Wohnzimmer dunkel

Der Ruf


Lagrange, der dicke Mann aus der »Revolver«-Geschichte, wurde in eine Decke gehüllt abgeführt. Nicht ohne Gegenwehr. Auch Ernestine Jussiaume hatte bei der ersten Begegnung mit dem Kommissar ihre eigenen Vorstellungen und es brauchte sanften Druck, um sie zum Mitkommen zu bewegen. Im Hörspiel nutzte Maigret eine Trillerpfeife – überhaupt nicht zu ihm passend.

Mir ist nicht bewusst, irgendwann mal gelesen zu haben, dass Maigret dieses Signalinstrument benutzt hätte. Was jetzt nicht zu sagen hat, denn wer hat schon alle Details aller Romane im Kopf? In den genannten beiden Romanen kommt die Trillerpfeife auf jeden Fall nicht zum Einsatz: Um Lagrange mitzunehmen, rief er einen seiner Inspektoren hoch. Um die widerspenstige Ernestine zu verhaften, holte er sich von der Straße zwei Polizisten, die ihm halfen. Hier könnte Maigret eine Trillerpfeife für das Heranrufen verwendet haben, aber die literarische Vorlage gibt das nicht her.

Pfeifen als Instrument existieren schon seit Tausenden von Jahren. Sklaven wurden damit auf Galeeren im Takt gehalten, die Engländer gaben damit auf Kreuzzügen ihren Bogenschützen Signale – und die Menschen waren wohl clever genug, noch andere Anwendungen dafür zu finden. Die Trillerpfeife wurde erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhundert erfunden. Einige geben an, dass 1870 in England die erste Pfeife dieser Art genutzt und neun Jahre später bei Fußballspielen eingesetzt wurde. Was die Nutzung im Sport angeht, wird mancherorts auch behauptet, dass die Pfeife erstmals in Neuseeland verwendet worden ist – allerdings erst 1884 bei einem Rugby-Spiel. Da soll der Geschichte nach die Pfeife aber schon ihren Weg zur Polizei von London gefunden haben – die hatten sich mit Rasseln verständigt, die unhandlich waren und sich nicht bewährten. Die von Joseph Hudson erfundene und später verbesserte Trillerpfeife war ein Fortschritt und war bis zur Erfindung von mobilen Funkgeräten das Mittel zur Wahl, wenn sich Polizisten austauschen wollten.

Nee, also wenn Pfeifen, denke ich mir, dann wohl er solche, mit denen man Paffen kann.

Die Holländer

Die widerborstige Dame von damals saß bei Maigret im Zimmer und erzählte ihm, dass ihr Freund eine Leiche entdeckt hatte. Er konnte nicht zur Polizei gehen, da er seine Beobachtung in einem Haus machte, in das er gerade eingebrochen war. Der Freund hatte nun Angst und war erst einmal verschwunden.

Das Haus gehörte einem Zahnarzt, der dort mit seiner Frau und seiner Mutter lebte. Als Maigret bei Dr. Serre auftauchte, war die Frau verschwunden. Der Zahnarzt war wenig entgegenkommend (passend gespielt von Hanns Ernst Jäger, einem renommierten Hörspiel-Sprecher) und seine Mutter gab die Naive. Dumm war nur, dass die Ehefrau des Zahnarztes verschwunden war. Davon auszugehen, dass es sich bei der Dame um die verschiedene Person handeln könnte, die Ernestine Jussiaumes Freund gesehen hat, war keine schlechte Idee.

Sie war Holländerin und die Geschichte des zurückgebliebenen Mutter-Sohn-Paares war, dass sie zurückwollte nach Holland. Da war sie aber nicht angekommen, das bekamen die Polizisten schnell heraus. Sie telefonierten mit einer Freundin von Maria Serre, die die diese erwartet hatte, aber Maria kam nicht an. Diese Freundin wird in dem Hörspiel mit einem wunderbaren holländischen Akzent gesprochen. Der Kommissar, gespielt von Paul Dahlke, möchte, dass sie ihm die Briefe der Freundin zusendet und empfiehlt ihr, zur Polizei zu gehen, um dort eine Vermissten-Anzeige aufzugeben. Dann ruft er bei den Kollegen in Amsterdam an und fängt gleich an, munter loszuschnacken. Aber in welcher Sprache? Und warum hatte der Polizist am anderen Ende keinen reizenden Akzent? Maigret war des Holländischen nicht mächtig – sonst würde er für die Briefe kurze Zeit später auch keinen Übersetzer benötigen.

Flott

Zuvor hatte ich angemerkt, dass man alte Hörspiele immer schon daran erkennt, dass die Leute sich mit »Frau« und »Herr« anreden würden, statt mit »Madame« und »Monsieur«. In diesem Zusammenhang sei noch ergänzt, dass die Mitarbeiter des Kommissars diesen nie »Herr Maigret« (oder halt auch »Monsieur Maigret«) nannten. Entweder gab es gar keine Anrede, oder er war der »Chef«.

Von diesen kleinen Unstimmigkeiten abgesehen, die einem eingefleischten Maigret-Liebhaber auffallen können, hält sich die Bearbeitung an die Vorlage. Es gibt durch aus kleine Abkürzungen, aber es sind keine logischen Brüche dabei. Die Stimmen und ihr Stil passen wie schon bei den anderen Maigret-Produktionen des Bayerischen Rundfunks sehr gut, sodass die Hörer:innen auch hier eine gelungene Adaption zu hören bekommen.