dass die Eigentümer nicht vorhatten, den Vertrag zu verlängern. Also bauten sie ein neues in der Nähe des Champ de Mars, denn dort lagen Flächen nach der Weltausstellung von 1889 brach. Nun zählen wir einmal kurz bis drei und malen uns aus, was mit Geschäftsleuten passiert, die kein Glück haben: Genau, sie hatten auch das Gelände zu räumen, denn die Verantwortlichen wollten auf dem Areal die Weltausstellung 1900 durchführen.

Unverdrossen bauen die Rennbahn-Liebhaber ein neues Hippodrome, aber diesmal im Montmartre. Die Unternehmer beauftragen immer wieder die gleichen Architekten. Gut an der Stelle: Die wissen schon, wie man so ein Gebäude aufzieht. Nach zwei Jahren Bauzeit wurde es im Mai 1900 eingeweiht. Gelobt wurde, dass man von allen Plätzen gut auf die siebzig Meter lange Pferdebahn schauen konnte. Siebentausend Menschen passten in das Hippodrome, fünftausend von ihnen konnten die Rennen sitzend verfolgen.

Gebaut wurde Gebäude nicht nur für Pferderennen, sondern es war ebenso ein Veranstaltungsort, an denen andere Events liefen. Damals war es wirklich eine Sesation, dass man es mit einem Fahrstuhl ausstattete, mit dem man dreihundert Personen auf die Bühne bringen oder sie halt auch wieder verschwinden lassen konnte.

Über der Piste wurde ein Restaurant eingerichtet. Bis zu zweitausend Menschen konnten dort gleichzeitig bedient werden. Dabei gab es nicht nur etwas zu essen und zu trinken, sondern auch zu sehen: Das Restaurant wurde dem Jugendstil zugerechnet und hatte Rokoko-Elemente.

So hübsch das auch alles gewesen ist, erfolgreich war das Konzept mit den Pferderennen nicht mehr. Die Gesellschaft, die das Hippodrom betrieb, trug sich nicht und ging bankrott. Das Gebäude musste gefüllt werden und so gab es Zirkusveranstaltungen und Attraktionen unterschiedlichster Natur. Buffalo Bill spielte dort seine Shows während seiner Europatournee im Jahre 1905. Schließlich wurde es eine Rollschuhbahn und es bekam auch einen Raum, in dem ein Kinoprojektor stand.

Nutzungswechsel

1911 kaufte Léon Gaumont das Gebäude und machte was daraus? Richtig, ein Kino. Damit sind wir bei dem Namen Gaumont Palace. Nun hatte der Unternehmer ein sehr, sehr großes Kino. Denn mehrere Tausend Leute konnten in dem Kino-Saal gleichzeitig dem Vergnügen folgen. Durch die Projektoren lief »echtes« Filmmaterial, das nicht nur reißen konnte, sondern gefährlich leicht brennbar war. Hinzu kam, dass wenn das Material erst einmal brannte, giftige Gase entstanden. Paris hatte ein paar Jahre zuvor die bittere Erfahrung machen müssen, als bei einem solchen Brand 129 Menschen ums Leben kamen. 

Außerdem gab es noch keine starken Lichtquellen, wie sie heute gang und gäbe sind. Wir würden es heute als Funzel ansehen. Das Licht wäre nicht so stark gewesen, die Filme von einem Ende des Saals vierzig Meter bis zur Leinwand zu projizieren. All die Einschränkungen führten dazu, dass man den Projektor in einem eigenen Raum hinter dieser installierte.

Am 11. Oktober 1911 wurde der Gaumont Palace eröffnet und in seinem Kino-Saal konnten 3.400 Gäste Platz nehmen.

In der Geschichte ging es um eine Untersuchung von Richter Froget und selbiger hatte von Mademoiselle Berthomieu, einer Prostituierten, erfahren, dass Monsieur Forestiers sie an diesem Komplex aufgegabelt hatte. Da die Geschichten um 1929 herum spielten, kann davon ausgegangen werden, dass die Gegebenheiten die waren, die zuvor hier geschildert wurden.

