Bildnachweis: Bartträger Wilhelm II: - (Lizenz: Public Domain)
Des Kaisers Bart
Schriftsteller legen ihren Figuren in ihren erfundenen Geschichten Gesagtes in den Mund. Einerseits ist es wichtig, dass das Gesagte zum Kontext passt (oder absichtlich manchmal auch nicht) und zum anderen, dass die Wortwahl zu den Protagonisten passt. Würde ein Hamburger einen anderen morgens mit »Grüß Gott!« grüßen – es wäre schon arg merkwürdig.
Vor geraumer Zeit hat eine Phrase dazu geführt, dass ich mich mit armen Kirchenmäusen auseinandergesetzt habe und der Frage, ob Simenon im Französischen die Formulierung auch verwenden würde. In dem genannten Fall fand ich die Lösung überzeugend, gerade auch aus dem Grund, da die wörtliche Übersetzung die hiesigen Leser:innen sehr irritiert hätten.
In der Erzählung »Jeumont, 51 Minuten Aufenthalt!« gibt es eine Stelle, in der es heißt:
Deshalb versucht ... erst in Liège, dann in Namur und schließlich in Charleroi, sich auf französisch zu empfehlen.
Ausgedrückt werden soll damit, dass sich die Person heimlich davonstiehlt. Das würde nicht weiter ins Gewicht fallen, wenn es nicht gerade ein Franzose gesagt hätte … nämlich Maigret. Wie wahrscheinlich ist es, dass ein Franzose so etwas über einen Franzosen sagt? Tendenziell gehen Phrasen, die die eigene Nation in einem schlechten oder zwielichtigem Licht erscheinen lassen, in den Landessprachen gegen null. Dazu sucht man sich in der Regel Nachbarvölker aus.
Hätte das ein Deutscher in der Geschichte zu einer Person gesagt, die der deutschen Sprache mächtig ist, würde man es hinnehmen können. (Abgesehen von der Tatsache, dass es sich um eine umgangssprachliche Aussage handelt, die regional unterschiedlich häufig verwendet wird. Könnte mir vorstellen, dass Flensburger:innen und Cottbusser:innen diese Floskel nicht im aktiven Sprachschatz haben.)
Maigret hätte etwas anderes gesagt:
C'est pourquoi ..., à Liège d'abord, à Namur ensuite, puis à Charleroi, essaie de descendre du train et de filer à l'anglaise ...
Was er auch tat. Womit meine These, dass sich die verschiedenen Nationen am liebsten Nachbarn für das Andichten schlechter Angewohnheiten suchen, gestützt zeigt. Engländer scheinen sich in Frankreich gern verdrücken zu wollen.
Ich würde nicht darüber streiten wollen, ob das wirklich wichtig ist. Das wäre ja so, als würde ich um des Kaisers Bart streiten. Oder wie Franzosen sagen: »mener des querelles d'Allemand«.
Aber es fällt halt auf, wenn einem Franzose etwas in den Mund gelegt wird, was er nie sagen würde.