Bildnachweis: A wonderful night in Provence - (c) Antony BEC (Lizenz)
Die doppelte Marie
Oh ja, ich kenne das nur zu gut. Das Schreiben läuft, die Gedanken sind schon etwas anderes und in dem Moment des Konzentrationsverluste fängt die Hand an, etwas ganz anderes zu schreiben, als die oder der Schreibende eigentlich will. Aber das Gehirn ist weiter und in anderen Satzkonstruktionen unterwegs, weshalb es nicht auffällt. Peinlich.
Simenon führt in »Sonntag« ziemlich am Ende der Geschichte einen neuen Charakter ein. Es ist ein Dienstmädchen namens Bertha und da die Hauptfigur und Chefin den gleichen Namen trägt, erklärt die Haupt-Bertha, dass die Neben-Bertha »Marie« heißen solle.
So gab es im Grunde wenig Veränderungen, außer das die Neue, die Bertha hieß und kurzerhand in Marie umgetauft wurde, ohne Wecker erwachte und vor Ada herunterkam.
Da kurz zuvor erklärt worden war, dass die junge Frau schielte, dachte ich mir: »Hah! Die schielende Marie …« und fragte mich, ob Simenon in dem Moment auch an den sieben Jahre zuvor entstandenen Roman gedacht hatte. Fast wie ein kleiner Werbe-Gag zwischendurch.
Ich bin kein Zahlenmystiker und halte es für absoluten Zufall, dass sieben Seiten später den Leser:innen erklärt wird:
Die schielende Marie, die in Wirklichkeit Bertha hieß und umgetauft worden war, nicht von ihm, sondern von seiner Frau, der es nicht passte, dass ein Dienstmädchen den selben Vornamen hatte wie sie.
Wenn dieses »in Wirklichkeit« nicht wäre, könnte man darüber hinweggehen. So wird der Eindruck erweckt, den Lesenden wird eine Neuigkeit überbracht.
Nun ist es jedoch nur eine kleine Konkretisierung, denn wir erfahren, dass es Bertha gewesen war, die den Namen des Dienstmädchens geändert hatte. Interessant fand ich, dass dieses Thema noch einmal von Simenon aufgegriffen wurde. Die Tatsache, dass Marie Bertha hieß, war uns vertraut und Leser:innen, die diesen Fakt innerhalb von sieben Seiten vergessen, dürften selten anzutreffen sein. Es ist eine ungewohnte Redundanz, die Simenon fremd ist und gerade deshalb verwundert.
Ich frage mich, warum bei einem solchen Lapsus das Lektorat nicht eingegriffen hat. Nun kenne ich die Macht nicht, die diese Herrschaften über einen Schriftsteller wie Simenon gehabt habe, aber gemeinhin werden sie von den Schreibenden als Hilfe angesehen.