Ein Jahr später sah das alles schon wieder anders aus. Léon Gaumont, der nun mittlerweile am Ende seiner Business-Karriere stand, kam auf die Idee, den bestehenden Kino-Komplex abreißen zu lassen und errichtete innerhalb von elf Monaten das größte Kino der Welt. Nun hatten 6.000 Menschen Platz.

Das Gebäude war im Art-Deco-Stil errichtet worden. Seit dem Anfang der 1920er-Jahre wurde der Tonfilm entwickelt und die Kino mussten für die Technik präpariert werden. Der neue Saal von Gaumont war derart hergerichtet, auch wenn er noch eine Orgel besaß. Damit das Publikum in den Pausen unterhalten, denn ein Kino-Abend bestand nicht aus Werbung plus Hauptfilm, wie wir das heute kennen, sondern es wurde zuerst eine Wochenschau gezeigt, dann eine Dokumentation bevor die Zuschauer den Film genießen konnten, wegen dem sie in das Kino gekommen waren.

Die Kabine befand sich auf dem zweiten Balkon und war 26 Meter lang und 4,50 Meter breit. Sie enthielt spezielle Projektoren, die mit automatischen Kohlebogenlampen arbeiteten und an einen Wassertank angeschlossen waren, um die Brandgefahr des Nitratfilms zu mindern. Wer sich jetzt vorstellt, dass da Licht aus Kohle erzeugt wurde, liegt nur halbrichtig. Vielmehr hat eine Kohlebogenlampe zwei stabförmige Elektroden aus Grafit, die man auch einfach "Kohlen" nennt. Diese werden aus Kohle und Bindemitteln hergestellt, indem sie bei 1200° Celsius erhitzt werden.

Zusätzlich gab es Lichteffektgeräte für die Bühnenshows, denn beim Bau wurde eine entsprechend große Bühne schon mit eingeplant. Die Höhe der Kabine verursachte einen 12-Grad-Winkel bei der Projektion, wodurch das Bild leicht trapezförmig verzerrt wurde, was jedoch weniger stark war als in vielen anderen Kinos der damaligen Zeit.

Nach dem Krieg hatte es ein kurzes Intermezzo als Kriegsgefangenen-Aufnahmezentrum. Bei der Wiedereröffnung wurde die Anzahl der Plätze auf 4.570 reduziert. 

Das Kino, das auf seiner großen Bühne stets Attraktionen bietet, geriet Anfang der 1960er-Jahre in Schwierigkeiten, als kleinere Filme im Stil der Nouvelle Vague aufkommen. Zudem wurde die Instandhaltung des Gebäudes immer aufwendiger. Im Winter benötigte man beispielsweise täglich neun Tonnen Kohle, um den Saal und die Nebengebäude zu beheizen.

Weitere Umbauten erfolgten zwischen 1962 und 1967. Neue Technik kehrte ein und eine Folge davon war, dass nur noch 2.400 Zuschauer in dem Saal Platz finden werden. Man hatte das Kino in ein Cinérama umgewandelt, aber das sollte eine Episode bleiben – etwa fünf Jahre. 

Allerdings blieb danach nicht dem »klassischen Kino« im Gaumont Palace nicht viel Zeit. Die Größe und sein Alter brachten es mit sich, dass es mit neuerrichteten Kino-Palästen nicht mehr mithalten konnte. Die Tonqualität in dem Kino war im besten Fall durchschnittlich. Es gab kein Happy End, wie wir schon am Anfang erfahren haben.

Außer vielleicht der Tatsache, dass mit dem Geld, was Gaumont mit dem Verkauf des Geländes eingenommen hatte, zahlreiche andere Kinosäle in Frankreich, die von dem Unternehmen betrieben wurden, renoviert und auf einen modernen Stand gebracht werden konnten.