Die Gaben der Weißnäherin


Hin und wieder kam die Sprache darauf und dann meinte meine Mutter, dieses oder jenes Stück wäre aus ihrer Aussteuer und wie neu. Das konnte gut sein, wurde das besprochene Objekt doch nie oder sehr selten benutzt und verbrachte sein Lebtag – so Dinge so etwas haben – wohl verstaut im Schrank. Wer konnte wissen, wofür man es noch einmal brauchte?

Die Rede war von Wäschestücken und sie ließ sich sehr gut erkennen, war ihr Monogramm an der Seite eingestickt. Nun ist die Mama über achtzig Jahre alt – ich bin mir aber sicher, dass sich immer noch eine stattliche Anzahl von Aussteuerstücken in ihrem Schrank befindet. Das eine oder andere dürfte weitergereicht worden sein – ich meine, dass ich Geschirrhandtücher habe, die mit einem Monogramm versehen sind. Und meines ist es nicht!

Völlig unabhängig davon sind alle Geschirrhandtücher, die wir in den letzten Jahren neu gekauft haben, nicht mit der Qualität vergleichbar, die die aus der Aussteuer meiner Mutter haben.

Das Konzept

Ein junger Mann, der vorhatte, eine Frau zu ehelichen, fand sich früher zuerst bei den Eltern der Dame ein und bat das Familienoberhaupt um Erlaubnis. Mir ist den 2000er-Jahren noch eine Geschichte zu Ohren gekommen, bei der ein Mann den Vater der Geliebten fragte, ob er einer Verehelichung zustimmen würde – was dieser nicht tat. Wer fragt, bekommt Antworten. Manchmal halt auch solche, die nicht gefallen. Ich war zur ungefähr gleichen Zeit dem alten Ritus nicht gefolgt. Wir informierten meine Schwiegereltern darüber, dass wir heiraten würden. Punkt. Mir war nicht ein einziges Mal in den Sinn gekommen, irgendjemand um Erlaubnis zu bitten. So habe ich heute erst, nach fast zwanzig Jahren Ehe, meine Frau gefragt, wie es um die Aussteuer steht. Es gab eine abschlägige Antwort meiner besseren Hälfte, so etwas hätte sie nicht vorzuweisen gehabt.

Früher wäre es ohne nicht gegangen. Die Mitgift gab es vonseiten der Braut oder deren Familie. Der Sinn war es, dem jungen Haushalt eine Grundausstattung zu verpassen. Also wurde schon früh damit angefangen, allerlei nützlichen Krams zu sammeln, damit das Mädchen am Tag X gerüstet war. Blöd für die Mädels war, dass es bei allen möglichen Geschenke-Gelegenheiten, Sachen übereignet bekam, die zwar vernünftig waren, aber wenig Spaß machten.

Das ist der Moment, an dem wir kurz innehalten und uns das verdutzte Gesicht eines heute vierzehnjährigen Mädchens vorstellen, wie es zum Geburtstag ein Satz Geschirr-Handtüchter und zweimal weiße Bettwäsche geschenkt bekommt. Und nicht das neue Smartphone, was es sich gewünscht hatte. Die Krönung wäre, wenn man der Dirn sagen tät, dass sie am Wochenende ihre Initialen in die Wäsche zu sticken hätte. 

Die praktischen Erwägungen, einen jungen Haushalt zu stützen, hatte eine Kehrseite. Die Mitgift war von der Frau beziehungsweise der Familie der Braut aufzubringen. Das, was eingebracht wurde, bemaß sich lange Zeit an dem Vermögen des Mannes (und dem seiner Familie). Konnte das nicht aufgebracht werden, konnte die Heirat verwehrt werden. Das hört sich aus heutiger Perspektive sehr befremdlich an. Aber auch der Mann war nicht frei in seiner Entscheidung, um wessen Hand er anhalten durfte. War absehbar, dass die Mitgift nicht angemessen war, war eine Verehelichung nicht möglich. Ein sozialer Aufstieg war Frauen aus niederen Schichten somit von vornherein verwehrt.

Der Gerechtigkeit halber sei gesagt, dass die Mitgift auch nicht jedem beliebigen Herren mit auf den Weg mitgegeben wurde. Außerdem existierte mit der »Widerlage« ein ähnliches Konzept auf der Seite der Kerle. Diese diente als Absicherung der Frau, wenn der Mann verstarb. Diesem Zweck galt auch die sogenannte »Morgengabe«. Einen Hinweis, dass diese Gaben in Form von Wäsche und Geschirr erfolgte, ist indes nicht zu finden gewesen. So lässt sich davon ausgehen, das vierzehnjährige Jungen anständige Geschenke zum Geburtstag und an Weihnachten bekamen, die ihnen Freude bereiteten.

Die Dienstleisterin

Die Nonnen hatten ihr das Nähen beigebracht, und sie war, wie es hieß, eine ausgezeichnete Weißnäherin geworden.

Auf die Ehe wurde sich vorbereitet. Junge Frauen aus begüterten Familien wurden nicht allein gelassen, sondern es gab spezielle Schneiderinnen (lingère), die sich um die Bedürfnisse der Aussteuer-Ausstattung kümmerten. Élisabeth Klamm hatte diesen Beruf ergriffen und hatte, nachdem sie von Porquerolles weggegangen war und in Hyères arbeitete, gut in diesem Job zu tun. 

Der Begriff ist selten eindeutig: Schneider mit dieser Spezialisierung kümmerten sich um die Herstellung von Bettwäsche und Tischtüchern. Damit diese nicht so fad daherkamen, wurden sie – wie zuvor schon angeführt – mit Monogrammen versehen, Stickereien und anderen Verzierungen. Zur Weißwäsche zählte man aber auch Damenunterwäsche. Weißnäherinnen arbeiteten nicht für Hinz und Kunz, sondern wurden von begüterten Familien hinzugezogen. So auch Élisabeth:

In der Altstadt konnte er sie wohl gar nicht treffen, da sie als Weißnäherin gewiss für reiche Leute arbeitete.

Wer den Begriff noch nie gehört hat – das ist keine Schade und in meinen Augen auch keine Lücke in der Allgemeinbildung. Seine Hochzeit hatte das Wort den 1960er-Jahren, bevor es zu einem Niedergang Mitte der 70er-Jahre kam. Wer sich in den Sixties als Weißnäher hat ausbilden lassen, dürfte nicht amüsiert darauf reagiert haben, dass das Konzept der Aussteuer ausstarb – denn damit starb auch der Beruf aus.

Der Roman entstand 1944. Simenon schrieb keine Romane, die in der Zukunft spielten, also ist es vernünftig, anzunehmen, dass der Roman die Zeit zwischen 1935 und 1944 darstellt. Geht man davon aus, dass der Niedergang des Berufsstandes in den 70er-Jahren begann, wird Élisabeth Klamm es in diesem Beruf nicht bis in die Rente geschafft haben. Aber während eine Weißnäherin gewiss andere Sachen nähen konnte, hatten es die Vertreter von aussterbenden Berufen wie Reepschläger und Schriftgießer ungleich schwerer.

Aber das ist eine ganz andere Geschichte.